Tempel oder die palladianischen Villen
stehen. J. Glancey führt uns in die Kin-
derstube und die Studienzeit der Genera-
tion Norman Fosters zurück, um die Ver-
bindung beider plausibel werden zu las-
sen.
N orman Foster beauftragte John
» Batchelor jenes Farbposter mit
Details zu zeichnen, das der Juli-Ausga-
be 1983 von Architectural Review beige-
heftet ist. John Batchelor? Der Name
mag zunächst in Architektenkreisen
nicht vertraut klingen, aber eine große
Zahl englischer Architekten, die ab Mit-
te der 30er Jahre geboren sind, werden
sein Talent kennen. John Batchelor war
es, der jene hervorragenden Zeichnun-
gen von Raketen, Schiffen, Flugzeugen,
Autos, Zügen und Kränen für ’Eagle‘
(Adler) anzufertigen pflegte, den wahr-
scheinlich schönsten Comic für Jungen,
der je publiziert wurde - eine Inspiration
für eine ganze Generation englischer
Architekten und Ingenieure. "Eagle
war durch und durch optimistisch in be-
zug auf die Errungenschaften und Mög-
lichkeiten moderner Technologie und
war nicht wegzudenken aus einem Kin-
derzimmer, das vollgeräumt war mit
Stabilbaukastenteilen, auseinanderge-
nommenen Rennwagen, Spielzeugautos
und Ian Allans ’ABC der Britischen
Eisenbahnlokomotiven‘. Die erste Ge-
neration, die mit John Batchelor und
dem ’Eagle‘ aufgewachsen war, begann
in den späten 50er und frühen 60er Jah-
ren ihr Berufsleben. Ihre tiefverwurzel-
te Liebe zur Maschine trat hervor wäh-
rend der heißen, weißen Revolution der
Ära Wilson in Archigrams ’Plug-in-Ci-
ties’, in einer Hochachtung fiir die
Schriften Buckminster Fullers und den
Bauten von Jean Prouvé. Die Manner,
die die Comic-Vision inspiriert hatte,
kamen nun in Berührung mit einer neu-
en Generation, die ihrerseits von den
Blättern des Comics inspiriert worden
war. Norman Foster gehört zu dieser
zweiten Generation. «
»Betrachten wir das Sainsbury Cent-
re. Es ist in die Landschaft so elegant ge-
setzt wie ein englisches, palladianisches
Landhaus in seinen Park. Zugleich ist es
jedoch Teil jener Welt, die vom 'Eagle',
vom Stabilbaukasten oder von Colin
Chapmans Lotus-Autos beschworen
wird.«
»Wenn Sainsbury als ein heutiger
griechischer Tempel interpretiert wer-
den kann, dann sollte an Fosters Ausbil-
dung an der Manchester Universität
erinnert werden. Ahnlich wie an vielen
anderen der weniger "progressiven'
Schulen zu dieser Zeit wurden dort noch
die Studenten angehalten, die Säulen-
ordnungen zu zeichnen und Ferien, das
hieß toskanische Villen zu skizzieren
oder auch heimliche Trips in das Skandi-
navien von Jacobsen, Utzon und. Erski-
ne. Während dieser Zeit hatte Foster be-
gonnen, seine eigenen Intentionen zu
klären. die Verbindungen zwischen Sie-
na und Cape Canaveral, den architekto-
nischen Ingenieurarbeiten Buckminister
Fullers und denen des Autodesigners
Colin Chapman wurden geknüpft. Der
’Adler‘ war gelandet.« (Glancey)
Nicht nur seine Protagonisten auch
High-Tech hat seine Kindertage hinter
sich gelassen. In der Aufbruchszeit der
Ara Wilson » . . . war High-Tech noch
grundsätzlich gegen Kunst, Gegenstand
der Beschäftigung waren ’Bauen als (nie
endender) Prozeß‘ und die Unbestimmt-
heit der Nutzung. Das Versprechen war
fröhlicher Spaß für alle. Wie sich die
Dinge gewandelt haben. Englische
High-Tech-Architektur ist nunmehr
ganz anders. Nicht länger ’Anti-Art‘,
sondern ’High-Art‘, streben die Bauten
nicht so sehr danach pragmatischer und
spielerischer Prozeß zu sein als raffinier-
te und elegante Vollblüter. Die Wende-
punkte waren Fosters Willis Faber Du-
mas und Piano & Rogers Centre Pompi-
dou.« (Buchanan ’83)
_ elf
L
MIT HIGH-TECH UND
HANDWERKSKUNST .
igh-Tech bevorzugt ingenieur-
»H mäßige und industrielle Ent-
wurfspraktiken, ein entsprechendes Er-
scheinungsbild und Konstruktionstech-
niken aus dem 'Stabilbaukasten', welche
Standardelemente direkt aus dem Her-
stellerkatalog verwenden. Es ist schon
ein professioneller Mythos, daD Flexibi-
litát, Schnelligkeit und Effizienz bei ei-
ner 'Architektur von der Stange‘ Kosten
spart, einer Architektur, die ehrlich ist
gegenüber ihren industriellen Baumate-
rialien und die nicht von ästhetischen
Kriterien, persönlichem Geschmack
oder modischer Vorliebe regiert wird,
sondern durch eine ’strukturelle Lo-
gik'...
Wenn Vorfertigung, Funktionalismus
und Anti-Asthetik die Schlüsselelemen-
te des Rüstzeugs von High-Tech sind,
wie kann man dann Verbindungen zwi-
schen High-Tech und Handwerkskunst
ziehen oder das Argument aufrecht er-
halten wollen, daß High-Tech verant-
wortlich zeichnet für die Wiedereinfüh-
rung von handwerklichem Geschick in
die Bauindustrie?
Es muß der doppelte Mythos, daß
High-Tech eine nur von funktionalisti-
schen Grundsätzen beherrschte, vorfa-
brizierte und anti-ästhetische Architek-
tur ist, hinterfragt werden.
Eine Hochzeit zwischen Handwerks-
kunst und High-Tech klingt gewollt pa-
radox oder nach einer rein journalisti-
schen Laune. Es ist keines von beidem.
Die Arbeit mit leichten Stahlkonstruk-
tionen unterliegt einer Anzahl beson-
ders schwieriger Zwänge. Hängekon-
struktionen z.B. erfordern eine unge-
wöhnlich exakte und hochqualifizierte
Detaillierung. Eine Dachkonstruktion
aus Gittertragwerken reagiert auf Last
und Druck sowohl mit vertikaler Bewe-
gung als auch mit horizontalem Schub
entlang der diagonalen Achsen, wäh-
rend die Wärmeausdehnung in den Au-
Benskeletten in eine starke Seitwärtsbe-
wegung übertragen wird. Diese hatte bei
der Fleetguard Fabrik von Richard Ro-
gers & Partner eine Größenordnung von
40 mm. Um mit solchen Variablen um-
gehen zu können, darf man sich nicht
nur auf das Spezialwissen der Ingenieure
verlassen, sondern man muß ebenso auf
die Geschicklichkeit und kreative Vor-
stellungskraft der Schweißer, Stahlske-
lettmonteure,und — Metallblechschnei-
der, Verkleidungsmonteure, Werkzeug-
macher und Designer setzen. Weit da-
von entfernt eine geschulte Arbeiter-
schaft überflüssig zu machen, beruhen
High-Tech-Gebáude auf der Zusam-
menarbeit von Handwerkern und sie
fungieren sogar als Treibhaus für die
Entwicklung industriellen Handwerks.
Wenn auch die Grundelemente von
High-Tech-Gebáuden noch aus der Se-
rienproduktion kommen mógen, so ent-
stehen doch immer Situationen, die be-
sonders entworfene und angefertigte
Teile erfordern.
Die Aluminium-Verkleidung des
Sainsbury Centre’s von Foster Associa-
tes wurde als charakteristisches Design
speziell für dieses Gebäude entwickelt,
während die Gerberettes des Centre
Pompidou aus der regulären Produktion
von Krupp stammen. Auch die Fähig-
keit vor Ort zu improvisieren kann we-
sentlich dafür sein, daß der Zeitplan ein-
gehalten wird oder daß nicht vorherseh-
bare lokale Schwierigkeiten überwun-
den werden. Architekten arbeiten daher
nicht länger in ’glorious isolation‘. Sie
müssen sich auf die Expertise eines
Fachteams verlassen können, und zwar
sowohl am Zeichenbrett und während
des Planungsstadiums, als auch später
während des Zusammensetzens vor Ort.
Die folgenden praktischen Erfahrungen
illustrieren diesen Zusammenhang . . .
Bei der Fleetguard Fabrik von Ri-
chard Rogers & Partner wird das Ge-
wicht des Daches von Stáben zwischen
der oberen Decke und den Hauptsáulen
getragen. Diese Stábe sollten miteinan-
der durch Standardgabelstücke verbun-
den werden, die an ihren Enden ver-
schweifit wurden. Nun stellte aber Cha-
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