Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

kontrolle (wie bei der Genossen- 
schaft) entfallen. Da das eindeu- 
tige Unternehmensziel — dic Ge- 
winnmaximierung — entfällt, 
wächst zunächst der Handlungs- 
spielraum; umgekehrt sind nun 
Ziele komplexer, Anforderun- 
gen oft höher, dafür sind auf- 
grund von Politiknähe und Steu- 
erbefreiung die Ressourcen teil- 
weise größer. Jedenfalls sind nun 
managerielles Handlungsfeld 
und die Prinzipien der Komplexi- 
tätsreduktion offener. Daher die 
erhöhte Bedeutung wertgeleite- 
ter Handlungssicherheit und 
Kontrolle. Dafür sind aber eine 
klare Gemeinwirtschaftsphiloso- 
ohie, Organisationskultur und 
individuelle — Wirtschaftsmoral 
von strategischer Bedeutung. 
Werden diese aber — wie jahr- 
zehntelang in der gewerkschattli- 
chen Gemeinwirtschaft — weder 
gefragt noch gefórdert, dann set- 
zen sich die Normen der privat- 
wirtschaftlichen Umgebung 
durch. Nur daß es dann in der Ge- 
meinwirtschaft zu einer parado- 
xen Umkehrung privatwirt- 
schaftlicher Maximen kommt: 
statt Gewinne zu internalisieren 
und Kosten zu externalisieren, 
wurden nun Gewinnmöglichkei- 
ten externalisiert und Kosten in- 
ternalisiert. Also: Kosten wur- 
den einerseits regelrecht „produ- 
ziert“ statt sie zu minimieren, da 
die Gewinnausschüttung be- 
grenzt wurde. Die Transforma- 
tion von potentiellen Überschüs- 
sen in Kosten kann beispielswei- 
se die Form von Ausstattungslu- 
xus, von überbetrieblichen Lei- 
stungen, Höchstgehältern, über- 
höhten Spenden und Geschen- 
kenannehmen. „Fiktive“ Kosten 
können andererseits auch inter- 
nalisiert werden, um Gewinn- 
möglichkeiten zu externalisie- 
ren. Nicht-gemeinnützige Ge- 
sellschaften wie die Terrafinanz, 
Baustoffunion, Heizungs- und 
Antennengesellschaften wurden 
systematisch vor- und nachge- 
schaltet, um dort verfügbare Ge- 
winne zu Lasten der NH bezie- 
hungsweise der Mieter und Steu- 
erzahler zu machen. Und immer 
waren es die Führungskader sel- 
ber, die von diesem Geschäft mit 
sich selber (teilweise versteckt 
hinter Strohmännern) am mei- 
sten profitierten. Ob BGAG 
oder gar DGB als Organisatio- 
nen davon profitierten, muß 
noch geklärt werden. So wurde 
die NH „gemolken“ bis sie an 
Substanzverzehr kollabierte (der 
natürlich auch der Veränderung 
der objektiven Rahmenbedin- 
gungen, Marktsättigung, ver- 
fehlte Wachstums- und Boden- 
oevorratungspolitik usw. ge- 
schuldet war). Statt die Bestim- 
mungen der Wohnungsgemein- 
nützigkeit reformpolitisch zu ver- 
treten und ideelles Kapital dar- 
aus zu ziehen, haben Vorstände 
und Eigentümer immer nur kurz- 
fristig gedacht, die gemeinniitzig- 
keitsrechtliche ^ Vermógensbin- 
dung nur als lästige Schranke 
empfunden und daher nie die 
entsprechenden Eigenkapitaler- 
höhungen vorgenommen. Inve- 
stitionen aus Eigenmitteln und 
Überschüsse wollte man tun- 
lichst dort realisieren, wo man 
ohne gemeinnützigkeitsrechtli- 
che Sozialbindungen verfügen 
konnte, beispielsweise bei der 
NH-Städtebau oder Internatio- 
nal. 
All dies ist keine Frage indivi- 
dueller Unmoral, sondern des 
Fehlens einer anderen Moral. 
Nur der Kadergeist einer Akade- 
mie der Gemeinwirtschaft, ein- 
gebettet in eine intellektuelle Re- 
formkultur hätte hier ein anderes 
Fundament legen können. Jene 
aber wurde früh (in den Fünfzi- 
ger Jahren) geopfert (heute 
Hochschule für Wirtschaft und 
Politik, Hamburg). Diese aber — 
zum Beispiel in Gestalt einer 
konkretisierten sektoralen Re- 
formstrategie, wie es in den 
Zwanziger Jahren durch Martin 
Wagner, Bruno Taut als Gewerk- 
schaftsstrategie gelang — hatte 
zwischen den  sozialpartner- 
schaftlichen und den zu abstrakt 
oppositionellen Flügeln der Ar- 
beitnehmerorganisationen keine 
Chance. 
Selbstverwaltungsverbund statt 
Konzern 
Viertens: Wenn dieser Kader- 
geist nicht technokratisch abdrif- 
ten soll, muß er eingebunden sein 
in den Diskurs mit den Betroffe- 
nen: Bewohner, Belegschaft, 
Vertreter des öffentlichen Le- 
bens in den Stadtteilen. Dies war 
auch das Konzept zu Beginn des 
gewerkschaftlichen Engage- 
ments 1924: Programmgebende 
Muttergesellschaft (DEWOG), 
örtliche professionelle Servi- 
ceunternehmen und Verwal- 
tungsgenossenschaften in allen 
Siedlungen. Während die Nazis 
dieses funktionierende differen- 
zierte Selbstverwaltungskonzept 
zerstörten und 1938 durch regio- 
nal zentralisierte „Neue Heima- 
ten“ ersetzten, pflegen die 
Schweden und Norweger das von 
uns importierte Konzept bis heu- 
te erfolgreich: jede Baueinheit 
eine Bewohnergenossenschaft 
im Verbund mit der Mutterge- 
sellschaft. Dort ruht die Gemein- 
wirtschaft auf dem soliden Fun- 
dament von tausenden von 
Selbstverwaltungseinheiten. Die 
kulturelle Basis von Demokratie 
und Solidarität wird in täglicher 
Kleinarbeit gesichert. Und das 
soll bei uns nicht gehen? Längst 
sind die programmatischen An- 
sätze (WOHNBUND) da, erste 
Beispiele von Bewohnergenos- 
senschaften (Duisburg und 
Frankfurt) auf dem Weg. 
Traditionspflege und Perspekti- 
vendebatte 
Fünftens: Wer nicht weiß, woher 
er kommt, kann auch nicht wis- 
sen, wohin er geht. Die NH war 
so traditionslos, daß sie nicht ein- 
mal ihren Geburtstag im richti- 
gen Jahr (nämlich 1924 in Berlin 
und nicht der Zufall von 1926 der 
Hamburger Regionalgründung) 
feiert und sich auch nie vom Stig- 
ma ihres Nazi-Namens und — 
schlimmer noch - der NS-Orga- 
nisationskonzepte (nàmlich Ver- 
zicht auf Selbstverwaltungsorga- 
nisationen in den Siedlungen) be- 
freit hat. Eine Gemeinwirtschaft 
ohne Pflege von Tradition, My- 
then und Hoffnungen geht eben 
nicht. 
Diesem Unternehmen, einer 
der Hauptlobbyisten der Bonner 
Wohnungspolitik, ist es daher 
auch nicht aufgefallen, dafs in ei- 
ner Vielzahl von Schritten, an de- 
nen die NH auch beteiligt war. 
die objektive Funktion der 
GWW geradezu ins Gegenteil 
verkehrt wurde. War die GWW 
ursprünelich Wohnreformsektor 
im Dienste der Bewohner (Kon- 
sumenten), von dem auch Re- 
formdruck auf die vorgelagerten 
kostentreibenden Märkte aus- 
ging: bodenreformerische Be- 
mühungen, gemeinwirtschaftli- 
che Bemühungen im Baustoff- 
und Bausektor (Bauhütten 
usw.), Umgehung der Kapital- 
marktfinanzierung durch Son- 
derkreisläufe. So erscheint die 
GWW heute, als in dieser Kette 
einzig übrig gebliebener regulier- 
ter Markt, als „sozialisierte‘“ Ab- 
satzorganisation der Hochpreis- 
politikinteressen der „liberali- 
sierten* Vormärkte (Boden-, 
Baustoff-, Bau- und Kapital- 
markt), also der Produzenten. 
Über die Institutionen WGG, 
Sozialer Wohnungsbau, Kosten- 
miete und Nachsubventionie- 
rung werden die Gewinninteres- 
sen der Anbieter in den Vor- 
märkten staatlich gesichert statt 
gedämpft und kontrolliert. Am 
deutlichsten ist dies im Bereich 
der Bodenpreise und Kapital- 
kosten. Die Privatbanken haben 
in den letzten dreißig Jahren ei- 
nen einzigartigen Siegeszug voll- 
bracht und alle Reste reformeri- 
scher Sonderfinanzierungskreis- 
läufe verdrängt. Die Bauhütten 
sind zugunsten der Sozialpart- 
nerschaft zu Beginn der sechziger 
Jahre von der IG Bau, Steine, Er- 
den geopfert worden. Bodenre- 
form ist heute ein Fremdwort. 
Konsument und Steuerzahler 
sind dem ganzen hilfloser ausge- 
liefert als dem reinen Marktsy- 
stem. Der ruhmreiche gewerk- 
schaftliche Aufbruch in die Woh- 
nungspolitik der zwanziger Jahre 
endete —- bitter und paradox zu- 
gleich — im gleichsam „tariflich“ 
gesicherten Gewinn der Anbie- 
ter in den wohnungswirtschaftli- 
chen Vormärkten. Die NH sel- 
ber wurde das erste Opfer. Es 
können noch andere folgen. 
Nun rächt sich, daß SPD und 
Gewerkschaften es versäumt ha- 
ben, mehr reformökonomisch- 
ordnungspolitische Konzepte 
aufzubauen: an Hochschulen, 
Fortbildungsstätten, in den eige- 
nen Programmen und Organisa- 
tionen. Eine Gemeinwirtschaft 
ohne Gmeinwirtschaftstheorie, - 
politik und -kultur kann sich 
nicht halten. Klaus Novy 
Abschied von Henry Ford — 
oder was zeigt der Untergang der Neuen Heimat an? 
Der Verkauf der allergrößten 
Teile des größten europäischen 
Wohnungsunternehmens an den 
Brotfabrikanten Schießer für den 
symbolischen Preis von einer 
Mark eignet sich für bissig bittere 
Kommentare. Der Untergang 
vollzieht sich ohne einen Funken 
von Noblesse als Schmierenstück 
kleiner und großer Versager. 
Wenn das Aufsichtsratsmitglied 
Vetter im Bundestagsausschuß 
beteuert, er habe ‚von all dem, 
arst (zu) spät erfahren, was an In- 
vestitionspolitik in der Neuen 
Heimat geschah, wird er gleich 
darauf von Mitgliedern des Be- 
triebsrates widerlegt. die schon 
Jahre zuvor in zwei Gesprächen 
auf die immense Überschuldung 
hingewiesen haben. Vielleicht 
haben die kleinen Abschrei- 
bungsgeschäfte, die der Vor- 
stand der Neuen Heimat an Vet- 
ter vermittelte, die Erinnerung 
verblassen lassen? Oder sind es 
einfach die kleinen Lügen des 
ehemaligen großen Vorsitzen- 
den? Oder - um noch ein Beispiel 
zu bringen — was ist von der 
Wahrnehmungsfáhigkeit eines 
Gewerkschafters, der bei der 
Neuen Heimat engagierten HBV 
zu halten, wenn er die Repräsen- 
tationsbauten der NH in der Drit- 
ten Welt verteidiet: .. Wir kÓnnen
	        

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