Pini: Eine Sprache, die der eine zwar nicht
verstand, die den anderen aber in Extase
versetzte. Eine extreme Sprache. Und mit
ihr hatten wir plötzlich eine unheimliche
Kraft. — Die ältere Garde konnte einem
diese Sprache eben nicht geben. Da gab es
bereits zuviele Wenn und Aber, zuviele
Warumnicht oder Warumnochnicht. Im
nachhinein ist es schon verstándlich, war-
um wir eben Brechbühlers Sprache nicht
lernen konnten und wollten. Dieses Bo-
denstàndige, diese Suche nach der Ver-
bindung zwischen Tradition und Moder-
ne, das setzte ein Verhältnis zur Vergan-
genheit voraus, das wir nicht gehabt ha-
ben.
du Fresne: Das Haus Alder" ist doch wie
eine abstrakte Skulptur, ein Objekt, wie
von einem anderen Planeten. Man fragt
sich heute, wie ein solcher Bau überhaupt
bewilligt werden konnte.
Pini: Ein Unternehmer aus der Gemeinde
hat geholfen, ein irrsinnig progressiver.
Wir haben natürlich überhaupt profitiert
von allen Corbu-Anhángern, Kunstfreun-
den. Anhángern der Moderne ganz allge-
mein. Das gab diesen frappanten Einstieg.
Wir waren zwar vóllig erfolglos, aber wir
wurden geistig getragen. Wenige wollten
etwas von uns, aber das waren mindestens
die Richtigen. Wäre Wright unser Vorbild
gewesen, wir hätten es viel schwieriger ge-
habt. Die Architekten, die auf Mies ange-
sprochen haben, die hatten wieder ihren
Kreis, Haller, Schlup, Füeg.
du Fresne: So sprachen wir nun also Cor-
bus Sprache ... und Halen”, direkt aus
dem Lehrbuch?
Pini: Halen ist ja keine Kopie, Halen ist ja
nicht ,Roq' et ,Rob', sondern vielmehr ei-
ne horizontale Unité d'habitation. Der so-
ziale Gedanke, der war natürlich auch
schon von Corbu eingebracht worden, er
hatte ja gegen die Zersiedlung gewettert.
Und die ,Charte d'Athénes', die hatte
man damals einfach auf dem Nachttisch. —
Halen, das erste Projekt mit dem Hotel,
dem Jugendatelier, der Beiz, dem Laden,
stark sozial, gegen die Zersiedlung, dieses
‚Paßt auf, damit wir uns nicht zersiedeln’,
das war Corbu! Das freistehende Einfami-
lienhaus war damals schon ein Feind. In
den alten Halenprospekten findet man das
alles.
du Fresne: Jetzt müssen wir aber doch den
Versuch machen genauer zu beschreiben,
wie ihr die ersten Projekte, einen Alder"
zum Beispiel, zustandegebracht habt.
Pini: Etwas haben wir noch nicht gesagt:
Wir bezeichnen uns als Corbu-Schüler,
haben ihn aber persónlich gar nicht ge-
Haus Alder, 1958
Mitte links: Grundriß 1. Stock
unten: Schnitt A-A und B-B
kannt, nie gesehen. Nur seine Bücher ha-
ben wir gekannt. Da waren nur seine Bü-
cher, das ist doch verrückt. Wir sprechen
von uns als Corbu-Schüler ... viele andere
haben aber bei ihm gearbeitet, hätten das
ja alles viel besser mitbekommen können.
du Fresne: Wie war das jetzt, beim ersten
Projekt?
Pini: Angefangen hat es mit dem Gedan-
ken, zu fünft eine Häusergruppe zu reali-
sieren. Bei Brechbühler, dem einzigen in
unserer Nähe, der Corbu wirklich gekannt
hatte. Beiihm waren wir nun, als grenzen-
los vorbehaltlose Bewunderer Corbus.
Brechbühler hatte seine Vorbehalte, er
war da schon viel kritischer, wir waren ein-
fach abgefahren. - Damals beim Morillon-
wettbewerb, den wir bearbeitet hatten,
hatte Brechbühler am SchluB, als er das
Projekt sah, so viele Vorbehalte, daß er
die Arbeit gar nicht abgeben wollte, nicht
abgegeben hat. Das gleiche beim Wettbe-
werb Tscharnergut. Er hatte sich in diesen
Projekten, die wir bei ihm ziemlich frei be-
arbeiten konnten, nicht genügend wieder-
gefunden. Wir wußten das damals nicht so
genau, aber es war ihm offensichtlich zu
stark Corbu-geprägt. In beiden Projekten
machten wir einfach Unite d’habitation.
du Fresne: Keiner außer Brechbühler hat-
te Corbu gekannt, keiner hatte die Unité
gesehen...
Pini: Der erste Corbu-Bau, den wir über-
haupt in Natura gesehen haben, war Saint-
Dié, im Zusammenhang mit Müller
Thun". Das Projekt Halen gab es, bevor
man die Unité in Marseille gesehen hatte.
Erstaunlich vielleicht für den, der das Ge-
fühl hat, Architektur könne nur übermit:
I Halle
2 Eingang
3 Gäste
1 Lager
5 Heizung
A Wohn- und Eßraum mit Galerie
telt werden durch die direkte Konfronta-
tion mit dem Gebauten am Ort. - Ich war
ja schon als Lehrling totaler Fan, die Be-
geisterung ist nicht erst bei Brechbühler
entstanden. Schon als Stift hatte ich die
Corbu-Sachen gelesen. Auch die drei, die
vom Technikum kamen, Hofstettler, He-
sterberg, Fritz, die hatten seine Arbeiten
gekannt.
du Fresne: Und wenn ihr jetzt an diesen
d
d
B-B
Wettbewerben gearbeitet habt, da lagen
die Bücher auf dem Tisch. Ihr habt euch
die Sachen genau angeschaut, bis insletzte
Detail...
Pini: Sicher, aber die Projekte waren doch
auch schon erstaunlich freie Interpretatio-
nen. Man hat zum Beispiel den Semidu-
plex entwickelt, der ja nicht von Corbu
war, und man war beeinflußt, beeindruckt
von all den Arbeiten, die Corbu ausgelöst