Tradition erscheint gründlich geläutert
und verwandelt, wie es der Situation
’nach der Kritik‘ angemessen ist. 'Mo-
dern zu sein‘ gilt nicht mehr automatisch
als Tugend. Eine solche scheint jetzt
vielmehr in der Übernahme von Verant-
wortlichkeiten zu liegen und in der
Durchführung von Aufgaben, die cha-
rakteristisch sind für einen ’modernen
Bedingungszusammenhang‘, der hart-
náckig fortexistiert.« (Banham '86)
»Liest man de Zurko oder seinen eu-
ropäischen Gleichgesinnten Charalam-
bos Sfaellos, so wird man von Titel zu Ti-
tel ermüdend gewahr, daß es Nicht-
Funktionalismus ... niemals geben
kann. Beide machen deutlich, daß nach
ihrer Einsicht Funktionalismus das ist,
was Architekten immer praktiziert ha-
ben, einfach indem sie Architektur
praktizierten. Solch ein Eindruck kann
leicht durch das selektive Zitieren von
jedermann von Vitruv bis Violet-le-Duc
hervorgerufen werden, aber es verkürzt
die Architektur, die immer mehr bein-
haltete als die Anpassung an benannte
Funktionen und es verkürzt den Funk-
tionalismus, der sichtbar mehr ist als nur
das, was Architekten immer irgendwie
getan haben. Was den Funktionalismus
in unserer Zeit besonders zu charakteri-
sieren scheint, ist die Bereitwilligkeit es
zu versuchen, für Funktionen und Be-
dürfnisse zu entwerfen, die zu exotisch
oder innovativ sind, als daß sie gedan-
kenlos in herkömmliche typologische
Formen gepreßt werden könnten. Denn
zu vieles von dem, was in diesem Jahr-
hundert als funktionalistisch gepriesen
wurde, war kaum mehr, als daß alles und
jedes in gedankenlose Standardverpak-
kungen gestopft wurde. Kein Wunder,
daß der sogenannte Funktionalismus ei-
nen schlechten Ruf bekam, insbesonde-
re, wenn diese Verpackungen einem
festgelegten Stil folgen mußten.« (Ban-
ham ’82)
»Obenan steht bei diesen Aufgaben
und Verantwortlichkeiten, eine Archi-
tektur zu entwickeln, welche ihrer Zeit
angemessen ist. Und das ist eine Aufga-
be, welche — entgegen Richard Rogers'
öffentlich ausgedrücktem Wunsch nach
einer ' Architektur ohne Ironie' — im Fal-
le von Lloyd's eine Monster-Ironie her-
vorgebracht hat . . . Aber innerhalb des
"Projekts! (wie der gegenwärtig akade-
mische Jargon das nennen würde) Ar-
chitektur modern zu machen, lauert die
grundlegendere Aufgabe, moderne Ge-
báude zu machen, d. h. Entwurfs- und
Produktionsmethoden zu entwickeln,
die der Gegenwart angemessen sind. Zu
oft galt in der vereinfachenden Propa-
ganda der Vergangenheit der bloBe Ge-
brauch eines als modern angesehenen
Materials — typischerweise Stahl, Beton
oder Glas — als ausreichend, um diesen
Kriterien zu genügen, ohne daß beach-
tet worden wäre, daß die Anwendung ei-
nes als richtig anerkannten Materials
nicht aus sich heraus eine als richtig an-
erkannte Architektur hervorbrinet
Oder gar alles andere als Architektur,
wie der technisch brilliante, aber stili-
stisch entgleiste Gebrauch von Beton
bei Ricardo Bofills Massenwohnungs-
bauten nur allzu klar werden läßt.
Wenn man zurückblickt auf die als
Pioniere fungierenden Konstrukteure/
Architekten der Moderne — solche wie
Auguste Perret oder Mies van der Rohe
— sieht man, daß der derzeit aktuelle Stil
und die aktuelle Technologie der Mate-
rialverwendung fragwürdig sind. Es gibt
eine notwendige (wenn auch nie zu er-
forschende) Verbindung zwischen der
Behandlung der einzelnen Materialstük-
ke und der architektonischen Qualität
des Gebäudes, die daraus resultiert. Die
Lektion der Meister ist, daß der Archi-
tekt die Verantwortung für die Qualität
jedes einzelnen Gebäudeteils nicht um-
gehen kann, selbst wenn es sich um
standardisierte und vorfabrizierte Ele-
mente handelt, wie etwa Mauersteine
oder ein patentiertes Verglasungssy-
stem.« (Banham ’86)
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... UND DIE ARCHITEK-
TUR OBSIEGT
D: architektonische Effekt von
» Inmos ist wahrhaftig spektakulär
genug. Der Spazierweg entlang des
Hauptservicedecks über Dachniveau
bietet die erstaunlichste Begegnung mit
der reinen Mechanik wirklich moderner
Architektur, die man machen kann.
Und wenn man weiter im Detail forscht,
indem man innerhalb einer der Service-
gehäuseschachteln hinaufgeht und
durch die Luke auf ihr Dach steigt, um
zu der Leiter zu gelangen, die auf das
Deck darüber führt, von dem aus man
die logische, doch komplizierte Ord-
nung des Röhrenwerks auf dem Dach
überblicken kann, dann steht man da
und versucht das treffende und spre-
chende Bild zu erfühlen, das nicht
(schon wieder!) auf die Ahnlichkeit mit
dem Schiff hinausläuft.
Im buchstäblichen Sinn des Worts ist
die Architektur nicht schiffsähnlich.
Aber hinter dieser Metapher steckt ein
ernstzunehmendes historisches Gewicht
und sie verweist uns auf die tatsächli-
chen Quellen der funktionalistischen
Kritik. War es doch Horatio Greenough
selbst, der sagte: "Beobachten Sie ein
Schiff auf See! Beachten Sie die majestá-
tische Form seines Rumpfes . . . die an-
mutige Kurve seines Kórpers, der sanfte
Übergang von rund zu flach, die Kraft
seines Kiels, den Schwung seines Bugs
und (hier kommt Inmos ins Spiel) die
Symmetrie und das reiche MaBwerk der
Spieren und der Takelage . . .' Diese ge-
bieterische Formulierung der 'groBen
Gesetze von Notwendigkeit und Kunst
scheint für etwas so wohlbegründetes,
dicht gepacktes und straff getakeltes wie
Inmos zwangsweise zutreffend. - Ge-
nauer: die Überzeugungskraft, die fast
jeder Teil des Entwurfs ausstrahlt,
scheint wie bei jeder Schiffsarchitektur
einem Sinn für Notwendigkeit zu ent-
springen, einem Gefühl, da nichts an-
ders sein kónnte, als es ist. Und wie beim
besten nautischen Entwurf ist viel von
dieser Notwendigkeit rhetorisch (die
Art, wie die Dinge sein sollten) oder
abergláubisch (die Art, wie die Dinge als
richtig empfunden werden) und zwar ge-
nauso háufig, wie sie rational oder prag-
matisch begründet ist. Die Hauptsache
aber ist, daB Notwendigkeit dem Ver-
standnis nach einfach da ist. Nimmt man
sie fort, dann wird unmittelbar deutlich,
dab heute nicht die Tage von Gree-
noughs Yankee Klipper sind und eben
auch nicht die des Internationalen Stils,
als unbefragte Gewohnheiten oder rigi-
de Reglen den Entwerfer über das kahle
Feld führten, wo die Notwendigkeit der
Kunst nicht zu Hilfe kommen konnte.«
Banham äuBert sich im folgenden
über die aufenliegende chemische Aus-
rüstung von Inmos in Form von Tanks,
Pumpen, DruckgefáBen usw., die von
»gewissen sensiblen Seelen als häßlich
und als unangemessen für die Integrität
eines architektonischen Entwurfs emp-
funden werden . . . Jedoch hat der 'che-
mische Schrott‘ auch einige Bedeutung
gewissermaßen als ’Säuretest‘ des Funk-
tionalismus. Historisch gesehen handelt
es sich um eine Klasse von Objekten, die
das Nautische als erstrebenswertes
Schónheitsideal des funktionalen Ent-
wurfs immer mehr verdrángt hat. In der
Tat zeigt die einzige Illustration zu Ed-
ward de Zurkos entscheidendem Text
'Die Ursprünge der funktionalen Theo-
rie‘ (1957) eine Reihe von katalytischen
Druckgefäßen einer Gasraffinerie in Te-
xas. Der Text dazu liest sich auszugswei-
se wie folgt: ’Der glühende Funktiona-
list behauptet, daß Schönheit oder zu-
mindest eine Art formaler Vollendung
sich automatisch aus der perfekten me-
chanischen Leistungsfähigkeit ergibt
. . . (diese) Gasraffinerieausrüstung ist
eine überzeugende Demonstration die-
ses Standpunkts.' Ob solcher Eifer das
Rogers-Büro kollektiv oder sonstwie
verzehrt, berührt uns hier letztlich nur
am Rande. Aber jeder, der mit einem
Unternehmer vom Typ Iann Barron (In-
mos-Chef) Geschäfte machen will, muß
’besser gut darin sein. funktionalen
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