Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

nem nie wirklich begegnen. Dies schafft 
eine hervorragende ästhetische Span- 
nung, aber beläßt viele Empfindungen 
irgendwie entfremdet, als ob sie das Ge- 
bäude nicht eigentlich berühren könn- 
ten und man immer auf der Höhe seines 
besten und höflichsten Benehmens sein 
müßte. Im Gegensatz dazu scheinen Ro- 
gers’ Bauten human und lustig. Auf- 
grund ihrer Redundanzen und ihres hei- 
teren rough-and-ready Charakters fühlt 
man sich in der Lage, mit ihnen zu inter- 
agieren, ihr Arrangement zu verändern, 
in ihnen herumzulungern, sich an sie zu 
lehnen und ganz allgemein sich ihrer er- 
freuen zu können (und so erklärt sich die 
Popularität des Centre Pompidou — wäh- 
rend Fosters Bauten Respekt und Ehr- 
furcht zu erzeugen scheinen). Aber die 
gewaltige Struktur, die Masse der zur 
Schau gestellten Mechanik eines Ro- 
gers-Baues ist manchmal nahe daran, in 
ihrer Flut all die menschlichen Wesen 
darin, ihre privaten Aktivitäten, ihre 
kleinmaßstäblichen Produkte unterge- 
hen zu lassen. In gewissem Sinn ist der 
Erfolg des Centre Pompidou ebenso 
sehr seiner Geschäftigkeit geschuldet als 
die Geschäftigkeit seinen Erfolg wieder- 
spiegelt. « (Buchanan ’81) 
VON ARKADIEN NACH 
UTOPIA UND ZURUCK 
High-Tech als High-Art ist — weitgehend 
unabhüngig von den Funktionen im ein- 
zelnen — offenbar einer reinen Stilanalyse 
zugünglich, wie sie Buchanan in seinem 
Vergleich FosterlRogers versucht. Aber 
nicht, dafi es sich um einen Stil (oder des- 
sen Varianten) handelt, ist die entschei- 
dende Frage, sondern was ihn zu einem 
zeitgemäßen macht. Was ist die Bot- 
schaft? Dieser Frage geht Buchanan im 
folgenden nach: 
F ür seine Protagonisten liegt die 
» Faszination von High-Tech tiefer 
. . . Sie liegt in einer zwingenderen Vi- 
sion, welche — weil sie nicht wirklich be- 
gründet werden kann — wohl eher als 
Mythos zu bezeichnen ist. Der Kern des 
Mythos ist, daß in technischer Beherr- 
schung nicht nur das Endziel der 
menschlichen Evolution liege, sondern 
auch das Versprechen der Befreiung. — 
Paradoxerweise brauchen Beherr- 
schung und Freiheit nicht widersprüch- 
lich zu sein. Tatsächlich war es bei den 
inspirierendsten Beispielen moderner 
Architektur eine zentrale Frage, einen 
minimalen aber geeigneten Satz von 
Festlegungen zu definieren, der die Frei- 
heit für relativ ungehinderte Aktivitäten 
schaffen sollte. Die High-Tech-Version 
dieser Frage unterstellt, daß, wenn die 
Umweltbedingungen einen angenehm 
temperierten und hinreichend flexiblen, 
physischen Rahmen liefern, die Nutzer 
dann frei sind, nahezu alles zu tun - so- 
fern gewährleistet ist, daß sie diesen Ap- 
parat auch bedienen und feinsteuern 
können, als ob es sich um eine Renn- 
Yacht oder ein Segelflugzeug handele.'« 
»Diese Vision kann in Richtung auf 
zwei Extreme vorangetrieben werden 
® cine Art von Arkadia, bei dem die 
Architektur in der umhüllenden Natur 
gleichsam ’verdampft‘ 
® und eine Art von Utopia, bei dem 
die Architektur eine reine Fähigkeit, ein 
riesiger flexibler Rahmen ist.“ 
„Beim ersten Extrem läßt das Gebaute 
seine Nutzer der Natur ausgesetzt, je- 
doch geschützt vor Wind, Regen und 
Temperaturdifferenzen durch leistungs- 
fáhige Vorhánge aus temperierter Luft, 
versorgt mit Energie und Kommunika- 
tionseinrichtungen und vor Plünderern 
geschützt durch magnetische Kraftfel- 
der. Dieses arkadische Extrem wurde 
brilliant, wenn auch nicht ganz so ex- 
trem, formuliert in Reyner Banhams 
provokativem Essay von 1965 'Ein Heim 
ist nicht ein Haus‘. 
Das andere Extrem eines unendlich 
flexiblen Rahmens neigt in seinem Be- 
mühen alles zu ermöglichen, was immer 
geschehen mag, zu enormen freien 
Spannweiten, die oft nur durch abge- 
hängte Konstruktionen erreicht werden 
können.« 
»Aber, welchem der beiden . . . My- 
then sie sich auch verpflichtet fühlen, 
welche Freiheit bieten diese teuren Ap- 
parate wirklich? — Die Freiheit, sich 
Banhams 60er-Jahre-Hippie-Traum zu 
erfüllen, nackt in der Natur zu picknik- 
ken, unbelästigt von Kälte, Regen oder 
Insekten — allerdings wegen der neugie- 
rigen Augen der Voyeure davon abge- 
halten wie Faune oder Satyrn herumzu- 
hüpfen. Oder die Freiheit, Möbel und 
Trennwände zu bewegen wie in dem 
Traum von Großorganisationen, dem 
Traum eines Großbüro-Panopticons mit 
offenem Grundriß, welches maximale 
Produktivität aus Arbeitskräften unter 
ständiger Überwachung preßt? 
Letztlich liegt das Versprechen von 
Freiheit durch High-Tech in der Begren- 
zung dessen, was stabil und fixiert ist, 
genauer: die traditionellen Festlegun- 
gen der räumlichen Unterteilung und 
funktionellen Zuweisung (die unver- 
meidlich auch etwas von menschlichem 
Maßstab, Kultur und konventioneller 
Bedeutung beinhalten) werden redu- 
ziert zu bloßen Festpunkten der Struk- 
tur und der Versorgungsleitungen. Dies 
impliziert eine Architektur reiner Sach- 
lichkeit, völlig entblößt von Symbolen 
und Bedeutungen. (Tatsächlich ist die 
High-Tech-Struktur natürlich sehr stark 
geformt durch eine Asthetik, nämlich 
auszusehen nach funktionellem und raf- 
finiertem ’engineering‘, das in sich hoch- 
gradig symbolisch ist).« 
»High-Tech ist nichts weniger als der 
extremste Versuch der modernen Archi- 
tektur, Geschichte zu transzendieren, 
der Kultur, allen ihren irrationalen Ri- 
tualen, ihren zeitraubenden Formalitä- 
ten zu entfliehen.« »Aber wie wir aus 
den Mißerfolgen der modernen Archi- 
tektur gelernt haben ist der Versuch, der 
Geschichte und der traditionellen Kul- 
tur zu entfliehen zugunsten eines gänz- 
lich ’rationalisierten‘ modernen Lebens- 
stils — ein oberflächlich konzipiertes und 
zutiefst entfremdendes Projekt. Ebenso 
wie Kultur kann Architektur nicht redu- 
ziert werden auf die rationalen Zwecke. 
Denn die wesentlichste Funktion beider 
ist es, das Leben in beherrschbare Er- 
fahrungsbereiche zu gliedern, die eine 
beruhigende psychische Sicherheit ge- 
währen und die Notwendigkeit zu einer 
ständigen Verteidigungsbereitschaft lin- 
dern. Nur dann kann jeder Erfahrungs- 
bereich ausgekostet, erforscht und aus- 
gearbeitet werden in Träumerei, wissen- 
schaftlicher Forschung und Kunst. Dies 
ist die Art und Weise, wie wir unsere 
wunderbar komplexe Welt geschaffen 
haben, unser Verständnis von ihr und 
unser Verständnis, wie wir ’zuhause‘ 
sind.« (Buchanan '83) 
Zusammengestellt und 
übersetzt von 
Marc Fester und Sabine Kraft 
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SE 
Quellen 
Ahronov, Ram und Kent, Sarah: High-Tech: Craft and 
Caro, in: Architektural Review (im folgenden: AR) 7/ 
1984 
Banham, Reyner: The Quality of Modernism, in: AR 
10/1986 
Banham, Reyner: Art and Necessity. Inmos and the Per- 
sistence of Functionalism, in: AR 12/1982 
Buchanan, Peter: High-Tech: Another British Thou- 
roughbred, in: AR 7/1983 
Buchanan, Peter: Foster/Rogers: High-Tech: Classical/ 
Gothic, in: AR 5/1981 
Cook, Peter: Highlights of recent history, in: AR 10/1983 
Glancey, Jonathan: The 'Eagle' has landed, in: AR 
7/1983 
Piano, Renzo quoted by Steve Braidwood, in: Carchitec- 
ture: Fiat's New Approach, in: Design 8/1982, cit. 
nach Ahronov/Kent 
Sfaellos, Charalambos: L'Architecture Contemporaine, 
1952, cit. nach Banham 1982 
Small, Harold: Form and Function. Remarks on Art by 
Horatio Greenouh, 1947, cit. nach Banham 1982 
de Zurko, Edward: The Origins of Functionalist Theory 
1957. cit. nach Banham 198? 
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