Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

GLOSSAR: HALLE 
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D i e ] e Der Dielenraum erfuhr seit dem 16. Jhdt. je nach ökonomischem 
oder sozialem Programm unterschiedliche Abwandlungen. Als 
„Die besseren städtischen Bürgerhäuser aus dem 16. und 17. Jhdt. Produktionsstätte für den gemeinsam wirtschaftenden bäuerlichen 
öffnen dem Eintretenden sogleich große Hausflure, Vorplätze und Haushalt konnte er sich noch bis ins 19. Jhdt. hinein halten, es blieb 
Höfe. Häufig ist das ganze Erdgeschoß lediglich Vorhalle; die Woh- aber auch ein Lebensalltag erhalten, der keine „irgendwie geartete 
nungsräume (im oberdeutschen Bürgerhaus, d. Verf.) beginnen Intimsphäre zuließ, und der voll den Gesetzen der Ökonomik un- 
erst im ersten Stock. Die großen Vorplätze waren aber allen Haus- terlag, die den Tagesablauf bestimmten”. Ähnlich konnte es auch 
genossen zur gemeinen Benutzung: sie sind gleichsam die Allmen- j;n kleineren Bürgerhäusern einer norddeutschen Kleinstadt des 18. 
de des ‚ganzen Hauses”! Jhdts. noch aussehen, wie eine Beschreibung von Lingen an der 
Die Nutzungsvielfalt des Dielenraumes eines hansischen Kauf- Ems aus dem Jahr 1606 zeigt: „Die Stadt hat in sich zwei Straßen mit 
mannshauses des 16. Jhdts. schildert historisch ungenau, aber an- Häusern gebaut, nach vaterländischer Art, in denen man auch Pfer- 
schaulich. F. Unglaub: „Auf der Diele wurden die Waren aufgesta- de, Rinder und Schweine unterbringen kann. Diese Tiere bewoh- 
pelt, bis sie verladen wurden. Deshalb mag sie wochentags wohloft 1en die Diele. Im Hintergrund dieses Vorderteils, das heißt in der 
mehr den Eindruck eines Warenlagers und Packraumes gemacht Mitte OS Hauses, ist der Herd, von wo her der Rauch den Himmel 
haben als den eines Wohnraumes. Fässer, Kisten, Ballen und son- Sucht”. Noch 1775 „gebreche es an Heizöfen in den Häusern” und 
stige Kaufmannsgüter mögen sie damals eingeengt haben. Nuran CTst um 1787 „werden sie (die Bürger, d. Verf.) inne, daß die Stuben 
den Sonntagen (erst seit dem 18. Jhdt., d. Verf.) war sie frei und mit Ofen rathsamer sind und nicht so viel Feuer verschlingen”®. 
wurde nett und sauber hergerichtet und mit frischem Sand be- St b 
streut, in den die Hausmagd mit dem Besen allerlei Figuren zeich- uDe 
nete. Da wird sie wohl auch als Tanzplatz und Festsaal für kleinere Diese Feststellung scheint ohne Belang, tatsächlich bezeichnet sie 
Familienfeste benutzt worden sein. Aber auch sonst war die Diele aber einen tiefen Einschnitt in der Wohnweise des Bürgertums, 
der Repräsentationsraum des Hauses, wo man Besuch empfing.” denn erst durch den Einbau eines Ofens wurde ein heizbarer und 
n S rauchfreier Raum, die „Stube” geschaffen: „Die Stube ist eine der 
Der große ungeteilte Raum der Diele entsprach am besten den bedeutendsten und folgenreichsten Erfindungen für die mitteleu- 
verschiedenartigen Anforderungen der Wirtscha fis- und Sozialge- ropäische Wohnkultur, auf der auch die heutigen Wohnformen be- 
meinschaft des ‚ganzen Hauses’: „Die Angehörigen der großen pen”) Obschon im Mittelalter erfunden, wurde sie in ländlichen 
Familienhaushalte aus der vorbürgerlichen Zeit lebten in Räumen, Gebieten erst spät von der breiten Masse der Bevölkerung aufge- 
die man heute als Allzweckräume bezeichnen würde. Arbeit oder „ommen. Das offene Herdfeuer in der Hausdiele, dem Flett, in der 
Gewerbe, Konversation und Vergnügen - alles spielte sich in den- gleichermaßen gewohnt und gearbeitet wurde un dauchd as Vieh 
selben Räumen ab, in denen die herrschaftliche, bäuerliche oder untergebracht war, wurde aufgegeben zugunsten des Ofens, den 
Handwerkerfamilie mit dem Gesinde und den Arbeitskräften auch an an einen Sch Omstein anschloß. Dadurch war es mögli ch. den 
lebte, aß und schlief. Die räumliche Organisation der Häuser (hat) großen, überschaubaren Allzweckraum’ des offenen Rauchhauses 
die Absonderung eines einzelnen oder einer familiären Gemein- zu teilen, d. h. Wohn- und Arbeitsbereich räumlich voneinander zu 
schaft und damit Lebensformen, die WE heute mit Begriffen WIS trennen und das Obergeschoß abzuschließen. Später wurden noch 
Privatheit, Individualität und Intimität umschreiben, nicht zugelas- weitere Kammern und die Küche abgeteilt 
sen... Die vorherrschende Arbeits- und Lebenseinheit war nicht die Schon zu Beginn des 13. Jhdts. finden wir. jm Lübischen Bürger- 
Familie im heutigen Sinne, sondern (die Sozialform) des ‚ganzen a1 neben dem Eingang einen von der Diele abgetrennten Raum 
Hauses’, an dessen Spitze der patriarchalische Hausvater stand. qo,;0 nach Bedarf als Schlaf- oder Kontorraum dienen konnte und 
Zum Haushalt ‚gehörten weiterhin die Hausmutter, die für die dessen Einrichtung entsprechend ausgetauscht wurde. Meist be- 
Hauswirtschaft VENETIEN Sinne zuständig WAT: die mitarbeiten- stand sie aus einem einzigen beweglichen Großmöbel, beispiels- 
den Familienangehörigen, Zu denen auch die Kinder gezählt WU“ weise ein überdachtes Bettgestell mit seitlichen Vorhängen oder 
den, sowie das zahlenmäßig stark ins Gewicht fallende, oft leibeige- ein Kontormöbel mit Regalwand. 
ne Gesinde, der Handwerksgesellen und Hausbediensteten... Die Der „Separierung und Funktionalisierung der einzelnen Räume 
soziale Ungleichheit erschien gottgewollt. Deshalb wurde auch die innerhalb der Wohnung entspricht die generelle Tendenz des Bür- 
aus dem engen Zusammenleben der verschiedenen 5 chichten gertums zur Abschirmung des Privatbereichs vom öffentlichen 
zwangsläufig entstehende Vertrautheit untereinander über Jahr- Leben. Charakteristisch dafür ist die Konzentration auf die Familie, 
hunderte hinweg von den oberen Ständen nicht als eine soziale Ge- die sich nun nicht mehr als: ökonomische Einheit versteht”. 
fahr empfunden” Im Dielenraum hatten sich schon früh „eigene Abteile gebildet 
Form und Ausstattung der frühbürgerlichen Hausdiele waren (‚Winkel’ für die Alten, ‚Lucht’ als Sitz- und Eßecke, ‚Verschlag’ für 
wesentlich durch drei Faktoren bestimmt: einmal durch ihren Ver- die Schlafgelegenheiten), um schließlich zu eigenen Räumen zu 
wendungszweck als Stätte für Handel und Kleingewerbe; z. B. hatte werden: ‚geschlossenes’ Wohnen ist erreicht oder mit anderen Wor- 
die Diele in den Hansestädten eine Höhe von 3,5-5,5 m, nicht um ten das ‚Kleinraumwohnen’”®. Ähnliches beschreibt F. Unglaub: 
beladene Fuhrwerke aufnehmen zu können, sondern weil sie als „Je mehr der Einraum sich gliedert, je differenzierter sein Grundriß 
Zwischenlager genutzt wurde zum Stapeln von Waren. Zum zwei- wird, um so mehr verschwindet sein eigentliches Wesen”"®. Und 
ten war sie Verkehrs- und Erschließungsraum: nur über die „Hauß- im Blick zurück auf die ‚gute, alte Zeit’ stellt der konservative W. H. 
Diele”, den „freyen Platz in einem Gebäude”, erreichte man alle Riehl fest: „Die breiten Vorplätze sind zu einem armseligen schma- 
Kammern, Nischen wie auch den Vorplatz im ersten Stock, zudem len Hausgang zusammengeschrumpft. Für den Einzelnen ist das 
anfangs im 13. Jhdt. eine Wendeltreppe führte. Und darüberhinaus moderne Haus wohnlicher, geräumiger geworden, für die Familie 
diente der Dielenraum immer mehr zur. Repräsentation des enger und ärmer”"”. Dafür entsteht der Salon, „der bedeutsamste 
‚Hauses’. Im selben Maße wie seit dem 16. Jhdt. die wirtschaftliche Raum im vornehmen bürgerlichen Hause. Er dient aber auch nicht 
Nutzung zurückging oder auch ausgelagert wurde, wuchs die reprä- dem ‚Hause’, sondern der ‚Gesellschaft’” 122) 
sentative Aufgabe der Diele: Dielensäule und Deckenbalken er- UÜberdauerte der Dielenraum, blieben oft auch Reste einer ehe- 
hielten reichere Schmuckformen, die Deckendielen wurden be- mals gemeinschaftlichen Nutzung erhalten, was insbesondere von 
malt, die Wände vertäfelt und aufwendigere gerade Treppenanla- Kindern wahrgenommen wurde. J. W. Goethe beschreibt das für 
gen ersetzten die einfache Wendeltreppe. die Zeit um 1755 in Frankfurt am Main: „Für uns Kinder war der un-
	        
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