„Er sprach aus dem Stegreif, humorvoll
und unterhaltend, wie er es konnte, und
zeichnete mit einem Kohlenstück auf Pa-
pier. Seine Rede schloß er mit der Erklä-
rung; die neuen Prinzipien von Architek-
tur verbreiten sich unaufhörlich in der
ganzen Welt, trotz des Widerstandes der
offiziellen Kreise, insbesondere in Frank-
reich. Aber wahrscheinlich auch bei Ih-
nen, wie der massive Bau assyrischen Typs
zeigt, den ich da drüben gesehen habe. (Er
meinte damit den Palast der Riunione
den „Maschinismus“ der neuen Zeit, der
auch in die Architektur eindringen solle
‘das Haus solle eine Art , Wohnmaschine“
sein’), und hob die Bedeutung der Geo-
metrie hervor, in der es GesetzmáBigkeit,
hóchstmógliche Sparsamkeit und Klarheit
gibt: die Gerade, der rechte Winkel, die
Horizontale und die Vertikale stellen die
Grundelemente der neuen Asthetik dar."
Die Ausfithrungen wurden von Zeichnun-
gen der alten Stilkonzepte begleitet und
mit den neuen schópferischen Prinzipien
verglichen. Dann zeigte er Beispiele sei-
ner Bauten und zum Schluß beschäftigte
er sich mit dem Umbau von Großstädten
im Sinne seines Projektes „Plan Voisin“.'®
Es haben sich Kritiken und Erinnerun-
gen von Teilnehmern an Le Corbusiers
Vortrag erhalten. Während die Zeitung
„Närodni listy“ schrieb, daß „der Vortrag
Le Corbusiers, gegenüber dem hervorra-
gend konzipierten und gehaltenen Vor-
trag von Gropius, der dieselben Prinzipien
proklamierte, pedantisch, trocken und
improvisiert war, insbesondere als die
Selbstverständlichkeiten des neuen ästhe-
tischen Alphabets erklärt wurden“ ,'” be-
richteten die Lidove noviny und die Prager
Presse über den überfüllten Saal und den
lebhaften Beifall.'” „Er sprach hart und
sachlich, aber mit der inneren Begeiste-
rung eines Enthusiasten. Er verglich den
neuen Stádtebau mit anderen historischen
Epochen und zeichnete auf der Tafel die
Kommunikationsgesetze von Eselswegen
als auch die Gesetze für neue Trassen der
Epoche des Automobils. Es waren gran-
diose Vereinfachungen und Verallgemei-
nerungen, aber gar nicht vulgár, sondern
voll von Geist und Funken,"'" erinnert
sich dieser Veranstaltung der älteste
tschechische Mitarbeiter Le Corbusiers
Karel Stráník. Jan Sokol, spáterer Mitar-
beiter Le Corbusiers, erzáhlt eine interes-
sante Geschichte aus dem Prager Abend:
adriatica di sicurtà von Pavel Janák - Be-
merkung des Verfassers). Nach dem Vor-
trag, als ich die Treppe hinter Oldfich Sta-
ry hinunterging, hórte ich ihn zu Janák sa-
gen: ,Der hat Sie aber schón aufs Ohr ge-
hauen, Herr Kollege:* Wonach Janik ru-
hig antwortete: ,Was dieser Herr sagt, ha-
ben wir schon hinter uns.‘ Ich folgte da-
mals Stary und bewunderte nur die Selbst-
sicherheit Janäks, aber nach Jahren kann
ich seine Antwort besser einschätzen. Es
kann darin auch ein wenig Mißverständnis
gegeben haben, wie es bei einem Ge-
spräch häufig der Fall ist.“ '”
Und Karel Honzik beschränkte sich nur
auf den Eindruck der Persönlichkeit Le
Corbusiers: „Er kam mir wie ein amerika-
nischer Pastor vor, entzückt über eine fa-
natische Idee, immer mit einer glühenden
Zigarette in seinem Mundwinkel wie ein
französischer Mechaniker, der auch bei
der Arbeit über Benzinbehälter den Ziga-
rettenstummel nicht wegwirft, ein soge-
nanntes „brüle-grueule“, d.h. „Brenn-
maul*. Die Brünner Zeitungen schátz-
ten die treffende, auf historischer und
konstruktiver Grundlage beruhende Me-
thode, mit der Le Corbusier seine Theo-
rien prásentierte.?" Professor Jaroslav Sy-
fisté, der auch seine Studenten aus der
Baugewerbeschule zum Vortrag mit-
nahm, fragte angeblich Le Corbusier in
der Diskussion, ob seine flachen Dächer
nicht Wasser durchließen, wonach Le
Corbusier ruhig antwortete: „Ja, sie lassen
Wasser durch...“ ?
großes Foto rechts: Kleine Seite in
Prag (Kleinseitner Cafe-Haus und
Nikolaus Kirche);
kleines Foto oben: Prag-Kleine Sei-
te, Neue Schloßtreppe; Foto: Le
Corbusier
kleines Foto Mitte: Prag-Kleine
Seite, Fürstenberg-Palais; Foto: Le
Corbusier
kleines Foto unten: Prag-Kleine
Seite. Portal: Foto: Le € rbusier
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