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Schweiz, wenn man auch nicht direkt dar-
unter gelitten hatte, eben doch schon stark
mitbekommen. Von dieser modernen
Welt, von dieser Seite der Moderne mußte
man sich auch erst wieder erholen. Alle
waren zurück zur Mutter (sprich Heimat-
schutz) gerannt, und erst jetzt, nach dem
Krieg, konnten sie sich wieder befreien.
du Fresne: Der ,Sonntagnachmittag am
Züriberg', der war doch diesen Projekten
einfach anzusehen, durchzuspüren. So
wolltet ihr nicht, das waren die Probleme
einer álteren Generation, die sich da lang-
sam wieder vortastete.
Pini: In dieser weichen, dieser verunsi-
cherten Welt gab es nun in Frankreich
durch Le Corbusier etwas ganz anderes,
viel sicherer, viel mutiger. Er konnte das
Vorbild sein. Und wie war Frankreich da-
mails? Wieso war Corbu in Frankreich und
nicht in der Schweiz? Alles war da viel gró-
Ber, die Qualitát, die Menge, die Fehler
natürlich auch. Da war ein Prouvé, die
Charlotte Perriand, der Perret. Frank-
reich, das Land, das den Krieg mit Stolz
überstanden hatte. Und die moderne
Kunst, wo war sie angesiedelt? In Frank-
reich doch. Alle Schweizer, die etwas zu
sagen hatten, waren in Paris. München
und Wien vielleicht vör dem Krieg, aber
nach dem Krieg, da war es einfach Paris,
Frankreich.
du Fresne: Von den deutschen Künstlern,
die im Widerstand gearbeitet hatten,
sprach man kaum, da waren einfach die
Franzosen oder die Leute, die in Frank-
reich arbeiteten, Braque, Picasso. Corbu-
sier.
Pini: Viele davon Ausländer, Corbu
Schweizer, Picasso Spanier, Chagall Rus-
se, Mirö Spanier, Beckett Ire. Dieser
Mann nun, Corbu, seine Art zu arbeiten,
gab einem den Mut. In seiner Sprache
konnte man die angeborene Unkonven-
tionalität ausdrücken, ausleben.
du Fresne: Diese Unkonventionalität, die
allen Arbeiten Le Corbusiers eigen ist, die
sah man, diese Sprache, die wollte man be-
nutzen, mit ihr konnte man sich ausdrük-
ken. Man kann ja nicht einfach hinstehen
und schreien, es braucht eine Sprache.
Pini: Und es ist auch noch darauf hinzu-
weisen, daß Corbu einer derjenigen war,
an denen der Krieg absolut spurlos vor-
übergegangen war. In seinem Werk, es
scheint nicht zu fassen zu sein, kann ja
kaum erkannt werden, was vor dem Krieg
und was nachher gebaut worden ist. Nichts
von Verunsicherung ist da zu spüren, kein
plötzliches Pathos. Da saß er, fest im Sat-
tel, absolut makellos stand er da. — Und
jetzt konnte er fortsetzen, plotzlich war
nun ein Claudius Petit da, die ,reconstruc-
tion’ als nationales Problem. In der
Schweiz gab es ja nichts wiederaufzubau-
en, man konnte -sich höchstens erholen
vom Frust des Heimatstils. Und so blickte
man nun nach Frankreich, wo mit Stolz
neu aufgebaut wurde.
du Fresne: Zurück zu unserem eigenen
Problem. Wir konnten da also nicht an-
hängen an die eingeschüchterte Moderne.
Pini erinnert an den ,Speersprung', den
die deutschen Architekten gemacht hat-
ten. Nun war auf einmal sichtbar, wer vor-
ausgedacht und wer hintendurch, um dem
Volk zu gefallen ... Wer das Volk hinter
sich haben wollte, der mußte eben zur
Vergangenheit greifen, appellieren an et-
was, von dem das Volk glaubt, es wisse et-
was (Geschichte).
du Fresne:Corbu zeigte nun also, wie sich
unkonventionell sein in der Architektur
ausdrücken läßt.
Pini: Das hat fasziniert, das paßte so ge-
nau, da konnte man aufspringen. Man
wollte sich einem Gruppenführer an-
schließen, vorbehaltlos, mit allem Fana-
tismus, nicht einem Wasserträger.
du Fresne: Er gab dir die Sprache. Es ist ja
auch falsch zu glauben, man habe diese
Sprache einfach. Du selber wiederholst es
ja zur Genüge, daf3 wir eher Wasserträger
seien als Schópfer. Man sah, mit welchen
Worten man Unkonventionalitát und Mo-
derne ausdrücken konnte, und hat einfach
angefangen, nachzureden, die gleichen
Worte zu gebrauchen, eine Sprache ange-
nommen.
Foto rechte Seite: Le Corbusier,
Villa Shodau, 1962: links Servicean-
bau, rechts Nord-West- und Süd-
West-Fassade
Zeichnung rechte Seite: Grundriß
2. Ebene
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