Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

tere weitläufige Hausflur der liebste Raum, welche vor der Türe ein abteilen und Dampferkabinen angestellt wurden, erarbeitete der 
großes hölzernes Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit Grundrißtüftler A. Klein seinen Raumgruppengrundriß: er unter- 
der Straße und der freien Luft in Verbindung kam. Einen solchen schied in der Wohnung zwei Raumgruppen, „erstens Schlafräume, 
Vogelbauer, mit dem viele Häuser versehen waren, nannte manein Schrankzimmer und Bad, zweitens Wohn- und Eßzimmer nebst 
Geräms. Die Frauen saßen darin, um zu nähen und zu stricken; die Küche” und ersetzte den üblichen dunklen und verbauten Flur 
Köchin las ihren Salat; die Nachbarinnen besprachen sich von da- durch „einen hellen breiten Vorraum”, der räumlich in die zweite 
her miteinander ... Man fühlte sich frei, indem man mit dem Öffent- Raumgruppe einbezogen wurde und einen „Eindruck von bedeu- 
lichen vertraut war”“?® Bis in die 70er Jahre des 19. Jhdts. war „cin tender Geräumigkeit und eine 6,70 m lange Perspektive” bot”. 
historisches Haus mit entsprechendem Interieur nämlich besserals Damit wurde das letzte Überbleibsel der einstigen ‚Halle’, der Flur- 
alles andere geeignet, ‚Legitimität’ innerhalb der Stadtgesellschaft raum von einem seiner früher abgesonderten Räume geschluckt: 
zu vermitteln, wie es Th. Mann so anschaulich in den ‚Budden- die ‚Halle’ war wiedererstanden - aber unter völlig veränderten Be- 
brooks’ anläßlich des Verkaufs des Mengstraßenhauses an den neu- dingungen. Jetzt ging es um Kosten, um teuer bezahlte Wohnflä- 
und schwerreichen Hagenström schildert” chen und es ging auch darum, diesen wenigen Raum optimal zu 
nutzen. Ahnliche Überlegungen stellten auch L. Hilberseimer und 
Halle O. Haesler mit dem Kabinengrundriß an. 
Nur wer sich’s weiterhin leisten konnte, öffnete sein Haus auch im 
19. und 20. Jhdt. mit einer repräsentativen Diele, die nun auch Halle We ohn hal le 
genannt wurde. So schreibt z. B. Fr. Ostendorf 1914: „Ein Teil des Das Thema Raumgruppenbildung im Geschoßwohnungsbau und 
Flurraumes wird oft als Halle oder Diele zu einer Art Wohnraum Integration des Erschließungsflurs in den Wohnraum wurde immer 
gemacht. Man gelangt dann in der Regel durch den Windfang un- dann diskutiert, wenn die Vereinzelung der Räume und der in 
mittelbar in diese Diele, und von ihr aus führt die Haupttreppe zum ihnen lebenden Menschen aufgebrochen werden sollte. Oswald 
Obergeschoß. Bei kleineren Häusern sollte man aber lieber auf die Mathias Ungers z. B. kontrastierte in seinen eher formal bestimm- 
Anlage einer Diele, durch welche der Grundriß vergrößert wirdund ten Grundrissen im Märkischen Viertel den abgeschlossenen Indi- 
die Baukosten erhöht werden, verzichten” ®, vidual- bzw. Eingangsbereich mit dem großflächig geöffneten 
Die proletarische Familie wäre mit weniger zufrieden ECwEseN, Wohnbereich, dem „freien Aktivitätsraum”“?. In der Auseinan- 
aber zu oft traf auch für städtische Wohnverhältnisse zu, was W. H. dersetzung mit ihrer Wohnung im Märkischen Viertel kommt I. 
Riehl für das Land beschrieb: „Auf der untersten Stufe bäuerlicher Rakowitz 1975 zu weitergehenden Forderungen: „Verstehste was 
Armuth treffen wir freilich ein scheinbar ähnliches Bild wieder, wo das fürn Quatsch is? Quadratmetermäßig würde die Wohnung 
auch die ganze Familie auf einem einzigen häuslichen Raum zu- reichlich ausreichen für vier Kinder, wenn sie anders eingeteilt 
sammengedrängt ist; aber nicht in eine weite, geräumige Wohn- wäre: so wie sie jetzt is, reicht sie nur für zwei Kinder - also so was is 
und Speisehalle, sondern in ungesunde Winkel, nicht im Bewußt- ein hirnverbrannter Blödsinn! Das is nun familiengerecht? Das is 
sein der Familienhaftigkeit und des Familienregiments, sondern also genau das, was man nicht als familiengerecht bezeichnet: in un- 
bloß aus Noth”“”, A. Bebel beschreibt diesen armseligen proletari- serer Wohnung läufst du dich tot, rennst durch Flure, die zu nix 
schen ‚Einraum’: „Das ‚Licht der Welt’, in das ich nach meiner Nutze sind, die du aber als Hausfrau jeden Tag ablatschen mußt - 
Geburt blickte, war das trübe Licht einer zinnernen Oellampe, das paar Kilometer jeden Tag hin und her. Die Zimmer sind dafür zu 
notdürftig die grauen Wände einer großen Kasemattenstube be- Wein... Die Wohnungen, kannste alle nur Null-Acht-Fuffzehn ein- 
leuchtete, die zugleich Schlaf- und Wohnzimmer, Salon, Küche und richten: alle haben die Couch vorm Fenster, alle haben die Sessel 
Wirtschaftsraum war ... Meine Mutter erhielt die Erlaubnis, eine davor und dann is aus - Schrank klatsch an die andere Wand dann 
Art Kantine führen zu dürfen, das heißt sie hatte das Recht, allerlei biste Feierabend ... Ich würde überhaupt für Wohnungen plädieren, 
kleine Bedarfsartikel an die Mannschaften der Kasematten zu ver- die möglichst ohne Türen sind - ich stell mir ja ne familiengerechte 
kaufen, was in der einzigen Stube geschah, die wir inne hatten”(©, Wohnung ganz anders vor: einen großen zentralen Raum, den du 
„Erschöpft im Kampf um die nackte Existenz konnte die Arbeiter- gen Bedürfnissen entsprechend immer ändern kannst... Ich könnte 
familie nicht zu einer Ausgestaltung eigener Lebensformen gelan- mir das fantastisch vorstellen: dann kannste mit den Kindern toben 
gen”'”; sie war ökonomisch gar nicht in der Lage, eine Wohnung und kannste mal mit den Blagen spielen”? 
frei zu wählen oder gar zu gestalten. Ersteht in diesem Bild wieder die Diele als ‚Allzweckraum’? Oder 
Das Ideal einer Arbeiterwohnung sah anders aus - zumindest aus zeigt sich in dieser Abrechnung mit den neuen ‚Sozial’-Wohnungen 
der Sicht der frühen konservativen Wohnungsreformer: in dem von das psychische Elend der heutigen Kleinfamilie? Soviel wird jeden- 
C. W. Hoffmann 1847 vorgelegten Musterentwurf für die Berliner falls deutlich, die weiter vorn aufgeführten Voraussetzungen der 
Gemeinnützige Baugesellschaft sind schon „alle Elemente einer Diele wie wirtschaftliche Nutzung, Erschließung und Repräsenta- 
Angleichung der Arbeiterwohnung an die bürgerlich-städtischen tion treffen für diesen neuen ‚zentralen Raum’ nicht mehr zu. Hier 
Normen vorgesehen und eingearbeitet wie: abgeschlossene Woh- geht es vielmehr um die Selbstbestimmung eigener Lebens- und 
nung für eine Familie; Trennung von Schlafen und Kochen; Modell Wohnformen, die überhaupt erst in größeren Räumen möglich ist - 
der christlichen Familie; Prinzip der gegenseitigen Überwachung; wie es die nun allerdings von besser Verdienenden (Architekten, 
Einführung des Vorraumes (Flur, d. Verf.) zur getrennten Erschlie- [ehrernaberauch anderen) bevorzugten Altbauwohnungen in der 
Bung der einzelnen Räume;: direkte Erschließung der Wohnung Regel zeigen. Zum anderen deutet sich auch schon anderes an, 
durch die Treppe und Vermeidung von hausöffentlichen Erschlie- nämlich der alte kleinbürgerliche Traum vom gemeinschaftlichen 
ßungsflächen; Abbau sämtlicher Gemeinschaftseinrichtungen” 09. Leben, sei es auf dem Land, in der Wohngemeinschaft oder in einer 
In diesem Musterentwurfiist mit dem Typ des Zentralflurgrundrisses der neuen Gemeinschaftssiedlungen. Leicht abgewandelt bleibt 
eine Wohnungsform für den ‚kleinen Mann’ entwickelt worden, der die Forderung W. H. Riehls gültig: „Das architektonische Haus der 
im Massenwohnungsbau bis in die heutige Zeit millionenfach Zukunft muß von innen heraus gebaut werden, wie das soziale. 
reproduziert wurde. Seine Merkmale wie „ein gewisser Grad an Schafft erst die neue (Gemeinschaft), dann wird diese (Gemein- 
Selbständigkeit, von Abgeschlossenheit des Haushalts” sollten das schaft) sich selber ihr Haus bilden - ‚anleiben” “%. W. H. Riehl 
„Christliche Familienleben im Proletariat begründen und sichern” spricht natürlich von der ‚Familie”! 
helfen”. „Der funktionale Aufbau des Zentralflurgrundrisses ist Daneben bleibt als repräsentative Leerform die neupalladiani- 
dadurch gekennzeichnet, daß von einem Flur aus jeder Raum der sche Villa, die nur noch eine Ahnung von dem enthält, was Max 
Wohnung erschlossen wird, und funktionale Verknüpfungen der Weber den „Hauskommunismus der bürgerlichen Familie” nann- 
Räume über diesen Flur führen. Der Vorteil dieser Anforderunglag te. „Deshalb ist der Versuch, die alte Diele wieder aufleben zu las- 
darin, daß sich jeder Raum, der nicht durch seine Ausstattung, wie sen -so verlockend er in künstlerischer Hinsicht ist - ein Anachro- 
Küche oder Bad, festgelegt war, beliebig verwenden ließ, z. B.auch ni;smus. Ihre alte Form ist für den modernen Raumgedanken nicht 
für die Untervermietung” ©®, verwertbar, aber ihr Wesen sollte es sein”? 
Erst in den 20er Jahren, als Rationalisierungsbestrebungen auch Zusammengestellt und geschrieben von Sid Auffahrt 
die Organisation von Wohnräumen im Grundriß mit einbezogen 
und Vergleiche mit Zuschnitt und Abmessungen von Schlafwagen- Anmerkungen siehe Seite 60
	        
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