Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

Manfred Speidel 
DER BAUSTOFF LEHM ZWISCHEN WEST UND OST. 
Scheune mit Lehmausfachung in Hardheim / Odenwald Bauernhaus aus Lehm in Mittelungarn 
Lehm ist ein Material für schlechte Zeiten und für arme Leute. So Zukunft. Auf alle Fälle eignet sie sich für ganz ländliche Bezirke, 
meinen viele. Lehmbaubewegungen gab es bei uns immer nach besonders für landwirtschaftliche Arbeiterwohnungen ...” (S. 213) 
den Kriegen, in den Zeiten des Mangels an Holz (für Fachwerk), an Der Austausch von Lehm gegen sog. dauerhafte Materialien wie 
Kohle (für Brennöfen) und an Geld. Nach dem Ersten Weltkrieg gebrannte Ziegel und die neuen kalk- und zementgebundenen 
suchte man nach allen möglichen billigen Bauweisen, und man Steine ist in dieser Kritik angelegt, obgleich die guten bauphysi- 
kam am Lehmbau nicht vorbei trotz aller Vorbehalte. „Heute muß kalischen Eigenschaften des Lehms immer hervorgehoben 
nun auf Verbilligung des Kleinwohnungsbaus gesehen werden. werden. 
Das ist z.B. auch durch die Stampfbauweise, ihre verbesserte Form Die Wiener Siedler stellten 1921 für ihre Siedlung Rosenhügel 
und ähnliche Ausführungen möglich”, stellte M. Beetz in dem ihr Baumaterial selbst her. Aber, wie Klaus Novy es formulierte, 
Büchlein „Kleinwohnungshäuser” fest. Und auf der Innenseite des „das Projekt der Verwendung von Lehmstampfziegeln, die in 
Umschlags wird der Lehmdrahtbau als billigste Bauweise der Deutschland in Gebrauch waren, wurde zugunsten der sog. Pax- 
Gegenwart empfohlen, bei der neben Lehm jegliches Füllmaterial Ziegel, Schlackenbetonhohlsteine, die die Siedler ebenfalls selber 
verwendbar sei und mit der nicht nur einfache Schuppen, sondern pressen konnten, aufgegeben.” Er meint, daß man den Aufstieg der 
auch anspruchsvolle Landhäuser und Industriebauten entstehen Siedlerbewegung am Material ablesen könne. „Man kann die 
könnten. „Jeder Arbeiter auf dem Lande kann sich das Baumaterial Zukunft nicht auf Lehm bauen ... Schon Ende 1923 konnte man 
für ein schönes Anwesen mit Stall und Einfriedigung selbst zube- zum bewährten Ziegel, und zwar zur sog. Hohlbauweise, zurück- 
reiten.” Die Autoren sind Paur und Abigt, erschienen sind die kehren.” („Die Pioniere vom Rosenhügel”. Zur wirklichen Revo- 
Schriften im Heimkulturverlag, Wiesbaden. lution des Arbeiterwohnens durch die Wiener Siedler. Umbau 4) 
In diesen Notzeiten sind der massive Lehmbau, der Stampfbau, Lehmbau verkörpert sozialen Abstieg, zumindest aber Rück- 
Steinbau und andere holzsparende Verfahren aktuell. ständigkeit. Auch die Ziegelindustrie ächtete den Rohling Lehm. 
Auch Hermann Muthesius geht in seinem 1918 erschienenen 1927 schreibt Konrad Werner Schulze in „Der Ziegelbau” über 
Buch „Kleinhaus und Kleinsiedlung” näher auf den Lehm als Bau- den Lehmbau: „Regen ist sein Feind, Ungeziefer seine Freunde, 
material ein. „Durchaus verwendbar ist dagegen (im Gegensatzzur stärkere Belastungen sind ausgeschlossen, schon mäßige eine stän- 
Holzbauweise bei akutem Holzmangel, d. Verf.) die dörfliche dige Gefahr für das Haus und seine Bewohner. „Amtlich ist fest- 
Lehmwand. Sie ist heute noch in vielen Gegenden Deutschlands gestellt, daß eine Ersparnis gegenüber dem Ziegelbau nicht erzielt 
heimisch, ist standsicher und außerordentlich wärmehaltend und wird” (Oberregierungs- und Baurat Bode - Bauamt der Stadt 
spart in großem Maßstabe. Es wird dazu die Erde genommen, diein Kassel).” Zwei schauerliche Fotos eines unter Regen zusammen- 
lehmreichen Gegenden vor der Türe liegt. Die Baustoffkosten bei sinkenden Stampflehmhauses sollen den Text bekräftigen. Es 
der Lehmwand sind daher sehr gering, zumal auch der mit dem scheint so, als wäre der Lehmbau bereits eine echte Konkurrenz 
Lehm zu vermengende Strohhäcksel auf dem Lande billig ist. Die geworden, der die Ziegelindustrie in Gefahr brächte. Sicherlich 
bisherige Ausführungsweise hat nur zwei nicht unbeträchtliche sind viele Bauten aus Lehm nach dem 1. Weltkrieg unsachgemäß 
Mängel. Einmal nimmt die Herstellung sehr lange Zeit in erstellt worden, wie man in den Lehmbaubüchern, die nach dem 
Anspruch: „der schichtenweise Stampfvorgang braucht Trocken- Zweiten Weltkrieg erschienen sind, nachlesen kann. Aber diese 
zwischenzeiten; besser wären daher Mauern aus luftgetrockneten Bücher versuchen den Ursachen für die Bauschäden nachzugehen 
Ziegeln. Der andere Nachteil ist die Notwendigkeit eines wetter- und treten diesem schlechten Leumund entschieden entgegen. 
schützenden Kalkputzes, der sich aber nicht mit der Lehmschicht H. Pferdemenges, der eine Mischbauweise aus gebrannten 
verbindet und nur zu häufig herabfällt. Es bräuchte Verbesse- Ziegelsteinen und Lehm als Bauweise Leinetal 1946 veröffent- 
rungen. „Vielleicht hat bei dem Mangel an Baustoffen, der sich lichte, schreibt in dem Buch „Industrielle Beiträge zur abendlän- 
nach dem Kriege geltend machen wird, die Lehmbauweise eine dischen Lösung des Sozialproblems”: „Eine gute Sache, wie es der 
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