HIGH-TECH - HIGH-ART
DIE ENGLISCHE DISKUSSION UM
HIGH-TECH IN
ARCHITECTURAL REVIEW
Der folgende Beitrag gibt auszugsweise
die Diskussion um High-Tech wieder,
wie sie in Architectural Review seit 1981
geführt wird. Da es sich dabei um ein sehr
umfangreiches Material handelt, wurde
die Form der Collage gewählt. Es wurde
versucht, mit den jeweils interessantesten
Passagen der einzelnen Artikel einen
fortlaufenden Text zu erstellen.
VON VOLLBLÜTERN, JA-
GUARS UND GESCHMEI-
DIGEM DESIGN
it zwei riesigen, prestigeträch-
»M tigen Verwaltungsquartieren
. . ., das eine für Lloyd's in der Londo-
ner City von Rogers, das andre für die
Hongkong & Shanghai Bank von Foster
Associates, ist die englische High-Tech-
Architektur dabei, auf dem Kamm einer
Woge zu reiten.« (Buchanan '83)
»Bei all ihrer Technik-Faszination,
das, was diese Generation englischer
Architekten vor allem kennzeichnet, ist
ihre Wertschátzung der starken engli-
schen Tradition des eleganten Designs,
der visuellen Geschlossenheit, der die
Sinne ansprechenden Maschine. Die
Franzosen haben in diesem Jahrhundert
einige unvergleichliche und àuferst effi-
ziente Maschinen entwickelt, aber wie
leistungsfähig ihre Maschinen auch sind,
sie sehen oft häßlich aus — oft mit einer
Unmenge komplizierter Röhrensysteme
befrachtet. Man schaue sich nur den ur-
sprünglichen Wellblech-2CV von Citro-
en oder Chapelons großartig zusammen-
gesetzte Lokomotiven für die franzö-
sischen Eisenbahnen an — oder Jean
Prouvés Bauten. — [m Gegensatz dazu
streben die Engländer nach glatten
Oberflächen; Rohre und Kabel werden
geschickt untergebracht oder verbor-
gen. Sie suchen geschmeidige Kurven,
gerundete Ecken, glänzende Verklei-
dungen. Man schaue sich Gresley’s Pazi-
fik-Lokomotiven oder William Lyon’s
E-Type des Jaguar an.« (Glancey)
»Citroens mögen brilliant erfinde-
rische Ingenieurleistungen sein und auf
ihre eigene Weise auch schön. aber
Aston Martins oder Jaguars besitzen die
kraftvoll geschmeidige Sinnlichkeit des
Vollblüters. In ähnlicher Weise sind
Prouves Bauten konzeptionelle Höhe-
punkte von High-Tech, aber ihnen eig-
net eine gallische Anti-Sachlichkeit, ih-
nen fehlt die Materialverfeinerung. Die
konzeptionelle Idee wird auf Kosten des
haptischen und optischen Reizes hervor-
gehoben.
Im Unterschied dazu gelingt es bei
den Bauten von Foster oder Rogers —
wie streng in der Konzeption sie auch
sein mögen — mit ihren glatten Oberflä-
chen und schön skulpturierten Trag-
strukturen und Verbindungselementen,
mechanistischen Formen eine verführe-
rische Sinnlichkeit und einen Ausdruck
von Lebendigkeit zu geben.«
»Engländer schätzen gute Zucht nicht
nur bei Pferden, sondern auch bei Ma-
schinen.^ (Buchanan '83) ,,Das Glatte
und Geschmeidige, das Vollblut, die
'gut erzogene' Maschine: sie sind me-
chanische Nachfolger für das Rasse-
pferd. Betrachten wir Sainsbury Centre,
wahrscheinlich Norman Fosters bekann-
testen Bau: Die Form ist geschmeidig
und glatt, die 'Eingeweide' des Gebàu-
des sind - obwohl schón detailliert — der
Sicht weitgehend entzogen: die voll-
kommene Lösung der fließenden Ober-
fläche, der ausgeprägte Sinn für visuelle
Geschlossenheit, für das Zusammen-
stimmen, das richtige Maß, für ’gute
Manieren‘.«
»Verschiedene von Fosters Bauten
ähneln denen von Jean Prouve. (Das
Gebäude für die französische kommuni-
stische Partei von 1971 kann der Aus-
gangspunkt für Willis Faber and Dumas
in Ipswich sein, die Ausstellungshalle in
Grenoble (1967) der für das Sainsbury
Centre und das Projekt für das französi-
sche Erziehungsministerium der für die
Hongkong & Shanghai Bank.) Aber
während Prouve derb und prosaisch wie
ein Grobschmied bei seinem Handwerk
ist, ist Foster beredt und poetisch. Fo-
ster hat die fortgeschrittene Bautechno-
logie wenn nicht gezähmt, so ihr doch
ein bezauberndes Antlitz gegeben. Er
ist, wie die genannten englischen Inge-
nieure, sehr fürs gestylte. Doch gerade
dieses Etikett würde Foster weit von sich
weisen.« (Glancey)
»In dieser Vollblüter-Eigenschaft
liegt das im Kern englische von High-
Tech - obwohl hierzulande auch der Ro-
binsonismus des Amateurs geschätzt
wird, wie Peter Cook hervorhebt. High-
Tech übt eine besondere Anziehungs-
kraft auf eine Nation aus, für die Pferd
und Technik jene Anregung der Sinne
ersetzen, die ihrer Kultur ansonsten
fehlt, und die jedenfalls dazu neigt, das
Natürliche oder Quasi-Natürliche den
Feinheiten der Kultur vorzuziehen.«
(Buchanan '83)
Ginge es allein ums hohe technische
Niveau, es läge nahe, eine solche Lob-
preisung des High-Tech als britische Er-
rungenschaft auf das Konto englischen
Nationalstolzes zu verbuchen. Aber of-
fensichtlich sind es nicht so sehr techni-
sche, sondern vor allem ästhetische Qua-
litäten, für die eine englische Vorreiter-
rolle reklamiert wird. Es geht weniger um
High-Tech als um Architektur — oder ge-
nauer: Design.
DER 'ADLER' IST GELAN-
DET: AUS DER KINDER-
STUBE DER TECHNIK-
FANS
Die Interpreten streiten sich — namentlich
bei Fosters Industriebauten — was hier
Pate stand: der Stabilbaukasten oder
doch auch (immer noch) jenes klassische
Architekturideal, für das die griechischen
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