Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

HIGH-TECH - HIGH-ART 
DIE ENGLISCHE DISKUSSION UM 
HIGH-TECH IN 
ARCHITECTURAL REVIEW 
Der folgende Beitrag gibt auszugsweise 
die Diskussion um High-Tech wieder, 
wie sie in Architectural Review seit 1981 
geführt wird. Da es sich dabei um ein sehr 
umfangreiches Material handelt, wurde 
die Form der Collage gewählt. Es wurde 
versucht, mit den jeweils interessantesten 
Passagen der einzelnen Artikel einen 
fortlaufenden Text zu erstellen. 
VON VOLLBLÜTERN, JA- 
GUARS UND GESCHMEI- 
DIGEM DESIGN 
it zwei riesigen, prestigeträch- 
»M tigen Verwaltungsquartieren 
. . ., das eine für Lloyd's in der Londo- 
ner City von Rogers, das andre für die 
Hongkong & Shanghai Bank von Foster 
Associates, ist die englische High-Tech- 
Architektur dabei, auf dem Kamm einer 
Woge zu reiten.« (Buchanan '83) 
»Bei all ihrer Technik-Faszination, 
das, was diese Generation englischer 
Architekten vor allem kennzeichnet, ist 
ihre Wertschátzung der starken engli- 
schen Tradition des eleganten Designs, 
der visuellen Geschlossenheit, der die 
Sinne ansprechenden Maschine. Die 
Franzosen haben in diesem Jahrhundert 
einige unvergleichliche und àuferst effi- 
ziente Maschinen entwickelt, aber wie 
leistungsfähig ihre Maschinen auch sind, 
sie sehen oft häßlich aus — oft mit einer 
Unmenge komplizierter Röhrensysteme 
befrachtet. Man schaue sich nur den ur- 
sprünglichen Wellblech-2CV von Citro- 
en oder Chapelons großartig zusammen- 
gesetzte Lokomotiven für die franzö- 
sischen Eisenbahnen an — oder Jean 
Prouvés Bauten. — [m Gegensatz dazu 
streben die Engländer nach glatten 
Oberflächen; Rohre und Kabel werden 
geschickt untergebracht oder verbor- 
gen. Sie suchen geschmeidige Kurven, 
gerundete Ecken, glänzende Verklei- 
dungen. Man schaue sich Gresley’s Pazi- 
fik-Lokomotiven oder William Lyon’s 
E-Type des Jaguar an.« (Glancey) 
»Citroens mögen brilliant erfinde- 
rische Ingenieurleistungen sein und auf 
ihre eigene Weise auch schön. aber 
Aston Martins oder Jaguars besitzen die 
kraftvoll geschmeidige Sinnlichkeit des 
Vollblüters. In ähnlicher Weise sind 
Prouves Bauten konzeptionelle Höhe- 
punkte von High-Tech, aber ihnen eig- 
net eine gallische Anti-Sachlichkeit, ih- 
nen fehlt die Materialverfeinerung. Die 
konzeptionelle Idee wird auf Kosten des 
haptischen und optischen Reizes hervor- 
gehoben. 
Im Unterschied dazu gelingt es bei 
den Bauten von Foster oder Rogers — 
wie streng in der Konzeption sie auch 
sein mögen — mit ihren glatten Oberflä- 
chen und schön skulpturierten Trag- 
strukturen und Verbindungselementen, 
mechanistischen Formen eine verführe- 
rische Sinnlichkeit und einen Ausdruck 
von Lebendigkeit zu geben.« 
»Engländer schätzen gute Zucht nicht 
nur bei Pferden, sondern auch bei Ma- 
schinen.^ (Buchanan '83) ,,Das Glatte 
und Geschmeidige, das Vollblut, die 
'gut erzogene' Maschine: sie sind me- 
chanische Nachfolger für das Rasse- 
pferd. Betrachten wir Sainsbury Centre, 
wahrscheinlich Norman Fosters bekann- 
testen Bau: Die Form ist geschmeidig 
und glatt, die 'Eingeweide' des Gebàu- 
des sind - obwohl schón detailliert — der 
Sicht weitgehend entzogen: die voll- 
kommene Lösung der fließenden Ober- 
fläche, der ausgeprägte Sinn für visuelle 
Geschlossenheit, für das Zusammen- 
stimmen, das richtige Maß, für ’gute 
Manieren‘.« 
»Verschiedene von Fosters Bauten 
ähneln denen von Jean Prouve. (Das 
Gebäude für die französische kommuni- 
stische Partei von 1971 kann der Aus- 
gangspunkt für Willis Faber and Dumas 
in Ipswich sein, die Ausstellungshalle in 
Grenoble (1967) der für das Sainsbury 
Centre und das Projekt für das französi- 
sche Erziehungsministerium der für die 
Hongkong & Shanghai Bank.) Aber 
während Prouve derb und prosaisch wie 
ein Grobschmied bei seinem Handwerk 
ist, ist Foster beredt und poetisch. Fo- 
ster hat die fortgeschrittene Bautechno- 
logie wenn nicht gezähmt, so ihr doch 
ein bezauberndes Antlitz gegeben. Er 
ist, wie die genannten englischen Inge- 
nieure, sehr fürs gestylte. Doch gerade 
dieses Etikett würde Foster weit von sich 
weisen.« (Glancey) 
»In dieser Vollblüter-Eigenschaft 
liegt das im Kern englische von High- 
Tech - obwohl hierzulande auch der Ro- 
binsonismus des Amateurs geschätzt 
wird, wie Peter Cook hervorhebt. High- 
Tech übt eine besondere Anziehungs- 
kraft auf eine Nation aus, für die Pferd 
und Technik jene Anregung der Sinne 
ersetzen, die ihrer Kultur ansonsten 
fehlt, und die jedenfalls dazu neigt, das 
Natürliche oder Quasi-Natürliche den 
Feinheiten der Kultur vorzuziehen.« 
(Buchanan '83) 
Ginge es allein ums hohe technische 
Niveau, es läge nahe, eine solche Lob- 
preisung des High-Tech als britische Er- 
rungenschaft auf das Konto englischen 
Nationalstolzes zu verbuchen. Aber of- 
fensichtlich sind es nicht so sehr techni- 
sche, sondern vor allem ästhetische Qua- 
litäten, für die eine englische Vorreiter- 
rolle reklamiert wird. Es geht weniger um 
High-Tech als um Architektur — oder ge- 
nauer: Design. 
DER 'ADLER' IST GELAN- 
DET: AUS DER KINDER- 
STUBE DER TECHNIK- 
FANS 
Die Interpreten streiten sich — namentlich 
bei Fosters Industriebauten — was hier 
Pate stand: der Stabilbaukasten oder 
doch auch (immer noch) jenes klassische 
Architekturideal, für das die griechischen 
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