Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

ZEITUNG 
Die Auslegung 
Insgesamt 110 Quadratmeter 
Wohn- und Arbeitsfläche sind 
aufgeteilt in einen Arbeitsbe- 
reich als klimatechnische Puffer- 
zone undin eine Zone mit beheiz- 
Eingang 
Fotos: Dieter Kaspari 
Die Architekturlehre an unseren 
Hochschulen hat aufgrund be- 
schränkter Studiendauer und des 
steigenden Lehrstoff-Umfanges 
sehr an Spontaneität verloren. Es 
scheint auch nicht möglich, die- 
sen Mißstand im Rahmen der re- 
guláren Vorlesungs- und 
Übungsroutine zu beheben. Be- 
sonders in Füchern, in denen das 
Be-Greifen von Zusammenhän- 
gen vom realistischen Erleben, 
von „actio-reactio“ abhängig ist, 
wie inden konstruktiven Fächern 
und besonders beim Entwerfen 
von Tragwerken, müssen daher 
von den Studierenden und ihren 
Lehrern außerlehrplanmäßige 
Leistungen erbracht werden. 
Dies erscheint umso wichtiger, 
als der hohe Abstraktionsgrad, 
der z.B. bei heutigen rechneri- 
schen Nachweisen notwendig ist, 
oft die reale Erleb- und Nachvoll- 
ziehbarkeit von Wirkzusammen- 
hängen zwischen Last, Spannung 
und Verformung in Abhängig- 
keit von Materialwert und Bean- 
spruchung der lastabtragenden 
Form erschwert. 
Zur Unterstützung der Lehr- 
veranstaltungen in „Ingenieur- 
hochbau“ (Tragwerksentwurf 
bzw. angewandte Tragwerksleh- 
re) und des Seminars „Bauen in 
Entwicklungsländern“ errichte- 
ten Studenten der Fachhoch- 
schule Aachen im Fachbereich 
Architektur unter der Leitung 
des Autors eine pavillonartige 
Gebäudestruktur aus Bambus 
mit einer „Gitterschale“ als 
Dachtragwerk. Das Projekt war 
gleichzeitig Teil einer For- 
schungsarbeit, deren Zielsetzung 
es ist, für Entwicklungsländer 
erdbebenwiderstandsfáhige, bil- 
baren kleinen Räumen zum 
Wohnen und Arbeiten. Ein an- 
gebauter Energiespeicher soll 
durch die Masse von 10 Tonnen 
Rheinkies zur Klimastabilisie- 
rung beitragen. Da das Gebäude 
nur zeitweise genutzt wird, kann 
man bei Sonneneinstrahlung die 
Temperatur auch ohne zu lüften 
sehr hoch gehen lassen und die 
Überschußenergie speichern. 
Durch äußerst geringe Massen 
Grundrif 
Einfach Bauen 
ist (k)eine Kunst 
Foto: Detlef Hansen 
Experimente mit 
Bambus und Lehm an der FH Aachen 
lige Konstruktionen aus Ortli- 
chen Materialien zu entwickeln, 
die in Selbsthilfe errichtet wer- 
den kónnen. Die verwendeten 
Werkzeuge sollten móglichst ein- 
fach, alle Verbindungsmittel in 
abgelegenen Gebieten leicht er- 
háltlich oder in Notfällen jeder- 
zeit verfügbar sein. Bambus als 
Baumaterial wurde gewählt, weil 
es in vielen Teilen der Erde ko- 
stenlos zur Verfügung steht, und 
weil die Nutzer dieses Materials 
oft schon traditionell mit der Be- 
arbeitung zur Errichtung von 
Wohngebäuden in Selbsthilfe 
vertraut sind. 
Die Form der Gitterschale für 
die Dachkonstruktion erweist 
sich aufgrund ihrer Flexibilität 
als vorteilhaft gegenüber ande- 
ren traditionellen Systemen. Die 
Gitterschale verhält sich als zu- 
sammenhängendes. weitgehend 
im Wohn- und Arbeitsbereich 
läßt sich die Temperatur im Be- 
darfsfall sehr schnell wieder auf 
ein vernünftiges Maß reduzieren. 
Zur Regelung dieser Vorgänge 
ist ein Prozeßrechner vorgese- 
hen. Dieser wird auch die Viel- 
zahl der anfallenden Maßdaten 
registrieren und analysieren. 
Die aus dem Bau und dem Be- 
trieb des Gebäudes gewonnenen 
Erkenntnisse sollen bei Ausle- 
gung und Bau eines weiteren Ge- 
bäudes mit ähnlicher Technik 
verwendet werden. Dabei wird 
mehr auf Wohnen Wert gelegt 
werden. Glasflächen sollen dann 
in Isolierverglasung ausgeführt 
sein um den Nutzeffekt einer 
nicht isolierverglasten Pufferzo- 
ne, wie sie beim Bau des schon 
realisierten Gebäudes vorgese- 
hen ist, nach Möglichkeit auch 
meßtechnisch zu verifizieren. 
Nach einem geeigneten Standort 
wird z.Z. noch gesucht. Wie hier 
soll eine Einbindung in die natür- 
liche Umgebung des Gebáudes 
mit modernen Mitteln realisiert 
werden. 
Guenther Kunz 
auf Druck bzw. Zug beanspruch- 
tes System bei Erschütterungen 
nachgiebig und belastet auch die 
darunterliegenden Wandkon- 
struktionen nicht mit horizonta- 
len Lasten aus Gewólbeschub. 
Nach einer äußeren Lasteinwir- 
kung stellt sich die ursprüngliche 
Lage der Einzelteile im Gesamt- 
gefüge wieder von selbst ein. 
Voraussetzung dabei ist aller- 
dings daß die Gitterstábe in den 
Knoten schubfest und gegen Ver- 
drehen gesichert verbunden sind. 
Vor der Errichtung des Ver- 
suchsbaus waren zahlreiche Vor- 
arbeiten notwendig, wie Form- 
findungsuntersuchungen mit Hil- 
fe eines Hängemodells, Detail- 
entwicklung und Material- sowie 
Bauteiltests im Labor. 
Der Pavillon schließlich, mit 
einer Grundfläche von 6,0 x 6,0 
m stellt mit einem Minimum an 
Materialeinsatz (ca. 60 kg Bam- 
bus) und seinen einfachen Ver- 
bindungsmitteln (Hanfseile, kei- 
ne Schrauben oder andere Stahl- 
teile) und mit einem Arbeitsauf- 
wand von ca. 10 Stunden für 6 bis 
10 „Selbstbauer“ eine ideale 
Voraussetzung für das Tragge- 
rüst eines einfachen, in Entwick- 
lungsländern mit Bambusvor- 
kommen sehr kostengünstigen 
„Einfamilienhauses“ dar. Als Er- 
gänzung dieses Versuchsbaus 
werden zur Zeit Verbundkon- 
struktionen aus Bambus, Jute 
und Lehm für die Verwendung 
als Wand- und Dachelemente un- 
tersucht. Auch dabei fließen wie- 
der die Kreativität und der frei- 
willige Arbeitseinsatz von Stu- 
denten in das Gesamtergebnis 
ein 
Bernd Baier 
IF
	        

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