Hat die NH-Krise der Sache der
Gemeinwirtschaft den Todes-
stoB gegeben oder ist es umge-
kehrt — wie die Gralshüterin der
Marktorthodoxie in der Spiegel-
Redaktion, Renate Merklein,
bemerkt (H.4/1986, $.123)-. da
,die Gemeinwirtschaft der Neu-
en Heimat den Garaus machte"?
Sind es bloß die „kriminellen
Energien“ der Manager, die für
Schaden sorgen, wie es in der
jüngsten Stellungnahme der
Grünen im Bundestag (Nov. 86)
heißt, oder ist es das Projekt der
Gemeinwirtschaft selber, das
hier wieder einmal seine Unmög-
lichkeit zur Schau stellt?
Bedeutung, Implikationen
und Konsequenzen dieser Frage
werden bei der Linken offen-
sichtlich immer noch verkannt.
Dies hat leider Tradition im lin-
ken Denken: wáhrend man die
Kritik des Kapitalismus mit
schier unermüdlichem intellek-
tuellen Aufwand betrieb, über-
lie man die Frage nach Alterna-
tiven, nach einer handhabbaren
„positiven Okonomie sozialer
Bewegungen und Reformen“
dem Projekt Hoffnung. Man be-
gnügte sich mit Leerformeln, die
als Mythen zwar oft eine große
einigende Kraft hatten, für prak-
tisches Handeln jedoch keinerlei
Orientierung lieferten. Obwohl
man spätestens 1918 die politi-
sche Unschuld verlor, polemi-
siert man noch heute wie zu Zei-
ten von Engels und Kautsky ge-
gen die Entwicklung von „Re-
zepten für die Garküche der Zu-
kunft“. Wer anders als die linke
Intelligentia, das kollektive Ge-
dächtnis der Bewegung, sollte
denn die Arbeit der Zuspitzung,
die Aufarbeitung der Fehler, die
Präzisierung der Leitbilder, die
Konkretisierung der Bedingun-
gen der Möglichkeit von Alterna-
tiven leisten? Wer heute glaubt.
daf es bloB um die Gemeinwirt-
schaft geht, die man folgenlos
verabschieden könne, der hat
den historischen Blick verloren.
Längst geht es um die Glaubwür-
digkeit des Projektes Sozialismus
überhaupt; ja die Möglichkeit ei-
ner wie auch immer zu nennen-
den demokratisch-ókologischen
Alternative selbst steht zur De-
batte. Und macht man es sich
auch diesmal so leicht wie beim
Scheitern die Sozialisierungs-,
Verstaatlichungs- und Planungs-
bewegungen, so darf man sich
nicht wundern, wenn die ,,Mehr-
heit links von der Mitte* sich in
ein Hàuflein Minderheiten aus-
dünnt. Weil es ums Ganze geht,
haben Analyse und Folgerungen
aus dem heutigen Gemeinwirt-
schaftsdebakel strategische Be-
deutung.
Daher kann man sich weder
mit dem Entlastungsargument
»korrupte Manager“ und ,,krimi-
nelle Energien“ zufrieden geben,
noch mit der schlichten Verab-
schiedung der Gemeinwirtschaft
Wieviel ist verloren —
„Neue Heimat“,
Gemeinwirtschaft oder mehr?
als Fehlgriff, wie das sowohl auf
konservativer Seite geschieht
(dort generalisierend gegen jede
Alternative zur gewinngesteuer-
ten Okonomie), wie auch bei lin-
ken Gewerkschaftern (hier nur
auf die Gemeinwirtschaft bezo-
gen). Während bei den „Verab-
schiedern* die Konservativen à
la Merklein immerhin konse-
quent sind, sind die Linken làngst
in ein unheilsames Dilemma ge-
raten. Es ist an reformókonomi-
schen Topoi und móglichen
Hoffnungstrágern nichts mehr
da, was nicht schon durch vor-
gingige Politik in MiBkredit ge-
raten ist. Denn über die Jahre ist
die Liste der gescheiterten und
eilig verabschiedeten Konzepte
überlang geworden und fordert
nun endlich Konsequenzen.
Kernpunkt folgender Bemü-
hungen, einige positive Lehren
aus der NH-Krise zu ziehen, ist
die Grundthese, daß jede sozial-
reformerisch motivierte Alterna-
tive zur Marktsteuerung strate-
gisch auf Organisationskultur
und Wirtschaftsmoral der Betei-
ligten angewiesen ist. Damit ist
nicht gemeint — was zu Recht als
weltfremd kritisiert wird — daf
das Eigeninteresse der Beteilig-
ten zugunsten einer Gemein-
schaftsethik auBer Kraft gesetzt
werden soll, sondern daf es in ei-
ne Organisationskultur und Le-
benshaltung eingebunden wird.
die es zu anderen Ergebnissen
führen läßt. Eine Gemeinwirt-
schaft ohne Gemeinwirtschaftler
kann nicht funktionieren. Und
nichts beleuchtet diese These
besser als die Peinlichkeiten der
öffentlichen Auftritte ihrer lei-
tenden Persönlichkeiten. Deren
Sozialisation ist aber kein Natur-
gesetz, sondern Ergebnis vergan-
gener politischer (Fehl-)Ent-
scheidungen. Wie wichtig die
Pflege von .Unternehmensohi-
losophie“ und „Organisations-
kultur“ sind, haben große Privat-
unternehmen längst erkannt, ob-
wohl sie es viel weniger nötig ha-
ben als gemeinwirtschaftliche.
Im Kampf um eine funktions-
fáhige und kulturell attraktive
gemeinnützige Wohnungswirt-
schaft (GWW) scheinen mir aus
der NH-Krise fünf Lehren von
entscheidender Bedeutung.
Klare ordnungspolitische Ab-
grenzung
Erstens: Der Verfall der intellek-
tuellen Reformkultur ist so weit-
gehend, daß es kaum noch je-
manden gibt, der die aktuelle De-
batte um Reform des Wohnge-
meinnützigkeitsgesetzes (WGG)
ordnungspolitisch in der Tradi-
tion der Wohnreformbewegung
begreift. Das Konzept der ge-
meinnützigen Wohnungswirt-
schaft als Sondersektor — seine
Funktionsvoraussetzungen, Sta-
bilitätsbedingungen, seine spezi-
fischen Allokations- und Vertei-
lungsmechanismen — müssen be-
kannt sein, will man nicht an dem
ideenlosen, aktuellen. Herum-
flicken und damit Zerstóren teil-
haben, sondern offensiv gestal-
ten. Es bedarf beispielsweise
wieder einer klaren ordnungspo-
litischen. Abgrenzung von ge-
meinnütziger und privatwirt-
schaftlicher Wohnungswirt-
schaft, wie sie bis 1956 ansatzwei-
se mit dem Antispekulationspa-
ragraphen ($8 8 WGG) vorhanden
war. Die gemeinnützige Woh-
nungswirtschaft sollte ein beson-
deres, von privaten Anbieter-
märkten abgegrenztes Gut pro-
duzieren: die sozial-gebundene
Wohnung, die dauerhaft von der
freien privaten Verfügung abge-
trennt werden muß, also besser
als seinerzeit im $ 8 WGG. Dies
ist die Grundprämisse einer
funktionsfähigen GWW als ge-
sonderter Reformsektor. Heute
gibt es eine unhaltbare Wettbe-
werbsverzerrung, da die gleiche
Wohnung als frei-veräußerbare
Ware sowohl von privaten wie
auch von gemeinnützigen Trä-
gern angeboten werden kann.
Durch diese historische Verwi-
schung der Grenzen wurde die
Spekulation mit dem Wertgefälle
zwischen beiden Sektoren mög-
lich. Während das Verkaufen
von Wohnungen aus dem ge-
meinnützigen Sektor längst ein-
geübte Praxis ist — zu Lasten des
Steuerzahlers und Mieters und
zugunsten des dadurch erst er-
möglichten profitablen Vermitt-
lers (BGI) - erweist sich der Ver-
kauf von Stammkapital, der Aus-
stieg aus der Gemeinnützigkeit
sowie die Privatisierung des Erló-
ses noch als unsicheres Terrain.
Bricht mit der NH der Damm der
aus der Genossenschaftsbewe-
gung stammenden Sozialbindun-
gen, so droht die größte Ver-
schleuderungsaktion von óffent-
lich kontrolliertem Vermógen in
der Geschichte der deutschen
Wohnungspolitik.
Wiedererlangung von Subven-
tionseffizienz
Zweitens: Wie das Gewehklage
über die verlorenen Subventions-
milliarden zeigt, sollte die Fórde-
rung sich wieder an den klassi-
schen Prinzipien der Wohnre-
form -orientieren: keine Ge-
schenke, sondern Fórderung nur
gegen Dauerbindung und óffent-
liche Leistungen. Die Umschich-
tung der Fórderung von direkter
zu indirekter hat zur Vernebe-
lung der Zusammenhänge, zum
Verlust an Steuerungsmöglich-
keiten und zum Entstehen einer
Doppelmoral beigetragen. Wäh-
rend die direkte, budgetsichtbare
Fórderung unter hóchstem Legi-
timationsdruck steht und deshalb
stándig gekürzt wird, und Baumi-
nister Schneider sich weigert, mit
Steuergeldern die Sozialbindun-
gen der NH-Wohnungen zu si-
chern, reifen die budgetunsicht-
baren indirekten Fórderformen
(Steuervorteile) für private Trä-
ger und Spekulanten immer grö-
Bere Lócher ins Steueraufkom-
menspotential und destabilisie-
ren zudem den Wohnungsmarkt,
da dadurch primär kurzfristig in-
teressierte Abschreiber und nicht
gebrauchswertorientierte Bau-
herren und solide Wohnungsver-
walter ..eezüchtet^ werden.
Strategische Bedeutung der Or-
ganisationskultur
Drittens:Die Gemeinwirtschaft
in Gestalt von Gesellschaften wie
die NH ist als Reformprojekt
strukturell immer gefährdet.
Denn sie ist auf Organisations-
kultur und die Moral der Be-
schäftigten strategisch angewie-
sen, da Kapitalkontrolle (wie im
Kapitalismus) und Bewohner-
^