Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

Hat die NH-Krise der Sache der 
Gemeinwirtschaft den Todes- 
stoB gegeben oder ist es umge- 
kehrt — wie die Gralshüterin der 
Marktorthodoxie in der Spiegel- 
Redaktion, Renate Merklein, 
bemerkt (H.4/1986, $.123)-. da 
,die Gemeinwirtschaft der Neu- 
en Heimat den Garaus machte"? 
Sind es bloß die „kriminellen 
Energien“ der Manager, die für 
Schaden sorgen, wie es in der 
jüngsten Stellungnahme der 
Grünen im Bundestag (Nov. 86) 
heißt, oder ist es das Projekt der 
Gemeinwirtschaft selber, das 
hier wieder einmal seine Unmög- 
lichkeit zur Schau stellt? 
Bedeutung, Implikationen 
und Konsequenzen dieser Frage 
werden bei der Linken offen- 
sichtlich immer noch verkannt. 
Dies hat leider Tradition im lin- 
ken Denken: wáhrend man die 
Kritik des Kapitalismus mit 
schier unermüdlichem intellek- 
tuellen Aufwand betrieb, über- 
lie man die Frage nach Alterna- 
tiven, nach einer handhabbaren 
„positiven Okonomie sozialer 
Bewegungen und Reformen“ 
dem Projekt Hoffnung. Man be- 
gnügte sich mit Leerformeln, die 
als Mythen zwar oft eine große 
einigende Kraft hatten, für prak- 
tisches Handeln jedoch keinerlei 
Orientierung lieferten. Obwohl 
man spätestens 1918 die politi- 
sche Unschuld verlor, polemi- 
siert man noch heute wie zu Zei- 
ten von Engels und Kautsky ge- 
gen die Entwicklung von „Re- 
zepten für die Garküche der Zu- 
kunft“. Wer anders als die linke 
Intelligentia, das kollektive Ge- 
dächtnis der Bewegung, sollte 
denn die Arbeit der Zuspitzung, 
die Aufarbeitung der Fehler, die 
Präzisierung der Leitbilder, die 
Konkretisierung der Bedingun- 
gen der Möglichkeit von Alterna- 
tiven leisten? Wer heute glaubt. 
daf es bloB um die Gemeinwirt- 
schaft geht, die man folgenlos 
verabschieden könne, der hat 
den historischen Blick verloren. 
Längst geht es um die Glaubwür- 
digkeit des Projektes Sozialismus 
überhaupt; ja die Möglichkeit ei- 
ner wie auch immer zu nennen- 
den demokratisch-ókologischen 
Alternative selbst steht zur De- 
batte. Und macht man es sich 
auch diesmal so leicht wie beim 
Scheitern die Sozialisierungs-, 
Verstaatlichungs- und Planungs- 
bewegungen, so darf man sich 
nicht wundern, wenn die ,,Mehr- 
heit links von der Mitte* sich in 
ein Hàuflein Minderheiten aus- 
dünnt. Weil es ums Ganze geht, 
haben Analyse und Folgerungen 
aus dem heutigen Gemeinwirt- 
schaftsdebakel strategische Be- 
deutung. 
Daher kann man sich weder 
mit dem Entlastungsargument 
»korrupte Manager“ und ,,krimi- 
nelle Energien“ zufrieden geben, 
noch mit der schlichten Verab- 
schiedung der Gemeinwirtschaft 
Wieviel ist verloren — 
„Neue Heimat“, 
Gemeinwirtschaft oder mehr? 
als Fehlgriff, wie das sowohl auf 
konservativer Seite geschieht 
(dort generalisierend gegen jede 
Alternative zur gewinngesteuer- 
ten Okonomie), wie auch bei lin- 
ken Gewerkschaftern (hier nur 
auf die Gemeinwirtschaft bezo- 
gen). Während bei den „Verab- 
schiedern* die Konservativen à 
la Merklein immerhin konse- 
quent sind, sind die Linken làngst 
in ein unheilsames Dilemma ge- 
raten. Es ist an reformókonomi- 
schen Topoi und móglichen 
Hoffnungstrágern nichts mehr 
da, was nicht schon durch vor- 
gingige Politik in MiBkredit ge- 
raten ist. Denn über die Jahre ist 
die Liste der gescheiterten und 
eilig verabschiedeten Konzepte 
überlang geworden und fordert 
nun endlich Konsequenzen. 
Kernpunkt folgender Bemü- 
hungen, einige positive Lehren 
aus der NH-Krise zu ziehen, ist 
die Grundthese, daß jede sozial- 
reformerisch motivierte Alterna- 
tive zur Marktsteuerung strate- 
gisch auf Organisationskultur 
und Wirtschaftsmoral der Betei- 
ligten angewiesen ist. Damit ist 
nicht gemeint — was zu Recht als 
weltfremd kritisiert wird — daf 
das Eigeninteresse der Beteilig- 
ten zugunsten einer Gemein- 
schaftsethik auBer Kraft gesetzt 
werden soll, sondern daf es in ei- 
ne Organisationskultur und Le- 
benshaltung eingebunden wird. 
die es zu anderen Ergebnissen 
führen läßt. Eine Gemeinwirt- 
schaft ohne Gemeinwirtschaftler 
kann nicht funktionieren. Und 
nichts beleuchtet diese These 
besser als die Peinlichkeiten der 
öffentlichen Auftritte ihrer lei- 
tenden Persönlichkeiten. Deren 
Sozialisation ist aber kein Natur- 
gesetz, sondern Ergebnis vergan- 
gener politischer (Fehl-)Ent- 
scheidungen. Wie wichtig die 
Pflege von .Unternehmensohi- 
losophie“ und „Organisations- 
kultur“ sind, haben große Privat- 
unternehmen längst erkannt, ob- 
wohl sie es viel weniger nötig ha- 
ben als gemeinwirtschaftliche. 
Im Kampf um eine funktions- 
fáhige und kulturell attraktive 
gemeinnützige Wohnungswirt- 
schaft (GWW) scheinen mir aus 
der NH-Krise fünf Lehren von 
entscheidender Bedeutung. 
Klare ordnungspolitische Ab- 
grenzung 
Erstens: Der Verfall der intellek- 
tuellen Reformkultur ist so weit- 
gehend, daß es kaum noch je- 
manden gibt, der die aktuelle De- 
batte um Reform des Wohnge- 
meinnützigkeitsgesetzes (WGG) 
ordnungspolitisch in der Tradi- 
tion der Wohnreformbewegung 
begreift. Das Konzept der ge- 
meinnützigen Wohnungswirt- 
schaft als Sondersektor — seine 
Funktionsvoraussetzungen, Sta- 
bilitätsbedingungen, seine spezi- 
fischen Allokations- und Vertei- 
lungsmechanismen — müssen be- 
kannt sein, will man nicht an dem 
ideenlosen, aktuellen. Herum- 
flicken und damit Zerstóren teil- 
haben, sondern offensiv gestal- 
ten. Es bedarf beispielsweise 
wieder einer klaren ordnungspo- 
litischen. Abgrenzung von ge- 
meinnütziger und  privatwirt- 
schaftlicher Wohnungswirt- 
schaft, wie sie bis 1956 ansatzwei- 
se mit dem Antispekulationspa- 
ragraphen ($8 8 WGG) vorhanden 
war. Die gemeinnützige Woh- 
nungswirtschaft sollte ein beson- 
deres, von privaten Anbieter- 
märkten abgegrenztes Gut pro- 
duzieren: die sozial-gebundene 
Wohnung, die dauerhaft von der 
freien privaten Verfügung abge- 
trennt werden muß, also besser 
als seinerzeit im $ 8 WGG. Dies 
ist die Grundprämisse einer 
funktionsfähigen GWW als ge- 
sonderter Reformsektor. Heute 
gibt es eine unhaltbare Wettbe- 
werbsverzerrung, da die gleiche 
Wohnung als frei-veräußerbare 
Ware sowohl von privaten wie 
auch von gemeinnützigen Trä- 
gern angeboten werden kann. 
Durch diese historische Verwi- 
schung der Grenzen wurde die 
Spekulation mit dem Wertgefälle 
zwischen beiden Sektoren mög- 
lich. Während das Verkaufen 
von Wohnungen aus dem ge- 
meinnützigen Sektor längst ein- 
geübte Praxis ist — zu Lasten des 
Steuerzahlers und Mieters und 
zugunsten des dadurch erst er- 
möglichten profitablen Vermitt- 
lers (BGI) - erweist sich der Ver- 
kauf von Stammkapital, der Aus- 
stieg aus der Gemeinnützigkeit 
sowie die Privatisierung des Erló- 
ses noch als unsicheres Terrain. 
Bricht mit der NH der Damm der 
aus der Genossenschaftsbewe- 
gung stammenden Sozialbindun- 
gen, so droht die größte Ver- 
schleuderungsaktion von óffent- 
lich kontrolliertem Vermógen in 
der Geschichte der deutschen 
Wohnungspolitik. 
Wiedererlangung von Subven- 
tionseffizienz 
Zweitens: Wie das Gewehklage 
über die verlorenen Subventions- 
milliarden zeigt, sollte die Fórde- 
rung sich wieder an den klassi- 
schen Prinzipien der Wohnre- 
form -orientieren: keine Ge- 
schenke, sondern Fórderung nur 
gegen Dauerbindung und óffent- 
liche Leistungen. Die Umschich- 
tung der Fórderung von direkter 
zu indirekter hat zur Vernebe- 
lung der Zusammenhänge, zum 
Verlust an Steuerungsmöglich- 
keiten und zum Entstehen einer 
Doppelmoral beigetragen. Wäh- 
rend die direkte, budgetsichtbare 
Fórderung unter hóchstem Legi- 
timationsdruck steht und deshalb 
stándig gekürzt wird, und Baumi- 
nister Schneider sich weigert, mit 
Steuergeldern die Sozialbindun- 
gen der NH-Wohnungen zu si- 
chern, reifen die budgetunsicht- 
baren indirekten Fórderformen 
(Steuervorteile) für private Trä- 
ger und Spekulanten immer grö- 
Bere Lócher ins Steueraufkom- 
menspotential und destabilisie- 
ren zudem den Wohnungsmarkt, 
da dadurch primär kurzfristig in- 
teressierte Abschreiber und nicht 
gebrauchswertorientierte Bau- 
herren und solide Wohnungsver- 
walter ..eezüchtet^ werden. 
Strategische Bedeutung der Or- 
ganisationskultur 
Drittens:Die Gemeinwirtschaft 
in Gestalt von Gesellschaften wie 
die NH ist als Reformprojekt 
strukturell immer gefährdet. 
Denn sie ist auf Organisations- 
kultur und die Moral der Be- 
schäftigten strategisch angewie- 
sen, da Kapitalkontrolle (wie im 
Kapitalismus) und Bewohner- 
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