Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Die Stadt Kassel: im Politischen un- Erweiterung des Gesichtsfeldes der 
terscheidet sie sich nicht groß von » 99 Verwaltung selbst, liegt der eigentli- 
anderen Städten. Sie hat eine regie- Die Verwaldung che politische Erfolg von Beuys’ Ak- 
rende Partei, deren Vertreter vor al- ae Won | 
lem die Bürokratie vertreten, und ei- ex: as ist nun allgemein der aufkäre- 
ne Opposition, die über ein kleines als Aufklärung rische Gehalt der Beuys’schen Ver- 
Sperrpotential verfügt, sodaß ihr bei waldung? Was können wir an Über- 
den öffentlichen Beschlüssen Kon- tragbarem daraus lernen? — Zu- 
zessionen gemacht werden müssen. nächst ein Paradox: wir können dar- 
Diese Bschlüsse werden dann von aus lernen, daß es allgemeine Regeln 
der Bürokratie wieder unterlaufen. der politischen Opposition nicht 
Ein Beispiel: es wird zwar ein Etat gibt. In der 1970er Jahren, als die 
für Fahrradwege eingeräumt, diese Lehren aus dem Jahr 1968 gezogen 
Wege werden aber dann nicht etwa werden sollten und man sich für eine 
da gebaut, wo Radfahrer tatsächlich vorsorgliche Beteiligung und Einbe- 
vom Verkehr gefährdet sind; der ziehung der „Betroffenen” oder der 
Etat wird vielmehr zum Ausbau der Bürger im allgemeinen einsetzte, 
Parkwege verwendet. wurde vielfach die Frage diskutiert, 
Wie jede Universitätsstadt verfügt wie eine solche, nun im wörtlichen 
auch Kassel über eine APO von un- Sinne außerparlamentarische Wil- 
terschiedlichen Schattierungen, die lensäußerung institutionell in das po- 
jeweils Demos veranstalten; dieses ‘itische Geschehen eingebaut wer- 
Phänomen Ssituiert sich irgendwo den könnte. In England, wo früher 
zwischen Routine und Folklore. als bei uns Mißerfolge der Großplan- 
Schließlich hat Kassel eine Mono- ungen Öffentliche Boykott-Situatio- 
pol-Zeitung, die es versteht, aus po- nen hervorgerufen hatten, wurde auf 
litischen Nachrichten bloße Ereig- Vorschlag von Lord Scaffington die 
nisse, und aus bloßen Ereignissen obligatorische Bürgerbeteiligung in 
politische Nachrichten zu fabrizie- Planungsfragen eingeführt. In 
ren; wir nennen sie, wegen ihrer auf- Deutschland und in der Schweiz ent- 
bauenden Berichterstattung, die standen die sogenannten Bürgerini- 
„Positive Allgemeine”. Daneben tiativen, indem sich Gruppen von 
gibt es die alternative „Statt-Zei- Betroffenen als Veto-Power zu etab- 
tung”, die ihrer lokalen Verwurze- lieren versuchten. Die Rathäuser ka- 
lung dadurch gerecht wird, daß sie n DE ? men dieser Bewegung dadurch ent- 
vorwiegend überörtliche Fragen be- Die Basalte auf dem Friedrichsplatz Fotos: Annemarie Burckhardt gegen, die sie diesen Gruppen Ein- 
handelt: Frauenprobleme, Knast- blick, Mitspracherecht,ja sogar offi- 
probleme und Dritte Welt. ® Das angekündigte Programm, im sondern sich an dessen Spitze zu stel- ziellen Status und öffentlich bezahlte 
In. dieser Situation wirkte Beuys Rahmen der Bundesgartenschau len und einen Teil sich abzeichnen- Räume oder sogar Sekretariate offe- 
Verwaldung von Kassel aus zwei 1981 Kasseler Quartiere zu begrü- den Erfolges dem eigenen lädierten rierten. Kaum waren diese Gruppen 
Gründen autklärerisch: Sinmal des nen, war in rudimentären Anfängen Prestige zuzuschlagen. in der Weise etabliert (Beispiel For- 
a CO dar . steckengeblieben; die Bürger hatten . : um München), hörte man nichts 
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halb, weil sie als öffentliche Kontra- vergeblich auf wohnungsnahe Ver- Dieser Entschluß der Verwaltung n . ‚ nn A 
: . Ur nn a S . N . nehr von ihnen; die Routine der 
henten nicht die Politik wählt, son- besserungen gewartet. bewirkte ganz allgemein einen Stim- Verwaltung hatte sie absorbiert 
dern die Realität, nämlich die Büro- @ Die BuGa 1981 hatte sich garten- Mungswandel im Rathaus; nicht nur DE SC 
kratie; und dann, weil sie sich auf technische Fehlentscheidungen zu für die Beuys-Bäume, sondern auch Der Prozeß, der sich hierbei ab- 
der politischen Ebene weder auf die Schulden kommen lassen deren für andere das Gartenamt betreffen- spielte, kann folgendermaßen cha- 
Seite der legalen Gewalt stellt noch Veröffentlichung die Glaubwürdig- de Fragen, seien es Begehren von rakterisiert werden: Verwaltung und 
auf jene der Alternativen, sondern \eit des Gartenamtes erschütterte Bürgern oder allgemeine Entschlüs- Betroffenengruppen sind zwei ge- 
genau dazwischen, nämlich mit ei- . . se, etwa den Verzicht auf Unkraut- geneinander spielende „lernende Sy- 
nem Bein in der Bürokratie und mit Bei richtiger Einschätzung dieser vertilger: — Plötzlich wurde mög- steme”., So wie nach 1968 Bürgergrup- 
dem andern im Felde der Herausfor- Lage blieb der Kasseler Bürokratie lich, was kurz zuvor noch als uto- pen rasch gelernt haben, daß sie ge- 
derer eben dieser Bürokratie. Bei. nicht viel anderes übrig, als das Ex- pisch und wirklichkeitsfremd abge- wisse Verwaltungsentscheide angrei- 
des, die richtige Wahl der Zielrich- periment Beuys nicht nur zu dulden lehnt worden war. Darin, in dieser fen und sogar umwerfen können, so 
tung auf die Bürokratie, und die hat die Verwaltung in der Folge 
Stellung „zwischen” Offizialität und ebenso rasch gelernt, diese Angriffe 
Megalität haben jene Verblüffung zu parieren und die Willensäußerun- 
ausgelöst, die der Aktion zum Erfolg gen der Bürger in die von der Ver- 
verhalfen. waltung gewünschte Richtung umzu- 
Schlau genug hat Beuys die Sache biegen. Mit anderen Worten: jede 
angelegt; der geniale Einfall liegt in Aktion wirkt nur noch durch ihren 
der Verbindung von Baum und Überraschungseffekt auf die jeweils 
Stein. Eingeladen von der documen- andere Seite; kein Trick kann wie- 
ta 7, eine Skulptur auf dem Fried- derholt werden, denn nunmehr hat 
richsplatz zu entwerfen, schlug der Gegner eine Abwehrstrategie 
Beuys vor, hier die Basaltsteine ma- bereit. Nach der offiziellen Etablie- 
lerisch zu stapeln. Dieses erwies sich rung von Beiträgen, Bewohnerrä- 
als lebenswichtig für die Baumbe- ten, Mitsprachegremien und macht- 
pflanzung: denn als ein höchstge- losen Quartierparlamenten einer- 
stellter Beamter die Verwaldung von seits, der ideologischen Isolierung 
Kassel verbieten wollte, machte der von Demonstrationen, Verkehrs- 
sich eines Zugriffs in die Zuständig- blockierungen und Hausbesetzun- 
keit des d 7-Direktors schuldig und gen andererseits, schienen sich die 
mußte zurückkrebsen. Zudem ga- Fronten soweit wieder beruhigt zu 
rantiert die „soziale Plastik”, der haben, daß die Verwaltung wieder 
sich gleichen Schritts mit der Baum- zum System der routinemäßigen 
bepflanzung vermindernde Stein- Joseph Beuys beim Pflanzen des 2000sten Baumes Übertölpelung des Bürgers über- 
haufen auf dem Friedrichsplatz, die ging. 
Durchführung der Pflanzung bis zum In dieser Situation hat die „Ver- 
Ende. Gleich zu Anfang hatte ein waldung” gezeigt, daß es immer 
Journalist Beuys gefragt, was denn noch möglich ist, durch einen über- 
sei, wenn in Kassel diese 7000 Bäu- raschenden Einfall nicht nur Veto- 
me keinen Platz fänden, und Beuys Power zu entfalten, sondern sogar 
antwortete: „Dann pflanzen wir die Dinge durchzusetzen, die dem Kon- 
Bäume anderswo, dann wissen die zept der Verwaltung zuwiderlaufen. 
Bürger von Kassel, wenn die Steine Was Beuys getan hat, die Verwal- 
vom Friedrichsplatz weggefahren dung von Kassel, hätte, rein mate- 
werden, daß die Bürger von Göttin- riell, aus Anlaß der Bundesgarten- 
gen Bäume erhalten.” schau 1981 ebenfalls durchgeführt 
Gut gewählt war auch der Augen- werden können, wenn man es ge- 
blick. Die Kasseler Gartenbürokra- wollt hätte, Mann wollte aber nicht. 
tie hatte gerade die Bundesgarten- Deshalb hat Beuys’ Aktion über die- 
schau 1981 hinter sich gebracht, die sen materiellen Erfolg hinaus einen 
dreierlei Folgen hatte‘ Effekt der Aufklärung, der einer- 
. seits die Verwaltung zwingt, sich 
® Die Schaffung neuer und ge- kollaborativ zu verhalten, anderer: 
schönter Anlagen hatte Pflegeko- seits aber dem Bürger Mur macht, 
sten zur Folge, ohne daß für die ähnliche Dinge wieder zu verlangen. 
kommenden Jahre der Etat erhöht 
werden konnte. Lucius Burckhardt 
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