nem nie wirklich begegnen. Dies schafft
eine hervorragende ästhetische Span-
nung, aber beläßt viele Empfindungen
irgendwie entfremdet, als ob sie das Ge-
bäude nicht eigentlich berühren könn-
ten und man immer auf der Höhe seines
besten und höflichsten Benehmens sein
müßte. Im Gegensatz dazu scheinen Ro-
gers’ Bauten human und lustig. Auf-
grund ihrer Redundanzen und ihres hei-
teren rough-and-ready Charakters fühlt
man sich in der Lage, mit ihnen zu inter-
agieren, ihr Arrangement zu verändern,
in ihnen herumzulungern, sich an sie zu
lehnen und ganz allgemein sich ihrer er-
freuen zu können (und so erklärt sich die
Popularität des Centre Pompidou — wäh-
rend Fosters Bauten Respekt und Ehr-
furcht zu erzeugen scheinen). Aber die
gewaltige Struktur, die Masse der zur
Schau gestellten Mechanik eines Ro-
gers-Baues ist manchmal nahe daran, in
ihrer Flut all die menschlichen Wesen
darin, ihre privaten Aktivitäten, ihre
kleinmaßstäblichen Produkte unterge-
hen zu lassen. In gewissem Sinn ist der
Erfolg des Centre Pompidou ebenso
sehr seiner Geschäftigkeit geschuldet als
die Geschäftigkeit seinen Erfolg wieder-
spiegelt. « (Buchanan ’81)
VON ARKADIEN NACH
UTOPIA UND ZURUCK
High-Tech als High-Art ist — weitgehend
unabhüngig von den Funktionen im ein-
zelnen — offenbar einer reinen Stilanalyse
zugünglich, wie sie Buchanan in seinem
Vergleich FosterlRogers versucht. Aber
nicht, dafi es sich um einen Stil (oder des-
sen Varianten) handelt, ist die entschei-
dende Frage, sondern was ihn zu einem
zeitgemäßen macht. Was ist die Bot-
schaft? Dieser Frage geht Buchanan im
folgenden nach:
F ür seine Protagonisten liegt die
» Faszination von High-Tech tiefer
. . . Sie liegt in einer zwingenderen Vi-
sion, welche — weil sie nicht wirklich be-
gründet werden kann — wohl eher als
Mythos zu bezeichnen ist. Der Kern des
Mythos ist, daß in technischer Beherr-
schung nicht nur das Endziel der
menschlichen Evolution liege, sondern
auch das Versprechen der Befreiung. —
Paradoxerweise brauchen Beherr-
schung und Freiheit nicht widersprüch-
lich zu sein. Tatsächlich war es bei den
inspirierendsten Beispielen moderner
Architektur eine zentrale Frage, einen
minimalen aber geeigneten Satz von
Festlegungen zu definieren, der die Frei-
heit für relativ ungehinderte Aktivitäten
schaffen sollte. Die High-Tech-Version
dieser Frage unterstellt, daß, wenn die
Umweltbedingungen einen angenehm
temperierten und hinreichend flexiblen,
physischen Rahmen liefern, die Nutzer
dann frei sind, nahezu alles zu tun - so-
fern gewährleistet ist, daß sie diesen Ap-
parat auch bedienen und feinsteuern
können, als ob es sich um eine Renn-
Yacht oder ein Segelflugzeug handele.'«
»Diese Vision kann in Richtung auf
zwei Extreme vorangetrieben werden
® cine Art von Arkadia, bei dem die
Architektur in der umhüllenden Natur
gleichsam ’verdampft‘
® und eine Art von Utopia, bei dem
die Architektur eine reine Fähigkeit, ein
riesiger flexibler Rahmen ist.“
„Beim ersten Extrem läßt das Gebaute
seine Nutzer der Natur ausgesetzt, je-
doch geschützt vor Wind, Regen und
Temperaturdifferenzen durch leistungs-
fáhige Vorhánge aus temperierter Luft,
versorgt mit Energie und Kommunika-
tionseinrichtungen und vor Plünderern
geschützt durch magnetische Kraftfel-
der. Dieses arkadische Extrem wurde
brilliant, wenn auch nicht ganz so ex-
trem, formuliert in Reyner Banhams
provokativem Essay von 1965 'Ein Heim
ist nicht ein Haus‘.
Das andere Extrem eines unendlich
flexiblen Rahmens neigt in seinem Be-
mühen alles zu ermöglichen, was immer
geschehen mag, zu enormen freien
Spannweiten, die oft nur durch abge-
hängte Konstruktionen erreicht werden
können.«
»Aber, welchem der beiden . . . My-
then sie sich auch verpflichtet fühlen,
welche Freiheit bieten diese teuren Ap-
parate wirklich? — Die Freiheit, sich
Banhams 60er-Jahre-Hippie-Traum zu
erfüllen, nackt in der Natur zu picknik-
ken, unbelästigt von Kälte, Regen oder
Insekten — allerdings wegen der neugie-
rigen Augen der Voyeure davon abge-
halten wie Faune oder Satyrn herumzu-
hüpfen. Oder die Freiheit, Möbel und
Trennwände zu bewegen wie in dem
Traum von Großorganisationen, dem
Traum eines Großbüro-Panopticons mit
offenem Grundriß, welches maximale
Produktivität aus Arbeitskräften unter
ständiger Überwachung preßt?
Letztlich liegt das Versprechen von
Freiheit durch High-Tech in der Begren-
zung dessen, was stabil und fixiert ist,
genauer: die traditionellen Festlegun-
gen der räumlichen Unterteilung und
funktionellen Zuweisung (die unver-
meidlich auch etwas von menschlichem
Maßstab, Kultur und konventioneller
Bedeutung beinhalten) werden redu-
ziert zu bloßen Festpunkten der Struk-
tur und der Versorgungsleitungen. Dies
impliziert eine Architektur reiner Sach-
lichkeit, völlig entblößt von Symbolen
und Bedeutungen. (Tatsächlich ist die
High-Tech-Struktur natürlich sehr stark
geformt durch eine Asthetik, nämlich
auszusehen nach funktionellem und raf-
finiertem ’engineering‘, das in sich hoch-
gradig symbolisch ist).«
»High-Tech ist nichts weniger als der
extremste Versuch der modernen Archi-
tektur, Geschichte zu transzendieren,
der Kultur, allen ihren irrationalen Ri-
tualen, ihren zeitraubenden Formalitä-
ten zu entfliehen.« »Aber wie wir aus
den Mißerfolgen der modernen Archi-
tektur gelernt haben ist der Versuch, der
Geschichte und der traditionellen Kul-
tur zu entfliehen zugunsten eines gänz-
lich ’rationalisierten‘ modernen Lebens-
stils — ein oberflächlich konzipiertes und
zutiefst entfremdendes Projekt. Ebenso
wie Kultur kann Architektur nicht redu-
ziert werden auf die rationalen Zwecke.
Denn die wesentlichste Funktion beider
ist es, das Leben in beherrschbare Er-
fahrungsbereiche zu gliedern, die eine
beruhigende psychische Sicherheit ge-
währen und die Notwendigkeit zu einer
ständigen Verteidigungsbereitschaft lin-
dern. Nur dann kann jeder Erfahrungs-
bereich ausgekostet, erforscht und aus-
gearbeitet werden in Träumerei, wissen-
schaftlicher Forschung und Kunst. Dies
ist die Art und Weise, wie wir unsere
wunderbar komplexe Welt geschaffen
haben, unser Verständnis von ihr und
unser Verständnis, wie wir ’zuhause‘
sind.« (Buchanan '83)
Zusammengestellt und
übersetzt von
Marc Fester und Sabine Kraft
—e /
PY
SE
Quellen
Ahronov, Ram und Kent, Sarah: High-Tech: Craft and
Caro, in: Architektural Review (im folgenden: AR) 7/
1984
Banham, Reyner: The Quality of Modernism, in: AR
10/1986
Banham, Reyner: Art and Necessity. Inmos and the Per-
sistence of Functionalism, in: AR 12/1982
Buchanan, Peter: High-Tech: Another British Thou-
roughbred, in: AR 7/1983
Buchanan, Peter: Foster/Rogers: High-Tech: Classical/
Gothic, in: AR 5/1981
Cook, Peter: Highlights of recent history, in: AR 10/1983
Glancey, Jonathan: The 'Eagle' has landed, in: AR
7/1983
Piano, Renzo quoted by Steve Braidwood, in: Carchitec-
ture: Fiat's New Approach, in: Design 8/1982, cit.
nach Ahronov/Kent
Sfaellos, Charalambos: L'Architecture Contemporaine,
1952, cit. nach Banham 1982
Small, Harold: Form and Function. Remarks on Art by
Horatio Greenouh, 1947, cit. nach Banham 1982
de Zurko, Edward: The Origins of Functionalist Theory
1957. cit. nach Banham 198?
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