Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

archithese 4 archithese 5-84 
Das Thema „Ort”, Schwerpunkt von ist schwerpunktmäßig den Sied- 
archithese 3-84 (vgl. 78 ARCH”, S. lungs- und Wiederaufbaumaßnah- 
8) ragt in das 4. Heft und findet : . men in unterentwickelten Regionen 
scheinbar (hoffentlich nicht endgül- Zeitschriftenschau in Europa und in der sog. „Dritten 
tig) seinen Abschluß im 5. Heft des Welt” und der ersten Wiederaufbau- 
Jahrgangs ’84; leider liegt mir zum phase nach dem Kriege gewidmet, 
Redaktionsschluß die letzte archi- In der ersten „Abteilung” werden 
these ’84 noch nicht vor. Fortset- der Wiederaufbau von Bauernhöfen 
zung wird es durch Aufsätze zu in der Campania („Wiederaufbau 
historischen Formen der „interpre- it hith U A an in Castelnuovo di 
tation du ’locus’” (Malfroy), bei- m onza/Campania”), experimentelle 
spielhaft festgemacht an der Villa arch! hese‘ =.4854 arcChıu CSC: e = 5-84 Häuser in Peru („Maisons experi- 
Serego von Palladio (Malfroy, mentales Previ, Lima, Perou”), 
„Architecture de villa et interpreta- „Häuser in Man, Elfenbeinküste” 
tion du ’locus’”), an der „Antiken- | und Wiederaufbaumaßnahmen in 
konstruktion in der Havellandschaft erdbebengeschädigten Gebieten 
des Berliner Klassizismus” (Pieper, Guatemalas („Wiederaufbau in 
„Der Ort des Humanismus”) und an Guatemala”) vorgestellt - alles 
der Landschaftsmalerei C. D. Fried- „schweizerische” Projekte. Abge- 
richs (Grütter, „Die Landschaft als schlossen wird dieser Teil von einem 
[dentifikationsort”) (archithese 4- Beitrag von Löpfe „zum Problem 
84). Colli („Der Verlust des Ortes”) des Ethnozentrismus im Umgang 
setzt sich mit den philosophischen mit der 3. Welt” („Das Eigene und 
Grundlagen des Norberg-Schulz’- das Fremde”). 
schen „genius loci” auseinander. Sie Die zweite „Abteilung” beginnt 
weist darauf hin, daß sich der „städ- mit dem sehr informativen Aufsatz 
tische Ort... mehr und mehr zu einer von Meili und Peter über die ersten 
‚städtischen Auswirkung’ wand- Bereiche von Aufbau Wiederaufbau / Reconstructon Raumplanungsvorschläge, die er- 
le’”; man müsse erkennen, „daß Öffentlichkeit/Ort II sten Anstrengungen zur Industriali- 
der Tod des ‚genius loci” in der  Somalnes puBlca/Lieu fl na sierung der Bauproduktion, über 
kollektiven Erinnerung schon einge- den praktischen Wiederaufbau und 
treten” sei. Das Ignorieren des Ver- punkte hierfür lieferten. einheitlichen bürgerlichen‘ Öffent den staatlich gelenkten, sozialen 
schwindens des „genius loci” begün- Castex’s Beitrag („Eine Stadt lichkeit; sie setzt der Erwachsenen- Massenwohnungsbau in Frankreich 
stige nicht die „Möglichkeit einer Jesen: Versailles”) beschäftigt sich gesellschaft die „Kindergesellschaft” nach 1944 („Bauen in Frankreich 
Wiedergeburt, sondern vielmehr mit dem Zusammenhang zwischen gegenüber. Sensibel für die Alltags (nach 1944)”). Frank beschäftigt sich 
diejenige eines neuerlichen Verken- dem Dualismus von Öffentlichkeit Ästhetik spürt sie die Spuren (Krit- mit dem deutschen „Neuanfang” 
nens” (archithese 5-84). Die Fragen, und Privatheit und dem Stadtraum; zeleien, Linien und Markierungen) nach dem Kriege im Stadtbau, Woh- 
die sich m. E. in diesem Zusammen- dieser Dualismus ist jedoch nurein der „Kindergesellschaft” in gebau- nungswesen und in der Architektur 
hang stellen, sind die,ob esjemalsin Aspekt seiner „architektonischen ten Räumen und unfertigen räumli- ee Rettung „der Seele durch 
der Geschichte von Klassengesell- Geschichte der Stadt”. In seinem chen Situationen auf, die nicht nur Gestalt”). Um eine besondere bau- 
schaften eine solche „kollektive Versuch, die typologische-und mor- auf die reale und symbolische Er- liche Erscheinungsform des Wieder- 
Erinnerung” an einen „genius loci” ohologische Methode mit der oberungen und Besetzungen von aufbaus im britischen Besatzungs- 
gegeben hat und inwieweit in unse- anthropo-soziologischen Metho- Orten durch Kinder verweisen, son- gebiet, die „Nissen-Hütten”, und 
rer Gesellschaftsformation an eine de” zu verbinden, begreift er die dern zugleich in das kindliche ihre Nutzung dreht sich der Beitrag 
„Möglichkeit einer Wiedergeburt” Begriffe Öffentlichkeit und Pri- „Kommunikationssystem” und zu von Höhns („Wer einmal unter’m 
eines sog. „genius loci” überhaupt vatheit auch in ihren sozialen ihrer Gruppenkultur gehören. Blechdach saß”). Eine „verpaßte 
gedacht werden kann. A Dimensionen (Repräsentation und Es gibt also eine gruppenspezi- Gelegenheit” beim Nachkriegswie- 
Thematisch betrachtet, knüpftim Kontrolle vs. Aneignung, Verände- fisch segmentierte, vermutlich auch deraufbau in Wien, dem erst im 19. 
weiteren Sinne der Themenschwer- rung und Markierung). Seiner Art eine sozial segmentierte Öffentlich- Jh. bebauten Glacis am Donauka- 
punkt der archithese 4-84 an diesen von Geschichtsschreibung, inderer keit. Hierum kreist der Beitrag von nal, erörtert Birkner („Die 
Fragestellungen an: „Bereiche von vorrangig von den Bestandteilender Führ und Stemmrich („Inhalte von Geschichte korregieren?”). Den 
Öffentlichkeit”. Er beginnt mit Stadt, Gebäudetypen und Gebäude- Öffentlichkeit”). Sie definieren Wiederaufbau Mailands und die 
einem einleitenden „Gespräch über block, auf das Gesamte der Stadt Öffentlichkeit als einen sozialen ihm zugrundeliegenden „reflexions 
den städtischen Raum” („Bereiche schließt, ist kritisch anzumerken: Sachverhalt, als „Vergemeinschaf- sur les catastrophes et la dynamique 
von Öffentlichkeit”), das Martin Die Stadt, vor allem von ihren sozial- tung von Handlungen und Erfah- urbaine” beschreibt Vitale („La 
Steinmann, der Redakteur der archi- -äumlichen und symbolischen rungen”, d. h. „als bestimmtes sozia- m6moire et les pierres”). Preusler’s 
these mit den Architekten Hoesli, {nhalten her gesehen, ist mehr als les Verhalten, das sich ausdifferen- Beitrag zu Schwagenscheidts städte- 
Marbach und Rüege, dem Stadtpla- ie einfache Summe ihrer Teile. Die zieren und unterschiedliche Inhalte baulicher Tätigkeit in der UdSSR in 
ner Wanner und mit dem Architek- Markierung von städtischen Räu- haben” kann. Anhand von Beispie- den 30er Jahren fällt etwas aus dem 
turhistoriker v. Moos führte. Bei men durch Kunst und Alltags- l!en zeigen sie, daß es verschiedene Rahmen des Heftschwerpunktes 
näherer Lektüre erscheint dieses Ästhetik und ihre öffentliche Funk- Arten und Formen von Öffentlich- „Ich gehe von dem wirklichen 
Gespräch eher als thematisches tion sind die Themen der Aufsätze keit gibt. Öffentlichkeit sei eine Leben aus...’ ”). Er behandelt ein in 
Gelenk zwischen den Schwerpunk- von Kesser („Plätze-Zeichen der „Dimension des sozialen Handelns” der „Fachöffentlichkeit” noch wenig 
ten „Ort” und „Öffentlichkeit”. Das, Gemeinschaft”), Cattaneo („Kritze- und nicht eine „Eigenschaft mehr bekanntes, m. E. aber bedeutsames 
was den städtischen „Ort” aus- ejen von Kindern - oder die Erobe- oder weniger offener, bloß architek- Kapitel deutscher Architekten- und 
mache, die Stadt als Form (Wanner), rung des gebauten Raumes”) und tonischer Volumen”. Gegen die Planergeschichte. Preusler gelingt 
als Bilderwelt (Steinmann), für von Holz („Zur Öffentlichkeitsfunk- gegenwärtige Stadtraumdiskussion CS, CIM8S der Ursachen der Ernüch- 
deren Gestaltung die „Grammatik tion von Kunst”). Den Kunstwerken gewendet, formulieren sie die terung der „modernen” Planer und 
des städtischen Raumes” anhand seien - so Holz - im architektoni- These, daß die ästhetische Fassung des Scheiterns der „Expedition des 
von geschichtlichen Beispielen erst schen und städtebaulichen Kontext von Architektur und Stadtraum Neuen Bauens” unter den gesell- 
wieder gelernt werden müsse (Stein- die Chancen zur Objektivierung allein nichts ermögliche; die mate- Schaftlichen, materiellen und ideo- 
mann), stehen eigentlic# im Mittel- vegeben - Gestaltung kollektiver rielle Umwelt setze nur gewisse logischen Bedingungen des sich im 
punkt des Gesprächs. Abgesehen Funktion und nicht bloß Ausdruck Bedingungen bei der Konstitution Aufbau befindenden sozialistischen 
von der m. E. unzulässigen Reduk- von Subjektivität zu sein”. Wenn von Öffentlichkeit. „Nur durch Staates aufzuzeigen. 
tion der Begriffe Öffentlichkeit und yavon ausgegangen wird, die Kunst bestimmte soziale Handlungsreize Nach fast einem Jahrgang archi- 
Privatheit auf ausschließlich räum- Kong „ein wichtiges Moment der und -anlässe (werde) eine je spezi- these, der einige Einblicke in 
liche Kategorien scheint es für ewußtseinsbildung, des kollekti- (sche Öffentlichkeit erreicht” aktuelle Diskussionen um Architek- 
solche Gespräche unter „Fachge- ven Selbstverständnisses werden” (Führ/Stemmrich). Erst auf der !ur und Städtebau gewährte, kann 
nossen” charakteristisch zu sein, (Holz), so stellen sich m. E. zwangs. Basis der Erkenntnis, daß in unserer Man gespannt dem neuen Jahrgang 
N läufig die Fragen nach der Wahrneh- Gesellschaftsformation Öffentlich- des Periodikas entgegensehen 
E u EIS mungskompetenz der Perzeptien- keit wie Privatheit nur als gruppen- ; 
„Ort” (vgl. 78 ARCH*) auf der phä- ten von Kunstwerken, nach den spezifisch und sozial segmentierte Erich Konter 
nomenologischen Ebene und im praktischen und psychischen Aneig- begriffen werden und Architektur Housing Review 
anschaulichen Denken zu verhar- nungsmöglichkeiten von Kunst und und Stadtraum nur als Medien using 
ren. Eine kritische Auseinanderset- nach der Existenz des vermeintli- sozialen Verhaltens und Handelns Nr. 6, Nov./Dez. 1984 
zung mit den Begriffen „Ort” und chen „Kollektivs” bzw. einereinheit- sein können, wird m. E. eine adä- Kaum Grund zum jubeln konsta- 
„Öffentlichkeit” und mit der Bedeu- lichen Öffentlichkeit in der bürgerli- dquatere Diskussion über den tiert Housing Review zum Ende des 
tungshaftigkeit des städtischen Rau- chen Gesellschaft. Cattaneo wider- Zusammenhang von Öffentlichkeit/ Jubiläumsjahres 1984 einleitend. 
mes fand nicht statt, obwohl Stein- [egt - wenn auch nur indirekt - die Privatheit und dem Sozialraum (Not Yet Much Cause for Jubilation 
mann, v. Moos und Wanner Ansatz- Auffassung über die Existenzeiner Stadt möglich. Ss. 225)
	        

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