Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Peter Eisenmann: Ich bin Christopher Alex- sagen, ist absolut nicht das, was ich in meiner 
ander das erste Mal vor genau zwei Minuten gestrigen Vorlesung gesagt habe. Selbstver- 
begegnet, aber ich habe das Gefühl, ich ständlich bin ich davon überzeugt, daß es 
würde ihn schon sehr lange kennen. 1959 sehr ernsthafte Leute gibt, die mit der privile- 
arbeitete ich in Cambridge, USA, für Ben gierten Betrachtungsweise der Architektur 
Thompson und TAC. Zu jener Zeit war aufräumen wollen. Doch Worte sind sehr, 
Chris Alexander in Harvard. Dann ging ich sehr billig. Man kann an intellektuellen Dis- 
nach Cambridge, Großbritannien, ohne zu kussionen, rechts, links, in der Mitte teilneh- 
wissen, daß er schon dort gewesen war. Er men und den einen oder den anderen Weg 
hatte dort Mathematik studiert und sich dann einschlagen. Ddoch wenn ich mir die Bauten 
der Architektur zugewandt. ich war dort aus anschaue, die aus einer Betrachtungsweise 
keinem besonderen Grund, einfach nur weil resultieren, die der meinigen verwandt ist, 
Michael McKinnell mir gesagt hatte, daß ich und sie mit den Bauten jener Postmodernen 
ungebildet sei und nach England gehen solle, vergleiche, dann stelle ich fest, daß die 
um klüger zu werden. Sandy Wilson, eine Gebäude — wie auch immer die Worte 
Kommilitonin an der Fakultät in Cambridge geklungen haben mögen — vollkommen 
und heute dort Architekturprofessorin, gab unterschiedlich sind. Diametral entgegenge- 
mir ein Manuskript zu lesen: Es war Alexan- setzt. In der Tat, ich weiß gar nicht genau, 
ders Doktorarbeit, die später sein erstes worum es jenen Architekten eigentlich geht; 
Buch werden sollte, Notes on the Synthesisof ich weiß allerdings, daß es ihnen nicht um 
Form. Der Text verärgerte mich derart, daß Gefühle geht. So gesehen sind jene Gebäude 
ich beschloß, meine eigene Doktorarbeit zu den entfremdeten Konstruktionen sehr ähn- 
schreiben. Ihr Titel lautete Die formalen lich, die ihnen seit 1930 vorangegangen sind. 
Grundlagen der modernen Architektur; es Alles, was ich sehe, ist: erstens, eine neue 
war der Versuch, die Argumentation des und launenhafte Sprache, zweitens, vage, 
Alexander’schen Buches dialektisch zu verfremdete und manieristische Anspielun- 
widerlegen. Sein Buch wurde veröffentlicht; gen auf die Architekturgeschichte. Die gan- 
meine Arbeit war so primitiv, daß ich niemals zen Spielereien der Strukturalisten und die 
auch nur daran gedacht habe, sie zu veröf- ganzen Spielereien der Postmodernen sind in 
fentlichen. meinen Augen nichts anderes als Intellektua- 
Vorhin habe ich mir die Tonbandaufzeich- lismen, die mit dem Kern der Architektur 
nung deiner gestrigen Vorlesung angehört, wenig zu tun haben. Jener hat, wie eh und je. Peter Eisenman 
Chris; und wiederum stoße ich auf Argu- mit Gefühlen zu tun. 
mente, denen ich widersprechen muß. Du . 
sagst, daß wir unsere Kosmologie verändern PE: In der Jung’schen Kosmologie magst du ° “ 
müssen, eine Kosmologie, die ihre Grundla- ein fühlender Typ sein und ich ein denkender AM Gespräch 
gen in der Physik und den Naturwissenschaf- Typ. Mir wird es nie gelingen, jene Gefühle 
ten der Vergangenheit hat und in einem aufzubringen, die du verspürst, wie umge- 
gewissen Sinn 300 Jahre alt ist. Sowei stimme kehrt mit Christopher Alexander 
ich mit dir vollkommen überein. Du sagst m S z 
auch, daß wr im Rahmen dieser Kosmologie CA: Uber die Sache mit dem fühlenden Typ 
nur gewisse Ordnungssysteme verstehen kön- N dem nn LS gar 
nen, z.B. sei uns das Ordnungssystem der On et u GfKatio ST Daß Pa MEN: aus: HGSD NEWS 
Dampfmaschine zugänglich, da es unserer ‚Schen Klassifikationen. Daß wir unterschied- 
kausalen, mechanistischen Betrachtungs- ichs se aufweisen, ist eine Tatsa- 
weise der Welt entspreche, während uns das che, die nicht zu leugnen ist. Der Kern der 
Ordnungssystem einer Symphonie von 
Mozart nicht zugänglich sei. 
Glaubst du nicht, daß die Aktivitäten der 
französischen Strukturalisten den Versuch 
darstellen, ein Ordnungssystem der Dinge im 
Gegensatz zu einem Ordnungssystem der 
Mechanismen herauszufinden, eine Ontolo- 
gie der Dinge im Gegensatz zu einer Episte- 
mologie der Dinge, d.h. eine innere Struk- 
tur? Diese philosophischen Fragen beschäfti- 
gen die Franzosen seit nun etwa 20 Jahren. 
Sprichst du nicht von etwas Ahnliches? 
Christopher Alexander: Ich weiß nicht, wel- 
che Leute du meinst. 
PE: Ich meine Roland Barthes, Michel Fou- 
cault, Jacques Derrida. 
CA: Was sagen sie? 
PE: Sie sagen, daß es Strukuren im Inneren 
der Dinge gibt und daß wir über die bloße 
Funktion einer Symphonie oder einer literari- 
schen Schrift hinausgehen müssen, um diese 
eingeschriebenen Strukturen, das Ordnungs- 
system dieser Dinge, erkennen zu können. 
Und sie sagen, daß dieses Ordnungssystem 
wenig mit den hierarchischen, mechanisti- 
schen und deterministischen Ordnungssyste- 
men der letzten 300 Jahre zu tun babe. Mir 
hat das, was du in deiner Vorlesung gesagt 
hast, zum Teil sehr gut gefallen. In der Tat 
glaube ich, daß ich mich in den letzten zehn 
bis fünfzehn Jahren meines Lebens bei mei- 
ner Arbeit mit den gleichen Dingen beschäf- 
tigt habe. Mein post-funktionalistischer Auf- 
satz in Oppositions 6 unterstreicht z.B. einen 
anderen Aspekt der Architektur jenseits der 
Funktion. 
CA: Ich weiß nicht, auf was du hinaus willst. ; 
Was jene Postmodernen und Strukturalisten Christopher Alexander 
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