Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Wahrnehmungspsychologie gezeigt wurde, nämlich: direkt, unter 
Überspringung der sozialen Wirklichkeit, Geometrie und kosmi- 
sche Heilslehre kurzzuschließen. Aber Kükelhaus sagt es eigentlich 
selber, z. B. auf dem Denkmalpflege- und Heimatschutztag in 
Münster 1937: „Um bei dem Bilde des Kristalls zu bleiben: welche 
Impulse muß unsere Produktion erhalten, damit überall dort, wo 
sich Heimat bilden will, ihre Einwirkung so geartet ist wie beim 
Wachsen eines Kristalls? Beim Kristall ist es nämlich so, daß ein 
winziger Anstoß genügt, um eine gesättigte Lösung zur stetig wach- 
senden Verfestigung in Kristallgestalt zu veranlassen. Eine zu 
magere und dünne Lösung kann auch der heftigste Anstoß nicht 
zur Kristallbildung bewegen. Nun ist aber der Zustand einer libera- 
listisch verwilderten Produktion mit einer zu dünnen Lösung zu 
£ vergleichen. Dort, wo sich Heimat bilden will, krankt und krebst 
N und verhungert sie beinahe in der Masse der Mindererzeugnisse 
und Unwerte, durch die sich die liberale Produktion auszeichnet 
und die sich gerade und eigentlich nur an der Heimatbildung als sol- 
ans innerste Handwerkerherz, war aber de facto als freier Mitarbei- che erweisen.” (Heimatschaffende Erzeugung, in: Tag für Denk- 
ter der DAF und dann als Handwerkspfleger für Oberschlesien eine malpflege und Heimatschutz Münster 1937, Tagungsbericht, Berlin 
jener Ideentechnokraten, die in ihrer furchtbaren Harmlosigkeit 1938, loof.) . VE na 
und Liebe zur Sache für das Nazi-Deutschland typisch waren. Die- Da Ist alles beisammen, Formlehre, Novalis Rückkehrsehnsucht 
ses Organisieren von Herzblut ist eigentlich das Problem. Man die natürliche Ruhe des Kristalls, und die Produktionssteigerung 
kann das aus der Werkbundtradition herleiten, aus der Kükelhaus der Heimatfront mit ihren auszumerzenden Unwerten. Aber es 
kommt und die er in gewissem Sinne auch nie verlassen hat. Der geht noch weiter: die zitierte Rede endet mit einer Beschwörung 
Werkbund verband von vornherein Ästhetik und Technokratie, °P Yin und Yang, die zugleich nl} entwaffnender Offenheit das Pro- 
Kunst und Weltmarkt, Schöpfergeist und Industrie, er wollte das pagandakonzept der Nazis enthält und es zugleich an Ort und Stelle 
Gute und Schöne reorganisieren: von oben nach unten, mit der anwendet - und sicherlich, ohne daß sich Kükelhaus dessen bewußt 
Maschinerie, mit dem Kapital, für den deutschen Platz auf dem War, sondern in stummer vorgedanklicher Mimesis: „Wir MUSSCH 
Weltmarkt, eine Verkaufsstrategie deutschen Wesens. Aber das wa- lernen, in polaren Spannungen und Zuordnungen zu denken. Mit 
ren entweder zwei Seelen geblieben, oder Kühle und Kultur hatten diesem Denken befinden WIE UNS 18 der Gesellschaft der größten 
das großbürgerlich gemildert und zu Anstand gebracht, und in den Führer und Gemeinschaftsgründer, die.die Menschheit hervorge; 
zwanziger Jahren war es so schon gar nicht mehr aktuell. Kükelhaus bracht hat. Das eingleisige spannungslose Weltbild der Jahrhun- 
leistete eine Reaktualisierung, wie Schultze-Naumburg, und die dertwende VEHRO chte dies alles nicht zu sehen und brachte damit 
Nazis waren dabei nicht nur die Bündnispartner, sondern das Zu- die Keimungsgründe des Lebens 0 die ärgste Gefahr. T Wer das 
rückkommen auf Standpunkte von 1914 nach der großen Rationali- System noch nicht b egiffen hat, würde Jetzt vermuten, hier Ser die 
sierungswelle der zwanziger Jahre machte aus dem Denkansatz Wende fällig, und WS verknüpft mit dem Namen Adolf Hitler 
unweigerlich etwas ganz anderes. oder dem Dritten Reich, und wir hätten ein schönes, umstandslos 
Noch das war nicht faschistisch per se. Es war nur ungeheuer Zur Denunzierung brauchbares Zitat. Ab er das passiert Kükelhaus 
brauchbar für die Nazis, und die Nazis benutzten solche Leute dann nicht. Sondern Sr hält auch hieram bewährten leeren Allgemeinen 
auch. Kükelhaus war, von Lindner und Schultze-Naumburg nach fest, das den Blick mn die „D eutsche Warenkunde braucht, um 
Berlin und zur DAF geholt, da einer von vielen (über die in späteren überhaupt beziehbar zu sein, er meint nur „das vorbereitende kom- 
Heften dieser Zeitschrift zu reden sein wird). Keine Mörderbande, mende Weltbild (aa0.103). 
sondern das ganze Gegenteil: Leute, die ihr Herzanliegen im neuen Deswegen kann Kükelhaus 1953 den Text wieder vorlegen, das 
Staat auf ganz großer Ebene ausleben durften, nämlich, mit moder- Kommendes heißt jetzt Menschensohn, und der „Widersacher SS 
nen Techniken die Wiederkehr des guten Alten zu organisieren. „Urzahl und Gebärde > der zwischenzeitlich „liberalistische Pro- 
DAF, Deutsche Arbeitsfront, besagt auch nicht, daß sie direkt bei duktion hieß (und nicht jüdisches Kapital!), heißt jetzt Satan, und 
Herrn Ley saßen. Unter dem großen Dach gab es eben auch die Aal lich EN ohne den- auch nur für jemanden, der immer noch 
gleichgeschalteten Handwerkerorganisationen. In deren vertrau- nicht begiffen hat, naheliegenden 7 Exzeß, „Satan Pat Hitler Oder 
tem Rahmen saßen sie und taten, was sie sich schon immer ge- Himmler oder NS überhaupt, zu identifizieren, nein, das passiert 
wünscht hatten: Herzensdinge, über die man nicht positivistisch Kükelhaus auch Jetzt nicht. Und 1971, ID „Organismus und Tech- 
analytisch reden kann, technokratisch durchzusetzen. Indem nik”, sind auch Christus und Satan eingespart, die Bewältigung ist 
Kükelhaus die Handwerker am Lebensgeheimnis des vollkomme- vollzogen, Jetzt reicht die Yin-Yang-Balance von Organismus und 
nen Handwerkers teilnehmen ließ und sie derart innerlich aufrüste- Maschine aus. 
te, band er sie zugleich in die Produktionsstrategie seiner „Deut- 
schen Warenkunde” ein, die ja nichts als ein ganz technisches Orga- 
nisationsinstrument ist und sich in die allgemeine NS-Strategie IL. 
einfügt, das Handwerk für die zivile Bedarfsproduktion einzu- 
setzen, wo die gesamte Industrie für die Kriegswirtschaft gebraucht Es wäre nun ganz falsch, aus der Tatsache, daß Kükelhaus von der 
wurde. Alternativbewegung wieder rezipiert wird, auf deren Rechtsdrall zu 
Nichts davon ist natürlich im Text erkennbar. Die Texte sind schließen. Zum einen: Der Kontext hat sich eindeutig verändert. Es 
lupenrein. Der Nutzen, das NS-Geschick, liegt in der Struktur des sind Protestbewegungen im Gefolge der Apo von 1968, die sich 
Vorgehens, dieser ungreifbaren Schaukel zwischen Handwerker- heute die.rechten Topoi und Gegenstände aneignen. Dabei wird 
herz und Organisation, Naturgeheimnis und Kriegswirtschaft, ohne alles aufgesogen, was nahrhaft zu sein verspricht, ohne daß ein ent- 
daß irgendwo der wirkliche Text herausträte. sprechendes Unterscheidungsvermögen ausgebildet wäre. Wer da 
Aber hier existierte der Text, als mörderische NS-Wirklichkeit. nur auf die Inhalte schaut, auf die Herkunft der Motive, auf ihren 
Da hilft die taoistische Balance im Kopf nicht weiter. Und das klassischen Kontext, der sieht an dem tatsächlichen politischen Pro- 
eigentlich Bezeichnende ist nun, daß Kükelhaus von Anfangan auf zeß völlig vorbei. Hier wird nicht nach rechts abgedriftet, sondern 
das Wegbalancieren dieser Wirklichkeit eingestellt war, längst ehe umgekehrt sind ganz unterschiedliche soziale Bewegungen und 
sie sich ganz entfaltet hatte. Durch das ganze Gedankengewimmel Schichten dabei, der Rechten wegzunehmen, was die Linke in der 
von „Urzeit und Gebärde” (1934) zieht sich ein Spengler’scher Krise an sich vermißt. 
Untergangsmythos. Es würde zu weit führen, ihn hier als den Zum andern ist das Problem viel konkreter und nicht an Kükel- 
eigentlichen Gegenstand seiner Formlehre darzulegen, die ja ihrer- haus, sondern an der Alternativbewegung zu verhandeln: warum 
seits wieder dieselbe Schaukelstruktur hat, wie sie an Kükelhaus’ sie dieses Mißverständnis Kükelhaus eigentlich braucht? Offen- 
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