Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

S eit 1921, als die ersten GroBstadtskiz- 
zen von Le Corbusier in der Zeit- 
schrift Styl” erschienen, zählte Charles 
Edouard Jeanneret und sein Werk zu den- 
jenigen, die die moderne tschechische Ar- 
chitektur am stärksten mitgestalteten. Bis 
jetzt gibt es jedoch keinen umfassenden 
Überblick über seine Beziehungen zur 
Tschechoslowakei. Eine Untersuchung 
dieses Problems schließt mehrere Themen 
ein, wie Le Corbusiers Besuche der Tsche- 
choslowakei, Publizität seiner Arbeiten 
bis zur Polemik mit Karel Teige, Arbeit 
tschechischer Architekten in seinem Ate- 
lier, und schließlich auch Le Corbusiers 
Einfluß auf die Arbeit tschechischer Ar- 
chitekten. Und wir möchten in der vorlie- 
genden Studie gerade auf diese Problema- 
tik eingehen. 
LE CORBUSIERS 
BESUCHE DER 
TSCHECHOSLOWAKEI 
L e Corbusier besuchte die Tschechos- 
lowakei viermal: in den Jahren 1911, 
1925, 1928 und 1935. Während er die letz- 
ten drei Reisen bereits als ein berühmter 
Architekt realisierte, die Aufmerksam- 
keit der fachlichen Öffentlichkeit, der 
Presse und sogar - bei der letzten Reise — 
des Films erregte, fand seine erste Reise 
nach Prag noch wáhrend seiner Lehrjahre 
zur Zeit der k.u.k. Monarchie ,inkognito“ 
statt. Sie war Bestandteil einer großen 
Reise in den Orient, auf der er von seinem 
Freund August Klipstein begleitet wurde 
und die eine große Inspirationsquelle für 
sein ganzes Leben darstellte. Dank Giu- 
liano Gresleri? hat sich ihr Itinerarium er- 
halten. Beide Freunde kamen nach Prag 
Wahrscheinlich am 7. Mai 1911 abends, 
spátestens am 8. Mai früh und blieben hier 
drei Tage, bis zum 10. Mai, als sie über 
Tábor nach Wien weiter reisten. Das alte 
Vladimir Slapeta 
DIE WIRKUNG IN 
DER FERNE 
LE CORBUSIER UND 
DIE TSCHECHISCHE 
ARCHITEKTUR 
Prag hat Le Corbusier, zum Unterschied 
von Wien, begeistert.” Die von Le Corbu- 
sier gemachten Fotografien zeigen die 
Stadtteile, die er für sich entdeckte und die 
für ihn von Interesse waren: Blick der Ni- 
kolauskirche und der Prager Burg von der 
Karlsbrücke, Barockstatuen auf der 
Karlsbrücke, Statue des Kaisers Karl IV 
auf der Terasse des Kreuzherrenplatzes, 
Barockfassaden der Bürgerhäuser am 
Altstädter Ring. Er entdeckte auch ein 
kleines Objekt im rechtsufrigen Teil der 
Stadt, das seinen „puritanischen“ Gefüh- 
len imponierte: die Kapuzinerkirche des 
Heiligen Judas Tadeas am Platz der Repu- 
blik. Auch auf dem linken Moldauufer 
suchte er ungewöhnliche Partien und De- 
tails. Neben der Nikolauskirche und deren 
Umgebung fand er die für ihn besonders 
interessante anonyme Architektur von 
Stadtmauern und Fortifikationen, als 
auch viele Details an den Hausportalen 
des Goldenen Gäßchens und in der Klein- 
seite. Le Corbusier machte in Prag auch 
Zeichnungen, die sich jetzt im Museum 
der Stadt La Chaux de Fonds befinden sol- 
len. Noch nach siebzehn Jahren erinnerte 
sich Le Corbusier an seine Eindrücke: 
„Das alte Prag gefällt mir sehr. Nicht so 
der Veitsdom, aber die alten Häuser no- 
bler Proportionen; die Zivilbauten, auch 
die bescheidenen, weisen Noblesse auf. 
Es ist eine Architektur mediterranen Gei- 
stes, ^? 
Dem zweiten Besuch ging eine Korre- 
spondenz über seine Publikationen in 
tschechischen Fachzeitschriften und über 
die Vorbereitung seiner Vorträge voraus. 
Als am Anfang der 20er Jahre die Zeit- 
schrift „L’esprit nouveau“ nach Prag kam, 
fanden die tschechischen Architekten im 
Jahre 1922 gleichzeitig verschiedene We- 
ge, um Kontakte mit Le Corbusier anzu- 
knüpfen. Karel Teige und Josef Sima 
kleines Foto: Vladimir Karfik 
(links), Le Corbusier und Jan A. 
Baía, 28.4.1935 
grofes Foto: Prag-Kleine Seite, St 
Nikolaus Kirche; Foto: Le Corbu- 
sier 
^"
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.