Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

den”. Wenig zerstört sind die Straßen gibt sich nicht nur aus den Forderungen für Bau- und Wohnungswesen 
und vor allem die Leitungssysteme der Grundeigentümer, sondern auch 11.10.1955 und Abgeordnetenhaus 
unter den Straßen. Das private, klein- aus der allgemeinen politischen Kon- von Berlin 13. 11. 1954). Im Erläute- 
teilige Grundeigentum - ein wesentli- stellation und der Notwendigkeit, hier rungsbericht des Richtplans vom 
ches Element der Stadtstruktur des spä- in West-Berlin nach grundsätzlichande- 11.3.1955 werden die zwei geplanten 
ten 19. Jahrhunderts - ist noch weit- ren Richtlinien zu verfahren, als sie Hauptstraßenzüge festgeschrieben, die 
gehend unangetastet: Von 164 Grund- etwa in Ost-Berlin - Stalinallee - an- vorhandenen Straßen aber ansonsten 
stücken insgesamt befinden sich 146 in gewendet werden.” (Verwendbarkeit weitgehend berücksichtigt. Die aufge- 
Privatbesitz. All diese Merkmale, die 1954) Oder mit anderen Worten: „Ber- gebenen Verkehrswege sollen nicht be- 
der Realisierung einer neuen Be- lin ist gezwungen, Eigentümeraufbau baut werden, damit am vorhandenen 
bauung a la Kreuer u. a. im Wege ste- zu treiben, denn es muß als Gegenbei- Leitungsnetz nichts geändert werden 
hen und deren Beseitigung immense spiel zur Stalinallee etwas hinstellen, braucht. Dadurch soll insgesamt eine 
Kosten verursachen müssen, spielen was gegenüber der Rechtswillkür und wesentliche Verringerung der Kosten 
bei der Ausschreibung und Entschei- dem Kollektivismus des Ostens die für Tiefbauarbeiten erreicht werden. 
dung des Wettbewerbs eine relativ schöpferische Kraft der Privatinitiative An Infrastruktureinrichtungen sind 
untergeordnete Rolle. Als Schwierig- dokumentiert” (Seifarth 1954). Kriti- eine Kindertagesstätte für ca. 80 Kin- 
keit erkannt ist allerdings die „tiefbau- siert wird weiter die moderne, d. h. der, eine Volksbücherei, eine katholi- 
technische Aufgabe des Anschlusses auch kostenintensive Neuorganisation sche, eine evangelische Kirche und ein 
einer in ihrer Anordnung völlig neuen des Straßennetzes bei Kreuer u. a.: „Ich Kino mit Ladenstraße vorgesehen. Ge- 
Bebauung an ein vorhandenes Lei- glaube nicht, daß wir es uns leisten kön- lingt die Spurenlöschung der alten 
tungsnetz” (Schweer 1953). nen, vorhandene Straßen beliebig Stadt bezüglich der Straßen nicht ganz, 
Als 1954 die Idee einer Internationa- abzuknicken und zu verschwenken.” so bleibt sie in der Frage der Bebauung 
len Bauausstellung für das Jahr 1956 (Verwendbarkeit 1954). Fazit des Ver- weiter Programm: „nicht annähernd so 
mit dem neuen Hansaviertel als Zen- merks vom 11. 2. 1954: Der Entwurfist wie es war, sondern nach modernsten 
trum festere Konturen annimmt”, muß „für die Durchführung einer ... Ausstel- Gesichtspunkten” (Artikeldienst Inter- 
der Sicherung des Erfolgs dieses risiko- lung wenig geeignet, ein ‚Versagen des bau 1.9. 1956). Die Bebauung soll auf- 
beladenen Prestigeobjekts alles unter- Entwurfs” ist zu erwarten (Verwend- gelockert, die Grünflächen vergrößert 
geordnet werden: Das „Schaufenster barkeit 1954). und die Gebäudehöhen differenziert 
des Westens” darf sich nicht blamieren. Im Laufe des Jahres 1954 wird der werden. Insgesamt ist eine Reduktion 
Zunächst wird der siegreiche Wettbe- Wettbewerbsentwurf durch Jobst der Baumassen um mehr als die Hälfte 
werbsentwurf von Kreuer u. a. zu Fall mehrfach überarbeitet Abgeordneten- geplant, was auch eine potentielle 
gebracht. Da die vorgeschlagenen Ge- haus von Berlin 13. 11. 1954), wobei Wertminderung der Grundstücke be- 
bäude als „Raumabschlüsse” wirken, aus wirtschaftlichen Gründen die ge- deutet. Die Einwohnerzahl - 1938: 
so die Argumentation, können sie plante Baudichte etwas erhöht wird. Im 7000, 1948: 1200 - soll 1958 3500 Per- 
keine „Individualitäten” darstellen. Zuge der ‚Weiterentwicklung” des sonen betragen. Das Verhältnis bebau- 
„Dem widerspricht aber die wichtigste Entwurfs durch den „Leitenden Aus- te Fläche/Freifläche wird von früher 
Zielsetzung des Ausstellungsvorha- schuß” der Interbau und die Berliner 1:1,5 auf 1:5,5 gesenkt, der Tiergarten 
bens, nämlich eine Fülle von baulichen Bauverwaltung wird unter maßgeblicher um 6500 m? vergrößert. Grundlage die- 
Individualitäten zu schaffen durch Her- Beteiligung von Otto Bartning, dem ses Programms bleibt die formelhafte, 
anziehung von namhaften Architekten Vorsitzenden des Leitenden Ausschus- nicht im einzelnen belegte Abqualifi- 
des In- und Auslandes” (Verwendbar- ses und Präsidenten des Bundes Deut- zierung der Reste der alten Stadt. Noch 
keit 1954). Deutlich wird hier die Zu- scher Architekten, ein weitgehend im Vorwort des amtlichen Katalogs zur 
rücknahme des städtebaulichen An- neuer Bebauungsvorschlag entwickelt. Interbau nimmt Bundespräsident 
spruchs zugunsten einer Präsentation Da wegen des Fehlens eines detaillier- Theodor Heuss diese zur Legitimation 
von Einzelgebäuden. Auch unter politi- ten Bauprogramms noch kein Be- notwendige Pflicht der Exkommunika- 
schen Gesichtspunkten wird der Wett- bauungsplanverfahren eingeleitet wer- tion auf sich: „Denn das sogenannte 
bewerbsentwurf attackiert: Durch die den kann, wird ein „Richtplan” für das ‘Hansaviertel” dessen so totale Ver- 
Reduzierung der Baumassen auf nur Hansaviertel erstellt, der als Grundlage nichtung den Raum für eine einheitli- 
wenige Körper werde die Reprivatisie- für die Aufstellung rechtsverbindlicher che Lösung anbot (und damit zugleich 
rung des Eigentums an Grund und Bo- Bebauungspläne bzw. zur Bearbeitung ja die rechte Aufgabe), gehört zu jenen 
den nach erfolgter Baulandumlegung von Baugesuchen nach dem Planungs- Stadtteilen der rasch wachsenden jun- 
außerordentlich erschwert. Diese „er- gesetz vom 22. 8. 1949 dient (Ausschuß gen Reichshauptstadt, die schlechter- 
Das zerstörte Hansaviertel 1945 (aus: INTERBAU BERLIN 1957. S. 335: dings keinen künstlerisch oder auch nur 
lokalhistorisch interessanten Baukör- 
per enthielt” (S. 12) 
Mit der Konstituierung der „Aktien- 
gesellschaft für den Aufbau des Hansa- 
viertels” (Hansa AG), der Klärung der 
Finanzierung und der Durchführung 
der Bodenneuordnung werden die 
wichtigsten Voraussetzungen für das 
spätere Ausstellungsobjekt „Hansa- 
viertel” geschaffen. Unter Berücksichti- 
gung des „umfassenden Erfahrungs- 
schatzes großer Bau- und Betreuungs- 
gesellschaften” wird Ende 1954 eine 
Gesellschaft des privaten Rechts ge- 
gründet, die von der Deutschen Gesell- 
schaft zur Förderung des Wohnungs- 
baues Gemeinnützige AG, Berlin (De- 
Ge-Wo), der Gemeinnützigen Deut- 
schen Wohnungsbaugesellschaft mbH, 
Berlin-Hamburg-Frankfurt/Main
	        

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