Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Dieter Hoffmann-Axthelm 
KURZER PROBLEMKATALOG ZU KUKELHAUS 
Die Architektur arbeitet ihrem Selbstverständnis nach im Vermit- ihrer Drehexperimente. Wiederum natürlich nur, um seine eigene 
telten: in einem Bereich der Bilder, Figuren, Formen. Übersie ver- Botschaft flüssig zu machen (und ohne die Quellen zu nennen). 
ständigt man sich, setzt sich auseinander. Daß einem dann auf ein- Aber welche Botschaft? Es gehört zur Wirkung (im Grunde auch 
mal die Klienten mit dem Material kommen und Ziegel statt Beton zur Taktik) von Kükelhaus, die Unterscheidbarkeit von Botschaft 
haben wollen, hat dann den Anschein des Kruden. Und dann be- und referierter wissenschaftlicher Struktur zu bestreiten. Da springt 
dient man sie in der Regel so, daß man Betonkitas, Betonschulen er in einem Satz hin und her, bringt Physiologisches und kosmi- 
usw. mit Klinkern verblendet. sche Weisheit in Deckung, zeigt sich als Taoist. Da spiegelt dann 
In solchen Entwicklungen läßt sich inzwischen der Einfluß grei- immer eine Seite die andere, die Botschaft wird ungreifbar und da- 
fen, den Hugo Kükelhaus auf die heutigen Architekten gehabt hat. mit für unerfahrene Gemüter mächtig: in diesem Verweissystem, 
Das Danebengehende der Korrektur gehört dabei durchaus dazu, indem der Meister sich nie die Blöße der Deutung gibt, so daß man 
ebenso das Diffuse, Anonyme des Protestes und der Reaktion ihn bei dem fassen könnte, was er meint, bei ja oder nein, richtig 
darauf. Kükelhaus, das ist für die Architekten der Anspruch der oder falsch. Zum Beispiel so: „Bedingung deutlichen Erkennens ist 
Sinnlichkeit. Da haben sie mit merkwürdiger Bereitwilligkeit ein die Verwechselbarkeit des Gegenstandes mit anderen Gegenstän- 
schlechtes Gewissen und beeilen sich, besser zu werden. Ob das den seiner Nähe. Die bedrohte Rohrdommel läuft dem Feind bei- 
schlechte Gewissen so berechtigt ist, ob Kükelhaus so voll rechthat, nah entgegen, um dann mit hocherhobenem Hals und Schnabel zu 
ob die Antwort etwas Positives bringt, all das bleibt im Ungewissen. einem Schilfrohr zu erstarren. In dieser Tarnung wird sie wirklich, 
Woher wissen die Architekten überhaupt, ob sie in Kükelhaus wirk- gewinnt sie ihre Wirklichkeit, bewirkt sie ihr Schicksal, seies, daß sie 
lich einen Anwalt der Sinnlichkeit haben - oder hatten? Daß zuge- vom Feinde nicht entdeckt wird (dann war er ihr nicht gewachsen), 
gebenermaßen die Sinnlichkeit in der Architektur des 20. Jahrhun- seies, daß der Feind sie ausmacht und ergreift. Wenn nur die Men- 
dert auf mannigfaltigen Ebenen zu leiden hatte, kann man erstein- schen dieses begriffen: Reine Wahrnehmung ist reiner Vollzug der 
mal hinnehmen - wo wäre das falsch. Aber schließlich haben wir Bedingung des Wahrnehmens, nämlich der Offenbarung durch 
das anthroposophische und allgemeiner organologische Bauen und Verhüllung, der Geburt in Hüllen. Solche reine Wahrnehmung ist; 
seine Übersetzung in große Architektur bei Häring und Scharoun und nur solche reine Wahrnehmung ist: Schöpfung. Ist Anfang des 
gehabt. In Beton wie in Bachstein. Worüber sprach Kükelhausdann Lebens. Ist Geburt des Lebens. Wenn das die Menschen begrif- 
überhaupt - wirklich über Architektur? fen!” (Das Wort des Johannes, Frankfurt 1953, 213) 
Daß das Botschaft zweiter Hand ist, braucht nicht zu stören, das 
ist es bei moderneren Guruhs auch. Interessant ist die Struktur: die 
|; kosmische Seite ist so leer, daß sie auf die konkrete Seite zurückver- 
weisen muß, damit man überhaupt etwas Konkretes zu denken hof- 
Eine Antwort kann erst einmal warten, das interessanteste am fen kann, aber die konkrete Seite ist wieder so fragmentarisch, daß 
Thema sind die Fragen. Woher kam die Resonanz, die Kükelhaus man mit ihr ohne allgemeinere Anleitung nichts anfangen kann, 
im Alter wieder fand? Es selbst hatte sich ja nicht geändert. In sei- und so immer hin und her. Es steckt etwas drin, aber das wird hier 
nen zahlreichen Schriften steht in ermüdender Eintönigkeit und fast nur als Lockmaterial spürbar. Was sich durchsetzt - als „Sinn” -, 
immer gleichem Durcheinander seit fünfzig Jahren im Grunde das- ist die Aufblähung der phänomenologischen Denkfigur (was ein 
selbe. Vielleicht sollte man also eher Fragen: wer braucht das Stich- Gegenstandist, zeige sich erst, wo er an seine kritische Grenze kom- 
wort Sinnlichkeit, und zwar genau in der Kükelhaus’schen Form, me) zum Schicksal. Wenn man bedenkt, daß das eben zitierte Buch 
also, behaupte ich vorgreiflich, in der Form eines Mißverständnis- nur Wiederholung des Erstlings „Urzahl und Gebärde” von 1934 ist 
ses? Das Mißverständnis organisiert sich hier wie anderwärts (und daß wir in „Die Phantasie des Leibes” von 1966 bzw. dessen 
bereits über sprachliche Geiselnahmen. Mit dem Wort Sinnlichkeit Endgestalt „Organismus und Technik, 1971, 1979 als Öko-Taschen- 
bezeichnet man heute die Sehnsucht nach Gefühlen, Nähe, buch in 10.000 Exemplaren gedruckt, 1984 18.Tausend, die dritte, 
Wärme, im Gegensatz zur Kälte der Gedanken. Kükelhaus dagegen wiederum neuangepaßte Fassung lesen), dann zeigt die Unent- 
redet von der Sinnestätigkit, und auch von ihrem Material. Der schiedenheit natürlich auch ihren ganz praktischen Überlebens- 
überwiegende Anteil seiner Beschäftigung mit der Wahrnehmung wert. 
entfällt noch dazu auf den theoretischsten Sinn, das Sehen. Uner- 
müdlich kaut Kükelhaus da an den physiologischen Bedingungen 
des Sehens herum, wie sie in den zwanziger Jahren von den einfalls- HZ. 
reichen Versuchsbedingungen sowohl der Gestaltpsychologen 
wie der Phänomenologen greifbar gemacht wurden. Insbeson- Man täte Kükelhaus sicher Unrecht, wenn man meinte, er wäre ein 
dere stützt er sich auf die Ideen und Beispielversuche der Gestalt- liebevoller Spinner gewesen, den die Nazis zu brauchen verstan- 
kreisschule unter den Phänomenologen (von Weizsäcker, von den. Man täte ihm da genauso Unrecht, wie wenn man ihn platt be- 
Auersberg), um seine eigene Botschaft zu formulieren. Ahnlich schuldigte, Nazi gewesen zu sein. Sondern wir kommen hier zu 
geht es mit dem Körperbegriff. Heute ist der Rückgang aufden Kör- einer anderen, viel handfesteren Ebene der Kükelhaus’schen 
per der Versuch, angesichts der fühlbaren Leere des Gedankensein Unentschiedenheit, seiner „Balance” (die ja durchaus auch ihren 
Material des Redens vom Ich zu verschaffen. Kükelhaus dagegen richtigen Ort haben könnte). 
verwendet den ganz nüchternen, in der klinischen Neurologie Kükelhaus war Handwerker, Tischler. In den Maler- und 
entwickelten Körperbegriff der Phänomenologen, einschließlich Tischlerzeitschriften rührte er mit traumwandlerischer Sicherheit 
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