Die Träume schärften freilich auch den Blick dafür, daß diese Schehen um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch
Mutter Erde selbst geschändet war, daß Natur und Land nicht ewig alte Sonne durch die Greuel bricht; die Donner rollen nur
außerhalb der sozio-ökonomischen Dynamik der Zeit als heile Ge- noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die
genwelt dastanden. Agrarrevolution und Rationalisierung der blaue Luft geflogen, und die Erde hebt sich verweint wie eine be-
Landwirtschaft, Unwissenheit oder Gewinnsucht führten im neun- freite Schöne, in neuer Glorie empor.”
zehnten Jahrhundert zu einer immer größeren Zerstörung der Na- 1980 wurde - mit einem Vorwort von Bernhard Grzimek-Klages”
turlandschaft und einer Verarmung der Kulturlandschaft. In Reak- Kampfschrift gegen die Ratio als einer akosmischen, lebensvernich-
tion darauf setzten schon in den 1830er Jahren Schutzbestrebungen tenden Macht erneut verbreitet: „Mögen (diese Gedanken)”, heißt
gegen die beginnende Landschaftszerstörung ein. In den 1880er es im begleitenden Schreiben, „die beabsichtigte Wirkung haben
und 1890er Jahren prägte dann der Berliner Musik-Professor und unsere maßgeblichen Zeitgenossen zu der gründlichen Besin-
Ernst Rudorff die entscheidenden Begriffe für diese ökologischen nung und Umkehr anhalten, deren es bedarf, wenn die Menschheit,
Bestrebungen: „Naturschutz” und „Heimatschutz”. Im ersten Jahr- ihre Kultur und ihre Grundlage in der Natur auf die Dauer erhalten
zehnt des 20. Jahrhunderts kamen Begriffe wie „Naturdenkmals- bleiben soll”. Die apokalyptischen Angste, welche die Expressioni-
pflege” „Naturpflege” und „Landespflege” hinzu. Um 1900 brachen sten bereits vor dem Weltkrieg seismographisch erfaßten, die
diese Bestrebungen dann ebenfalls in organisatorischer Form gesteigerte Untergangsfurcht heute - sie bilden den Rahmen,
durch: 1904 kam es zur Gründung des „Deutschen Bundes für Hei- innerhalb dessen der „Friede mit der Natur” als religiöse Erwar-
matschutz” 1909 wurde der ‚Verein Naturschutzpark” gebildet, tung, als Aufruf zur inneren Umkehr und zur Erneuerung der
nachdem bereits 1905 der Grundstock zum ersten deutschen „Na- anthropokosmischen Lebenseinheit einen zentralen Ort einnimmt.
turschutzpark” in der Lüneburger Heide gelegt worden war. Als „Ökopax” ist also eine von tiefen Entfremdungs-Angsten getragene
schützenswert wurden ebenso einzelne „Naturdenkmäler” oder Vision einer neuen Welt, auch wenn sie sich in der wilhelminischen
„Kulturdenkmale” wie „Naturschutzgebiete” oder vom Aussterben Zeit meist mit rückwärtsgewandtem Vokabular artikulierte.
bedrohte Tier- und Pflanzenarten erachtet, aber auch landschafts- Der Erste Weltkrieg hat die Entstehung einer radikalen „grünen”
gebundene Bauweisen, Brauchtum, „Heimatkunst” vor allem Bewegung in Deutschland gewaltig beschleunigt. Im Zentrum der
‚Volksmusik” und historisch geprägte Landschaftsbilder. So roman- „alternativen” Aktivitäten standen nun die Landanbau-Kommu-
tisch und patriotisch gefärbt alle diese Bestrebungen sind, so sehr nen. Wesentlicher Träger dieser Kommunebewegung wurde die
stoßen sie sich an der wirtschaftlichen Nutzenoptimierung als Quel- bürgerliche Jugendbewegung, die sich bereits in den letzten Jahren
le der Naturzerstörung und industriellen wie kommerziellen Land- vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend mit dem lebensreformeri-
schaftsentstellung. Aber ebenso wie bei den anderen Lebens- und schen Siedlungsgedanken befreundet hatte, schien sich doch hier
kulturreformerischen Bestrebungen entwickelt auch die Heimat- ein realisierbarer Weg des Ausstiegs aus der wilhelminischen Ge-
schutzbewegung keine wirkliche politische Radikalität in Deut- sellschaft zu eröffnen.
schland, sondern läßt sich politisch zähmen: 1906 wird in Preußen So wäre auch ohne Krieg der jugendbewegte Siedlergedanke
dem Kultusministerium eine „Staatliche Stelle für Naturdenkmal- gereift; der Krieg aber zerstörte nicht nur diese Vorkriegsansätze,
pflege” angegliedert; und seit Hugo Connwetz 1904 seine Denk- sondern brachte nach seinem Ende Deutschlands bis dahin größte
schrift.„Die Heimatkunde in der Schule. Grundlagen und Vorschlä- Siedlerbewegung aus jugendbewegtem Geiste in Gang. Die
ge zur Förderung der naturgeschichtlichen und geographischen materielle ebenso wie die geistige Not der Jugend waren Ursache
Heimatkunde in der Schule” veröffentlicht hatte, wird auch der dieses Siedlungsbooms in den Inflationsjahren von 1919 bis 1923.
Pädagogik ein neues Feld erschlossen. Parallel dazu muß das Auf- Wenn auch nach dem Ersten Weltkrieg die Jugendbewegten die
blühen volkstümlicher naturwissenschaftlicher Zeitschriften und zahlenmäßig wichtigsten Träger der Landsiedlungsbewegung
Bildungsinstitutionen wie etwa der schon 1889 in Berlin begründe- waren, so strahlte doch der Gedanke aus auf politisch-radikal
ten naturwissenschaftlichen Volksbildungsstätte „Urania” gesehen gesinnte Intellektuellen- und Arbeiterkreise. Bei ihnen speziell ist
werden. Überhaupt liegen damals neu- oder spätromantische die Wurzel der Okopax-Bewegung der Weimarer zeit zu suchen. Ihr
Volks-, Natur- und Heimatümelei in einer merkwürdigen Gemen- gemeinsamer Anreger wiederum waren die Siedlungs- und Genos-
gelage mit nüchterner naturwissenschaftlicher Erkenntnis, und in senschaftsideen Gustav Landauers. Seine anarchistische Siedlungs-
Büchern wie Wilhelm Bölsches berühmten „Liebesleben in der idee verschmolz nach 1918 mit dem Antimilitarismus und mit der
Natur” verschmelzen Biologie, Lebensreform und ein fast religiöser Ökologischen Idee. So zierte die anarcho-syndikalistische Siedlung
Monismus zu einem sehr zeittypischen weltanschaulichen Konglo- „Freie Erde” bei Düsseldorf® nicht nur die Marmortafel: „Im
merat von Naturwissenschaft und Mystik. Geiste Gustav Landauers besiedelten wir am 6. Juli 1921 dieses
Der mit der weiteren industriellen Entwicklung vorprogram- Brachland und nannten es bestimmunesgemäß ‚Freie Erde”,
7 N : sondern gleich nach der Landbesetzungsaktion errichteten die den
mierte Interessenkonflikt zwischen Natur- bzw. Kulturschutz und Grund'todenden Arbeiter cine Schrifttafel. di f di trebt
ökonomischen Privatinteressen ebenso wie die weiterwirkende, im He TOCSNESN SUET SIE SUN, GIELAL GI ESHEHIS
an Ss a1 naturgemäße Lebensweise hindeutete:
Grunde religiöse und gefühlsmäßige Betonung des Natur- und Hei- en A fr
matbegriffes gaben schon den damaligen Vorläufern der Öko-Be- „Wir lieben den Wald, wir lieben die Flur,
wegung eine psychische Dynamik, welche der staatliche Natur- Wir lieben die Erde, die Mutter Natur. )
schutz mit seiner notwendig Kompromiß-Haltung keineswegs ab- Wir lieben ‚den Menschen, vom Wahn befr eilt,
bremsen konnte. In Preußen wurden die Grenzen der gesetzlichen der großmäuligen Phrasen Besessenheit.
Hilfe bereits vor dem Weltkrieg deutlich,!® als vom dortigen Ab- Wir lieben die Tat, die Arbeit, die Kraft,
geordnetenhaus 1912 mit den Stimmen der Rechtsparteien und des die aus dem Chaos ein Neuland schafft.
Zentrums ein Antrag auf Erlaß eines Gesetzes zum Schutze Drum helft uns und schützt die erstehende Welt
der auf Privatgrund befindlichen Naturdenkmäler als nicht zu und schont uns den Wald, die Flur und das Feld.
duldender Eingriff der staatlichen Gewalt in die Interessensphäre Was sich hier noch wie die harmlose Übernahme des Naturschutz-
der Privateigner abgelehnt wurde. Schon ein Jahr später steuerte gedankens durch die Siedler ausnimmt, erhielt bei anderen anarchi-
der Philosoph Ludwig Klages für die Festschrift zum Ersten Frei- stischen Landkommunarden massive Züge der Großstadtfeind-
deutschen Jugendtag 1913 auf dem Hohen Meißner den Beitrag schaft. Friedrich Harjes etwa, Mitsiedler auf Heinrich Vogelers
„Mensch und Erde” bei,'” der als einer der ganz großen Manifeste Künstler-Siedlung Barkenhoff bei Worpswede, führte 1920 in einem
der radikalen Ökopax-Bewegung in Deutschland angesehen wer- Artikel „Stadt oder Genossenschaft und Kommune?!” aus: „Der
den muß. Dort wird die „muttermörderische” Verblendung derer, Sozialismus wird nur in freien Gemeinschaften und freien Genos-
die „in blinder Wut die eigene Mutter, die Erde, verheeren (I1...I), bis senschaften von unten auf wachsen. Alle revolutionäre Betätigung
alles Leben und schließlich sie selbst dem Nichts überliefert” sind, in den Städten, so notwendig sie ist, ist nur Zusammenbruch, Ab-
angeprangert und gegenüber der rationalen Wissenschaft aneintie- bau. Als Parallelerscheinungen hierzu sind die ländlichen Siedlun-
feres Wissen appelliert - an „das Wissen von der weltschaffenden gen, welche das Symbol des Neuaufbaus sind, zu betrachten (...)
Webekraft allverbindender Liebe”. Der Vortrag endete nach der Die direkte Aktion in den Städten ist die Kampfeswaffe des
Beschwörung der apokalyptischen Ereignisse des heraufziehenden —Syndikalismus als Mittel zum Niederbruch des heutigen Systems;
Weltkrieges mit der Prophezeihung: „Wunder werden zuletzt ge- die direkte Aktion auf dem Lande sind die Kommune und die
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