Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

Manfred Speidel 
WOHNHAUSGRUNDRISSE VON HEINZ BIENEFELD 
„Das eigentliche Ziel der Baukunst ist das, Räume zu schaffen.” Das französische Palais zeigt die Form für eine differenzierte und 
So beginnt der erste Band der Sechs Bücher vom Bauen von Fried- systematisierte Gesellschaft. Das Raumpaar Vestibül und Salon 
rich Ostendorf, 1913, und dieser Satz ist das Motto von Heinz Biene- drückt räumlich die wichtige und regulierte Beziehung des Warte- 
feld. Ostendorf führt dann weiter aus, und auch das gilt für Heinz  Empfangsraumes zum Festsaal aus; das Vestibül baut in Größe und 
Bienefeld Wort für Wort: „... Entwerfen heißt: die einfachste Ausstellung architektonisch die Szenerie des Salons mit auf, so wie 
Erscheinungsform für ein Bauprogramm finden, wobei „einfach” die zur Herrschaft gehörende Dienerschaft diese erhöht und eng 
natürlich mit Bezug auf den Organismus und nicht etwa mit Bezug mit ihr verwoben ist.” Die im einzelnen genau differenzierten wei- 
auf das Kleid zu verstehen ist!”” Sackur, der Herausgeber der drit- teren Räume, aber auch die privaten Schlafzimmer beziehen sich 
ten Auflage dieses Buches, ergänzt in seinem Vorwort diesen auf den Salon, er ist ihr Fokus. Im kleineren Palais wird das Vestibül 
Standpunkt: die Frage ist nun, „wie entwirft der Architekt ein zu einem zweiten Brennpunkt. Das Dielenhaus hat im Zentrum 
Raumgebilde und wie muß ein Raumgebilde beschaffen sein, um den großen Arbeits- und Lebensraum, und es kann das Bild vom 
dem Besucher zur räumlichen Anschauung zu kommen.”” Das römischen Atrium und palladianischen Saal in sich aufnehmen. 
Ziel der Architektur ist das, eine räumliche Anschauung zu ermög- 
lichen - und nicht etwa vorrangig bestimmten Zwecken zu dienen - Lt .s 
und der Ausgangspunkt dafür ist es, eine Raumidee oder eine zz a! | 
Raumordnung zu schaffen. | 
Es ist hier kein Platz für die historische Ableitung dieser Vorstel- To 
lung von Baukunst. Ostendorf sieht den Höhepunkt dieser Kunst 
der Raumbildung im 18. Jahrhundert, und er setzt ihren Anfang mit 
der Renaissance. Die räumliche Vorstellung, die „seit den Tagen 
der Renaissance zum Gesetz alles Entwerfens und Bauens gewor- 
den war”,” und die seit Schinkel malerischen Gruppierungen gewi- 
chen ist, ist Grundbedingung des Hausentwurfes wie des Stadt- 3 Ss 
baus. Ebenso wie das Raumgeflecht des Hauses aus räumlicher N 
Anschauung entstehen muß, um einheitlich, klar, bestimmt und 
von einer Kraft der Überzeugung sein zu können, muß es auch des . 5 
Hauses Beziehung zur Umgebung sein, mag es mit den Linien des Das Flurhaus bestimmt ein anderes Lebensmodell. Der Flur, der 
Baukörpers Außenräume formen, seine wichtigsten Raumbildun- auch große Diele sein kann, schirmt die Raumgruppen voneinander 
gen als Fortsetzungen der Umgebung entnehmen oder sich gegen ab, wie auch der palladianische Saal, aber er hat keine Wohn- oder 
diese abschließen, um mit einem Hofe sich nach innen zu entfalten. Festraumfunktionen und gewährt daher auch den Hauptwohnräu- 
Andererseits aber sollen sich auch die vielen, unseren heutigen Men Abgeschiedenheit und Intimität, die bei den anderen Raum- 
Lebensbedürfnissen entsprechenden speziellen Räume an eine Ordnungen nicht gegeben ist. 
Haupt-Raumordnung anschließen; allerdings müssen sie dann wie- . 
der mit räumlichen Mitteln, das können z. B. Achsenbezüge sein, A ; 
untereinander verbunden werden, um eine Einheitlichkeit zurück- Km ke = 
zugewinnen. Diese drei Stufen: eine klare Raumordnung, eine ein- ss . wi Off A 
deutige Beziehung zur Umgebung und die über Achsen hergestell- f De A HN 
te Beziehung der einzelnen Räume untereinander und zum Haupt- E A 7 ! A; 
raum, charakterisieren die Hausentwürfe Heinz Bienefelds. 1; — On az , Beine er 
Die nächste Frage ist nun, welche Form die wichtigste Raum- A Cham“ A, SS — 
folge, der Ordnungs-Raum, annehmen solle. Für Ostendorf gibt es % € . K Wa 
nur ein Modell, das höfische Vestibülhaus des französischen 18. Ka / =< Zi 
Jahrhunderts mit dem Raumpaar Vestibül-Salon. Bienefeld dage- ie Pa 
gen findet auch klare Raumordnungen bei den Römern, beim 
Atriumhaus, bei Palladios Saal-Häusern, aber auch in den anony- 
men Flur- und Dielenhäusern der Städte und Dörfer Mitteleuropas. Heinz Bienefeld hat alle diese Raumordnungen in Entwürfen 
Sicherlich sind diese Raummodelle für moderne Nur-Wohnhäuser und Bauten ausprobiert und zu komplexen Formen verbunden. Bei 
zunächst künstlerische Hüllen für einen bürgerlichen, gehobenen allen Entwürfen verfolgt er zwei weitere, ergänzende Ziele, ein 
Lebensstil, Objekte sich daran zu ergötzen, weniger mit einer _dÄästhetisches und ein kulturelles. Die klare Ordnung soll ermögli- 
bestimmten Lebensform verbundene Gebilde, als vielmehr gerade chen, daß auch die kleinen Bauten im Inneren groß wirken. Die 
wegen ihrer historischen Distanz von allerlei gesellschaftlichen Raumklarheit soll aber auch Objektivität und Allgemeingültigkeit 
Zwängen oder bestimmten Lebens- und Arbeitsformen freie garantieren, Wesentlichkeit jenseits individualistischer Eigenbrö- 
Raumbildungen. Trotzdem strukturieren diese Raummodelle For- delei 
men des Zusammenlebens. Das Atriumhaus stellt die Raumge- 
meinschaft einer autonomen, nach außen hin sich abschließenden 
Familie dar, die einen eigenen Herrschaftsbereich kontrolliert. i a 
Das palladianische Saalhaus und das Vestibülschlößchen des 
französischen 18. Jahrhunderts bilden Raumfolgen als Hierarchien 
aus. Das palladianische Haus hat Vorhalle oder Loggia, Vorraum 
und Saal, die von nicht weiter spezifizierten mittleren und kleinen 
Räumen umschlossen sind. Der Saal trennt diese Räume voneinan- SS Rz | 
der und erhält im Alltag die Funktion einer großen Diele. über > A
	        

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