Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

Pini: Eine Sprache, die der eine zwar nicht 
verstand, die den anderen aber in Extase 
versetzte. Eine extreme Sprache. Und mit 
ihr hatten wir plötzlich eine unheimliche 
Kraft. — Die ältere Garde konnte einem 
diese Sprache eben nicht geben. Da gab es 
bereits zuviele Wenn und Aber, zuviele 
Warumnicht oder Warumnochnicht. Im 
nachhinein ist es schon verstándlich, war- 
um wir eben Brechbühlers Sprache nicht 
lernen konnten und wollten. Dieses Bo- 
denstàndige, diese Suche nach der Ver- 
bindung zwischen Tradition und Moder- 
ne, das setzte ein Verhältnis zur Vergan- 
genheit voraus, das wir nicht gehabt ha- 
ben. 
du Fresne: Das Haus Alder" ist doch wie 
eine abstrakte Skulptur, ein Objekt, wie 
von einem anderen Planeten. Man fragt 
sich heute, wie ein solcher Bau überhaupt 
bewilligt werden konnte. 
Pini: Ein Unternehmer aus der Gemeinde 
hat geholfen, ein irrsinnig progressiver. 
Wir haben natürlich überhaupt profitiert 
von allen Corbu-Anhángern, Kunstfreun- 
den. Anhángern der Moderne ganz allge- 
mein. Das gab diesen frappanten Einstieg. 
Wir waren zwar vóllig erfolglos, aber wir 
wurden geistig getragen. Wenige wollten 
etwas von uns, aber das waren mindestens 
die Richtigen. Wäre Wright unser Vorbild 
gewesen, wir hätten es viel schwieriger ge- 
habt. Die Architekten, die auf Mies ange- 
sprochen haben, die hatten wieder ihren 
Kreis, Haller, Schlup, Füeg. 
du Fresne: So sprachen wir nun also Cor- 
bus Sprache ... und Halen”, direkt aus 
dem Lehrbuch? 
Pini: Halen ist ja keine Kopie, Halen ist ja 
nicht ,Roq' et ,Rob', sondern vielmehr ei- 
ne horizontale Unité d'habitation. Der so- 
ziale Gedanke, der war natürlich auch 
schon von Corbu eingebracht worden, er 
hatte ja gegen die Zersiedlung gewettert. 
Und die ,Charte d'Athénes', die hatte 
man damals einfach auf dem Nachttisch. — 
Halen, das erste Projekt mit dem Hotel, 
dem Jugendatelier, der Beiz, dem Laden, 
stark sozial, gegen die Zersiedlung, dieses 
‚Paßt auf, damit wir uns nicht zersiedeln’, 
das war Corbu! Das freistehende Einfami- 
lienhaus war damals schon ein Feind. In 
den alten Halenprospekten findet man das 
alles. 
du Fresne: Jetzt müssen wir aber doch den 
Versuch machen genauer zu beschreiben, 
wie ihr die ersten Projekte, einen Alder" 
zum Beispiel, zustandegebracht habt. 
Pini: Etwas haben wir noch nicht gesagt: 
Wir bezeichnen uns als Corbu-Schüler, 
haben ihn aber persónlich gar nicht ge- 
Haus Alder, 1958 
Mitte links: Grundriß 1. Stock 
unten: Schnitt A-A und B-B 
kannt, nie gesehen. Nur seine Bücher ha- 
ben wir gekannt. Da waren nur seine Bü- 
cher, das ist doch verrückt. Wir sprechen 
von uns als Corbu-Schüler ... viele andere 
haben aber bei ihm gearbeitet, hätten das 
ja alles viel besser mitbekommen können. 
du Fresne: Wie war das jetzt, beim ersten 
Projekt? 
Pini: Angefangen hat es mit dem Gedan- 
ken, zu fünft eine Häusergruppe zu reali- 
sieren. Bei Brechbühler, dem einzigen in 
unserer Nähe, der Corbu wirklich gekannt 
hatte. Beiihm waren wir nun, als grenzen- 
los vorbehaltlose Bewunderer Corbus. 
Brechbühler hatte seine Vorbehalte, er 
war da schon viel kritischer, wir waren ein- 
fach abgefahren. - Damals beim Morillon- 
wettbewerb, den wir bearbeitet hatten, 
hatte Brechbühler am SchluB, als er das 
Projekt sah, so viele Vorbehalte, daß er 
die Arbeit gar nicht abgeben wollte, nicht 
abgegeben hat. Das gleiche beim Wettbe- 
werb Tscharnergut. Er hatte sich in diesen 
Projekten, die wir bei ihm ziemlich frei be- 
arbeiten konnten, nicht genügend wieder- 
gefunden. Wir wußten das damals nicht so 
genau, aber es war ihm offensichtlich zu 
stark Corbu-geprägt. In beiden Projekten 
machten wir einfach Unite d’habitation. 
du Fresne: Keiner außer Brechbühler hat- 
te Corbu gekannt, keiner hatte die Unité 
gesehen... 
Pini: Der erste Corbu-Bau, den wir über- 
haupt in Natura gesehen haben, war Saint- 
Dié, im Zusammenhang mit Müller 
Thun". Das Projekt Halen gab es, bevor 
man die Unité in Marseille gesehen hatte. 
Erstaunlich vielleicht für den, der das Ge- 
fühl hat, Architektur könne nur übermit: 
I Halle 
2 Eingang 
3 Gäste 
1 Lager 
5 Heizung 
A Wohn- und Eßraum mit Galerie 
telt werden durch die direkte Konfronta- 
tion mit dem Gebauten am Ort. - Ich war 
ja schon als Lehrling totaler Fan, die Be- 
geisterung ist nicht erst bei Brechbühler 
entstanden. Schon als Stift hatte ich die 
Corbu-Sachen gelesen. Auch die drei, die 
vom Technikum kamen, Hofstettler, He- 
sterberg, Fritz, die hatten seine Arbeiten 
gekannt. 
du Fresne: Und wenn ihr jetzt an diesen 
d 
d 
B-B 
Wettbewerben gearbeitet habt, da lagen 
die Bücher auf dem Tisch. Ihr habt euch 
die Sachen genau angeschaut, bis insletzte 
Detail... 
Pini: Sicher, aber die Projekte waren doch 
auch schon erstaunlich freie Interpretatio- 
nen. Man hat zum Beispiel den Semidu- 
plex entwickelt, der ja nicht von Corbu 
war, und man war beeinflußt, beeindruckt 
von all den Arbeiten, die Corbu ausgelöst
	        
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