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Vom ITrren
Am 2. März wird im Münchner
Haus der Kunst Hermann Kerns
zweite Labyrinthe-Ausstellung
eröffnet. Die erste, 1981 in Mailand,
war für zwei Überraschungen gut.
Das vermeintlich nur Altertumsfor-
scher und Rätselfanatiker interessie-
rende Thema zog rund 120 000 Be-
sucher an, der (italienische) Katalog
erreichte innerhalb von 5 Monaten
die dritte Auflage und erschien kurz
darauf, zum Handbuch erweitert,
endlich auch im eigenen Lande des
„Propheten”. (Hermann Kern, „La-
byrinthe”, München 1982. Vgl. auch
Daidalos, Heft 3, März 1982). Die
Villa Savoye von Le Corbus zweite Überraschung erlebte der
Besucher bei näherer Betrachtung
der Exponate: Im kretischen Laby-
rinth und all seinen Variationen und
Kopien bis hin zur Renaissance
konnte man sich überhaupt nicht
verlaufen. Sie waren „einläufig”, an
keiner Stelle gab es die Möglichkeit
einer Richtungsentscheidung. Was
soll also die bekannte Geschichte
vom Faden der listigen Ariadne, mit
R . dessen Hilfe allein Theseus den
Ein Freiluftmuseum Minotaurus im Labyrinth und sel-
ber wieder herausgefunden haben
; soll? Was soll überhaupt so ein
für das Ni eue Bauen Labyrinth, in dem man sich nicht
einmal verlaufen kann?
Eine mögliche Erklärung läge dar-
in, daß Theseus und Ariadne nicht
Die Idee von Jean Dethier, einem der zierte Haus von Gustave Eiffel, das wußten, daß der Faden zur Orientie-
Ausstellungsmacher des Centre nicht nur dem Verfall sondern auch rung überflüssig war. Der ständige
Pompidou ist bestechend und ein- dem Abriß ausgesetzt ist. (Es soll Richtungswechsel suggerierte ein
fach: Auf ein und derselben Fläche einer Autobahntrasse weichen). Es Verirren, das die Anlage gar nicht
drei Baudenkmäler der Wohnhaus- ist eines der wenigen Beispiele Zuließ. Das Verirren fand allein im
architektur, die durch ihre künstle- gelungener Vorfabrikation (Metall- Kopfe statt - ein tröstliches Bild. Da-
tische und technologische Originali- plattenkonstruktion) und soll dem für spricht, daß das Labyrinth, ur-
tät Wegbereiter ihrer Epochen wur- Projekt nach auf dem anliegenden sprünglich keine bauliche Anlage
den, zu vereinigen. Drei Beispiele Grundstück der Villa Savoye, durch sondern ein symbolisches Zeichen
aus dem 18./19. und 20. Jh. sollen auf . . eine Baumallee visuell getrennt. für den Weg durch Tod und Wieder-
einem Grundstück, auf dem sich “RANCOIS COINTREAU, Projet de mai- „ou aufgebaut werden. geburt, in seiner Entstehungszeit
schon die Villa Savoye von Le Cor- son en terre (1787) 3) Für das 18. Jh. und als drittes Bei- (spätestens im 2. Jahrtausend vor
busier befindet, die Infrastruktur spiel soll ein Haus aus Backstein, Chr.) Bestandteil eines Geheimwis-
zu diesem Museum bilden, gleich- eine „Villa Bourgoise” von Francois Sens war, das nur durch ein Einwei-
zeitig aber auch vor Verfall oder M AI Ss ON Cointreau, Vater des „Nouveau _hungsritual enthüllt werden konnte.
Abriß gerettet werden. Pise”, (eine moderne und zuverläs- Der Mythos berichtet „auch, daß
1) Für das 20. Jh., und fast vollstän- DE 7 | sige Erdkonstruktion), auf dem dem Verstorbenen am Eingang zum
dig renoviert, steht die Villa Savoye TERRE ov PI SE! oben zitierten Terrain rekonstruiert Jenseits die Hälfte einer Wegestruk-
als Beispiel und Höhepunkt des - , werden. Diese Villa würde zusam- (tur vorgelegt wird, welche er richtig
Neuen Bauens. Sie wurde 1929 von DECOREE, men mit der Villa Eiffel als Galerie ergänzen muß, um eingelassen zu
Le Corbusier und Pierre Jeanneret für verschiedenartige Ausstellungen werden. Diese Aufgabe scheint
entworfen und fertiggestellt und funktionieren, die Villa Le Corbu- leichter, als sie tatsächlich ist. Eine
1958 durch eine internationale Pro- sier als Seminar- und Konferenz- Ahnung davon erhältjeder, der nach
testkampagne vor dem Abriß geret- möglichkeit. In den kleineren Zim- einem eher flüchtigen Blick auf die
tet. Seit 1965 unter Denkmalschutz, mern sollen Bureaus, Gästezimmer Zeichnung des originären Laby-
gehört sie heute dem Ministere de la und eine Ausstellung der von Le rinths dieses aus dem Gedächtnis
Culture, das im Zusammenhang mit Corbusier entworfenen Möbel MNachzuzeichnen versucht. In einer
dem Centre George Pompidou die untergebracht werden. Zeit, in der gerade die ersten geome-
„Journeges Architecturales” mit Für dieses Projekt spricht, daß es rischen Richtungsorientierungen
Ortsbesichtigung für Presse und verglichen mit anderen Museums- Überhaupt herausgearbeitet wur-
Architekten, organisiert hat. Sechs projekten kaum Kosten verursacht; den, mußte das Begreifen der doch
Photographen stellen gleichzeitig Ss = dagegen, daß es sich in Poissy befin- recht trickreichen Struktur des
ihre verschiedenen „Ansichten” der x det, 20 Minuten von Paris entfernt- Labyripths ein Maß von geistiger
Villa Savoye im CCI (G. Pompidou) * a eine Herausforderung für den Pari- Entwicklung voraussetzen, über
bis zum 6. 1. 85 aus. A Ce ser Zentralismus! welches eben nur eine eingeweihte
2) Als Beispiel für das 19. Jh. steht ne NS Te Minderheit verfügte.
das einzige noch erhaltene vorfabri- EDEL Maria Luisa Mülleı Das Labyrinth als Symbol der Su-