Peter Eisenmann: Ich bin Christopher Alex- sagen, ist absolut nicht das, was ich in meiner
ander das erste Mal vor genau zwei Minuten gestrigen Vorlesung gesagt habe. Selbstver-
begegnet, aber ich habe das Gefühl, ich ständlich bin ich davon überzeugt, daß es
würde ihn schon sehr lange kennen. 1959 sehr ernsthafte Leute gibt, die mit der privile-
arbeitete ich in Cambridge, USA, für Ben gierten Betrachtungsweise der Architektur
Thompson und TAC. Zu jener Zeit war aufräumen wollen. Doch Worte sind sehr,
Chris Alexander in Harvard. Dann ging ich sehr billig. Man kann an intellektuellen Dis-
nach Cambridge, Großbritannien, ohne zu kussionen, rechts, links, in der Mitte teilneh-
wissen, daß er schon dort gewesen war. Er men und den einen oder den anderen Weg
hatte dort Mathematik studiert und sich dann einschlagen. Ddoch wenn ich mir die Bauten
der Architektur zugewandt. ich war dort aus anschaue, die aus einer Betrachtungsweise
keinem besonderen Grund, einfach nur weil resultieren, die der meinigen verwandt ist,
Michael McKinnell mir gesagt hatte, daß ich und sie mit den Bauten jener Postmodernen
ungebildet sei und nach England gehen solle, vergleiche, dann stelle ich fest, daß die
um klüger zu werden. Sandy Wilson, eine Gebäude — wie auch immer die Worte
Kommilitonin an der Fakultät in Cambridge geklungen haben mögen — vollkommen
und heute dort Architekturprofessorin, gab unterschiedlich sind. Diametral entgegenge-
mir ein Manuskript zu lesen: Es war Alexan- setzt. In der Tat, ich weiß gar nicht genau,
ders Doktorarbeit, die später sein erstes worum es jenen Architekten eigentlich geht;
Buch werden sollte, Notes on the Synthesisof ich weiß allerdings, daß es ihnen nicht um
Form. Der Text verärgerte mich derart, daß Gefühle geht. So gesehen sind jene Gebäude
ich beschloß, meine eigene Doktorarbeit zu den entfremdeten Konstruktionen sehr ähn-
schreiben. Ihr Titel lautete Die formalen lich, die ihnen seit 1930 vorangegangen sind.
Grundlagen der modernen Architektur; es Alles, was ich sehe, ist: erstens, eine neue
war der Versuch, die Argumentation des und launenhafte Sprache, zweitens, vage,
Alexander’schen Buches dialektisch zu verfremdete und manieristische Anspielun-
widerlegen. Sein Buch wurde veröffentlicht; gen auf die Architekturgeschichte. Die gan-
meine Arbeit war so primitiv, daß ich niemals zen Spielereien der Strukturalisten und die
auch nur daran gedacht habe, sie zu veröf- ganzen Spielereien der Postmodernen sind in
fentlichen. meinen Augen nichts anderes als Intellektua-
Vorhin habe ich mir die Tonbandaufzeich- lismen, die mit dem Kern der Architektur
nung deiner gestrigen Vorlesung angehört, wenig zu tun haben. Jener hat, wie eh und je. Peter Eisenman
Chris; und wiederum stoße ich auf Argu- mit Gefühlen zu tun.
mente, denen ich widersprechen muß. Du .
sagst, daß wir unsere Kosmologie verändern PE: In der Jung’schen Kosmologie magst du ° “
müssen, eine Kosmologie, die ihre Grundla- ein fühlender Typ sein und ich ein denkender AM Gespräch
gen in der Physik und den Naturwissenschaf- Typ. Mir wird es nie gelingen, jene Gefühle
ten der Vergangenheit hat und in einem aufzubringen, die du verspürst, wie umge-
gewissen Sinn 300 Jahre alt ist. Sowei stimme kehrt mit Christopher Alexander
ich mit dir vollkommen überein. Du sagst m S z
auch, daß wr im Rahmen dieser Kosmologie CA: Uber die Sache mit dem fühlenden Typ
nur gewisse Ordnungssysteme verstehen kön- N dem nn LS gar
nen, z.B. sei uns das Ordnungssystem der On et u GfKatio ST Daß Pa MEN: aus: HGSD NEWS
Dampfmaschine zugänglich, da es unserer ‚Schen Klassifikationen. Daß wir unterschied-
kausalen, mechanistischen Betrachtungs- ichs se aufweisen, ist eine Tatsa-
weise der Welt entspreche, während uns das che, die nicht zu leugnen ist. Der Kern der
Ordnungssystem einer Symphonie von
Mozart nicht zugänglich sei.
Glaubst du nicht, daß die Aktivitäten der
französischen Strukturalisten den Versuch
darstellen, ein Ordnungssystem der Dinge im
Gegensatz zu einem Ordnungssystem der
Mechanismen herauszufinden, eine Ontolo-
gie der Dinge im Gegensatz zu einer Episte-
mologie der Dinge, d.h. eine innere Struk-
tur? Diese philosophischen Fragen beschäfti-
gen die Franzosen seit nun etwa 20 Jahren.
Sprichst du nicht von etwas Ahnliches?
Christopher Alexander: Ich weiß nicht, wel-
che Leute du meinst.
PE: Ich meine Roland Barthes, Michel Fou-
cault, Jacques Derrida.
CA: Was sagen sie?
PE: Sie sagen, daß es Strukuren im Inneren
der Dinge gibt und daß wir über die bloße
Funktion einer Symphonie oder einer literari-
schen Schrift hinausgehen müssen, um diese
eingeschriebenen Strukturen, das Ordnungs-
system dieser Dinge, erkennen zu können.
Und sie sagen, daß dieses Ordnungssystem
wenig mit den hierarchischen, mechanisti-
schen und deterministischen Ordnungssyste-
men der letzten 300 Jahre zu tun babe. Mir
hat das, was du in deiner Vorlesung gesagt
hast, zum Teil sehr gut gefallen. In der Tat
glaube ich, daß ich mich in den letzten zehn
bis fünfzehn Jahren meines Lebens bei mei-
ner Arbeit mit den gleichen Dingen beschäf-
tigt habe. Mein post-funktionalistischer Auf-
satz in Oppositions 6 unterstreicht z.B. einen
anderen Aspekt der Architektur jenseits der
Funktion.
CA: Ich weiß nicht, auf was du hinaus willst. ;
Was jene Postmodernen und Strukturalisten Christopher Alexander
a}