Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

„Er sprach aus dem Stegreif, humorvoll 
und unterhaltend, wie er es konnte, und 
zeichnete mit einem Kohlenstück auf Pa- 
pier. Seine Rede schloß er mit der Erklä- 
rung; die neuen Prinzipien von Architek- 
tur verbreiten sich unaufhörlich in der 
ganzen Welt, trotz des Widerstandes der 
offiziellen Kreise, insbesondere in Frank- 
reich. Aber wahrscheinlich auch bei Ih- 
nen, wie der massive Bau assyrischen Typs 
zeigt, den ich da drüben gesehen habe. (Er 
meinte damit den Palast der Riunione 
den „Maschinismus“ der neuen Zeit, der 
auch in die Architektur eindringen solle 
‘das Haus solle eine Art , Wohnmaschine“ 
sein’), und hob die Bedeutung der Geo- 
metrie hervor, in der es GesetzmáBigkeit, 
hóchstmógliche Sparsamkeit und Klarheit 
gibt: die Gerade, der rechte Winkel, die 
Horizontale und die Vertikale stellen die 
Grundelemente der neuen Asthetik dar." 
Die Ausfithrungen wurden von Zeichnun- 
gen der alten Stilkonzepte begleitet und 
mit den neuen schópferischen Prinzipien 
verglichen. Dann zeigte er Beispiele sei- 
ner Bauten und zum Schluß beschäftigte 
er sich mit dem Umbau von Großstädten 
im Sinne seines Projektes „Plan Voisin“.'® 
Es haben sich Kritiken und Erinnerun- 
gen von Teilnehmern an Le Corbusiers 
Vortrag erhalten. Während die Zeitung 
„Närodni listy“ schrieb, daß „der Vortrag 
Le Corbusiers, gegenüber dem hervorra- 
gend konzipierten und gehaltenen Vor- 
trag von Gropius, der dieselben Prinzipien 
proklamierte, pedantisch, trocken und 
improvisiert war, insbesondere als die 
Selbstverständlichkeiten des neuen ästhe- 
tischen Alphabets erklärt wurden“ ,'” be- 
richteten die Lidove noviny und die Prager 
Presse über den überfüllten Saal und den 
lebhaften Beifall.'” „Er sprach hart und 
sachlich, aber mit der inneren Begeiste- 
rung eines Enthusiasten. Er verglich den 
neuen Stádtebau mit anderen historischen 
Epochen und zeichnete auf der Tafel die 
Kommunikationsgesetze von Eselswegen 
als auch die Gesetze für neue Trassen der 
Epoche des Automobils. Es waren gran- 
diose Vereinfachungen und Verallgemei- 
nerungen, aber gar nicht vulgár, sondern 
voll von Geist und Funken,"'" erinnert 
sich dieser Veranstaltung der älteste 
tschechische Mitarbeiter Le Corbusiers 
Karel Stráník. Jan Sokol, spáterer Mitar- 
beiter Le Corbusiers, erzáhlt eine interes- 
sante Geschichte aus dem Prager Abend: 
adriatica di sicurtà von Pavel Janák - Be- 
merkung des Verfassers). Nach dem Vor- 
trag, als ich die Treppe hinter Oldfich Sta- 
ry hinunterging, hórte ich ihn zu Janák sa- 
gen: ,Der hat Sie aber schón aufs Ohr ge- 
hauen, Herr Kollege:* Wonach Janik ru- 
hig antwortete: ,Was dieser Herr sagt, ha- 
ben wir schon hinter uns.‘ Ich folgte da- 
mals Stary und bewunderte nur die Selbst- 
sicherheit Janäks, aber nach Jahren kann 
ich seine Antwort besser einschätzen. Es 
kann darin auch ein wenig Mißverständnis 
gegeben haben, wie es bei einem Ge- 
spräch häufig der Fall ist.“ '” 
Und Karel Honzik beschränkte sich nur 
auf den Eindruck der Persönlichkeit Le 
Corbusiers: „Er kam mir wie ein amerika- 
nischer Pastor vor, entzückt über eine fa- 
natische Idee, immer mit einer glühenden 
Zigarette in seinem Mundwinkel wie ein 
französischer Mechaniker, der auch bei 
der Arbeit über Benzinbehälter den Ziga- 
rettenstummel nicht wegwirft, ein soge- 
nanntes „brüle-grueule“, d.h. „Brenn- 
maul*. Die Brünner Zeitungen schátz- 
ten die treffende, auf historischer und 
konstruktiver Grundlage beruhende Me- 
thode, mit der Le Corbusier seine Theo- 
rien prásentierte.?" Professor Jaroslav Sy- 
fisté, der auch seine Studenten aus der 
Baugewerbeschule zum Vortrag mit- 
nahm, fragte angeblich Le Corbusier in 
der Diskussion, ob seine flachen Dächer 
nicht Wasser durchließen, wonach Le 
Corbusier ruhig antwortete: „Ja, sie lassen 
Wasser durch...“ ? 
großes Foto rechts: Kleine Seite in 
Prag (Kleinseitner Cafe-Haus und 
Nikolaus Kirche); 
kleines Foto oben: Prag-Kleine Sei- 
te, Neue Schloßtreppe; Foto: Le 
Corbusier 
kleines Foto Mitte: Prag-Kleine 
Seite, Fürstenberg-Palais; Foto: Le 
Corbusier 
kleines Foto unten: Prag-Kleine 
Seite. Portal: Foto: Le € rbusier 
M
	        

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