Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

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Vom ITrren 
Am 2. März wird im Münchner 
Haus der Kunst Hermann Kerns 
zweite Labyrinthe-Ausstellung 
eröffnet. Die erste, 1981 in Mailand, 
war für zwei Überraschungen gut. 
Das vermeintlich nur Altertumsfor- 
scher und Rätselfanatiker interessie- 
rende Thema zog rund 120 000 Be- 
sucher an, der (italienische) Katalog 
erreichte innerhalb von 5 Monaten 
die dritte Auflage und erschien kurz 
darauf, zum Handbuch erweitert, 
endlich auch im eigenen Lande des 
„Propheten”. (Hermann Kern, „La- 
byrinthe”, München 1982. Vgl. auch 
Daidalos, Heft 3, März 1982). Die 
Villa Savoye von Le Corbus zweite Überraschung erlebte der 
Besucher bei näherer Betrachtung 
der Exponate: Im kretischen Laby- 
rinth und all seinen Variationen und 
Kopien bis hin zur Renaissance 
konnte man sich überhaupt nicht 
verlaufen. Sie waren „einläufig”, an 
keiner Stelle gab es die Möglichkeit 
einer Richtungsentscheidung. Was 
soll also die bekannte Geschichte 
vom Faden der listigen Ariadne, mit 
R . dessen Hilfe allein Theseus den 
Ein Freiluftmuseum Minotaurus im Labyrinth und sel- 
ber wieder herausgefunden haben 
; soll? Was soll überhaupt so ein 
für das Ni eue Bauen Labyrinth, in dem man sich nicht 
einmal verlaufen kann? 
Eine mögliche Erklärung läge dar- 
in, daß Theseus und Ariadne nicht 
Die Idee von Jean Dethier, einem der zierte Haus von Gustave Eiffel, das wußten, daß der Faden zur Orientie- 
Ausstellungsmacher des Centre nicht nur dem Verfall sondern auch rung überflüssig war. Der ständige 
Pompidou ist bestechend und ein- dem Abriß ausgesetzt ist. (Es soll Richtungswechsel suggerierte ein 
fach: Auf ein und derselben Fläche einer Autobahntrasse weichen). Es Verirren, das die Anlage gar nicht 
drei Baudenkmäler der Wohnhaus- ist eines der wenigen Beispiele Zuließ. Das Verirren fand allein im 
architektur, die durch ihre künstle- gelungener Vorfabrikation (Metall- Kopfe statt - ein tröstliches Bild. Da- 
tische und technologische Originali- plattenkonstruktion) und soll dem für spricht, daß das Labyrinth, ur- 
tät Wegbereiter ihrer Epochen wur- Projekt nach auf dem anliegenden sprünglich keine bauliche Anlage 
den, zu vereinigen. Drei Beispiele Grundstück der Villa Savoye, durch sondern ein symbolisches Zeichen 
aus dem 18./19. und 20. Jh. sollen auf . . eine Baumallee visuell getrennt. für den Weg durch Tod und Wieder- 
einem Grundstück, auf dem sich “RANCOIS COINTREAU, Projet de mai- „ou aufgebaut werden. geburt, in seiner Entstehungszeit 
schon die Villa Savoye von Le Cor- son en terre (1787) 3) Für das 18. Jh. und als drittes Bei- (spätestens im 2. Jahrtausend vor 
busier befindet, die Infrastruktur spiel soll ein Haus aus Backstein, Chr.) Bestandteil eines Geheimwis- 
zu diesem Museum bilden, gleich- eine „Villa Bourgoise” von Francois Sens war, das nur durch ein Einwei- 
zeitig aber auch vor Verfall oder M AI Ss ON Cointreau, Vater des „Nouveau _hungsritual enthüllt werden konnte. 
Abriß gerettet werden. Pise”, (eine moderne und zuverläs- Der Mythos berichtet „auch, daß 
1) Für das 20. Jh., und fast vollstän- DE 7 | sige Erdkonstruktion), auf dem dem Verstorbenen am Eingang zum 
dig renoviert, steht die Villa Savoye TERRE ov PI SE! oben zitierten Terrain rekonstruiert Jenseits die Hälfte einer Wegestruk- 
als Beispiel und Höhepunkt des - , werden. Diese Villa würde zusam- (tur vorgelegt wird, welche er richtig 
Neuen Bauens. Sie wurde 1929 von DECOREE, men mit der Villa Eiffel als Galerie ergänzen muß, um eingelassen zu 
Le Corbusier und Pierre Jeanneret für verschiedenartige Ausstellungen werden. Diese Aufgabe scheint 
entworfen und fertiggestellt und funktionieren, die Villa Le Corbu- leichter, als sie tatsächlich ist. Eine 
1958 durch eine internationale Pro- sier als Seminar- und Konferenz- Ahnung davon erhältjeder, der nach 
testkampagne vor dem Abriß geret- möglichkeit. In den kleineren Zim- einem eher flüchtigen Blick auf die 
tet. Seit 1965 unter Denkmalschutz, mern sollen Bureaus, Gästezimmer Zeichnung des originären Laby- 
gehört sie heute dem Ministere de la und eine Ausstellung der von Le rinths dieses aus dem Gedächtnis 
Culture, das im Zusammenhang mit Corbusier entworfenen Möbel MNachzuzeichnen versucht. In einer 
dem Centre George Pompidou die untergebracht werden. Zeit, in der gerade die ersten geome- 
„Journeges Architecturales” mit Für dieses Projekt spricht, daß es rischen Richtungsorientierungen 
Ortsbesichtigung für Presse und verglichen mit anderen Museums- Überhaupt herausgearbeitet wur- 
Architekten, organisiert hat. Sechs projekten kaum Kosten verursacht; den, mußte das Begreifen der doch 
Photographen stellen gleichzeitig Ss = dagegen, daß es sich in Poissy befin- recht trickreichen Struktur des 
ihre verschiedenen „Ansichten” der x det, 20 Minuten von Paris entfernt- Labyripths ein Maß von geistiger 
Villa Savoye im CCI (G. Pompidou) * a eine Herausforderung für den Pari- Entwicklung voraussetzen, über 
bis zum 6. 1. 85 aus. A Ce ser Zentralismus! welches eben nur eine eingeweihte 
2) Als Beispiel für das 19. Jh. steht ne NS Te Minderheit verfügte. 
das einzige noch erhaltene vorfabri- EDEL Maria Luisa Mülleı Das Labyrinth als Symbol der Su-
	        

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