AARCH" -ZETTUNG
Die Kuhe der Unruhe
Als Vertreter eines „neuen Idea-
lismus“ betrachteten sich in den
späten 50er Jahren die Künstler
der Zero-Gruppe, die von Heinz
Mack und Otto Piene gegründet
worden war. Die Bezeichnung
.Idealismus" zielte unter ande-
rem auf die transzendente Be-
deutung, die einem zentralen
Thema der Zero-Kunst zuge-
schrieben wurde: dem Licht. In
der Lichtmetaphysik konzen-
trierte sich der Platonismus einer
Zeit, die sich in erster Linie über
die neu eröffneten Móglichkei-
ten von Technik und Wissen-
schaft definierte. Auch die Zgro-
Bewegung schätzte im Lichtphä-
nomen zugleich die physikalische
Definition und den Hinweis auf
„Ubernatürliches“.
Den Künstler Hermann Goep-
fert interessierte das Licht insbe-
sondere als „energetisches Mate-
rial", das inseiner Bewegtheit er-
fahren und ästhetisch verarbeitet
werden will. Der unsichtbaren
Wellenbewegung des Lichts kor-
respondiert in den kinetischen
Objekten Goepferts das Phäno-
men der Vibration. Vibration
war auch für Heinz Mack ein we-
sentliches Formelement seiner
»Lichtreliefs^. und er beschrieb
ihr Erlebnis als „die Ruhe der
Unruhe“, Rückblickend möchte
man meinen, daß sich das politi-
sche Klima der 50er Jahre mit
keiner anderen Formel treffen-
der umschreiben läßt.
Uberhaupt scheint es so man-
che Übereinstimmung gegeben
zu haben zwischen den Forde-
rungen der Zero-Kunst und dem
verordneten Optimismus einer
die Vergangenheit verdrängen-
den Republik. Unter dem pro-
grammatischen Titel „Jetzt“ ver-
kündete Otto Piene 1963 das En-
de der Nachkriegskunst: „Das
Handgemenge der Formen und
Farben, die dramatische Enge,
die Pergamonschlacht der
Flucht- und Verfolgungsbilder,
die Alpträume, die Ballungen
der Angst und Verzweiflung — al-
les das weckte die Sehnsucht
nach Stille, Freiheit, Ruhe, ge-
lassener Einfühlung in den
Rhythmus der Schöpfung, nach
dem Immerwährenden“.
Wie sehr indes die Forderung
nach Stille, Freiheit und Ruhe in
der Hektik des Wirtschaftswun-
ders Anstoß erregte, zeigt die
Tatsache, daß die Zero-Werke
zu ihrer Entstehungszeit vom Pu-
blikum nicht angenommen wur-
den. Sie schienen viel zu redu-
ziert in ihren Ausdrucksmitteln,
außerdem wird man die unge-
wohnten Anforderungen, wel-
che die Lichtobjekte an den Be-
trachter stellten, als Zumutung
empfunden haben. Hinzu kam,
daß Zero das Korsett der tradi-
tionellen Kunstgattungen spreng-
te: die konkrete Verräumlichung
des Bildes, seine Verwandlung in
ein „Objekt“ und damit verbun-
H. Goepfert, Optophonium, 1977, Installation im Frankfurter Kunstverein 198
Asthetische Verfahren in der
Architektur (5)
Hermann Goepfert und Johannes Peter Hölzinger:
„Die Geburt der kinetischen Architektur
aus dem Geist der Zero- Kunst“
den der Anspruch einiger Künst-
ler, öffentlichen Raum zu gestal-
ten, sind deutliche Anzeichen da-
für, daß Zero als Kunst und als
ein kulturpolitischer Faktor
ernstgenommen werden wollte.
den von ihm hervorgebrachten
Lichterscheinungen.
Der Grund hierfür liegt nicht
nur in der trivialen Tatsache, daß
kinetisches Objekt und Lichtwir-
kung in gleicher Weise an das Au-
ge appellieren, sondern daß dies
gleichermaßen mit Individuali-
tätsanspruch geschieht. Im Un-
terschied zur generellen Aus
tauschbarkeit der Musikinstru-
mente sind in der Zero-Kunst
Objekt und Licht aufeinander:
»geeicht^, mithin individuelle
Erscheinungsformen, die jedoch
nicht identisch sind. Das kommt
daher, weil das kinetische Objekt
von ,substantieller^, die Lichter-
Scheinung hingegen von ,.essen-
tieller* Bedeutung ist. Um so
mehr daher das Kunstobjekt kór-
perhaft und selbstverliebt in sei-
ne modernen Materialien. auf
sich aufmerksam macht, desto
eher muB die ,,cophemere" Licht-
erscheinung Gefahr laufen zu
verblassen.
Beispielhaft steht hierfür
Goepferts interessante Idee des
„Optophoniums“, einer klang-
lich-räumlichen Installation, bei
der unterschiedliche Töne, die
auf einem Magnetband aufge-
zeichnet und über Lautsprecher
zu hören sind, in verschieden
starke Lichtstrahlungen umge-
wandelt und von vielgestaltigen
Reflektoren auf eine große Pro-
jektionswand geworfen werden.
Statt daß nun aber die Klänge
und Lichtreflektionen als we-
sentliche Gegenstände ästheti-
scher Erfahrung über die visuelle
Präsenz der Apparatur trium-
phieren, entsteht in dieser ein
Gestaltungsschwerpunkt, — de:
den zarten kontemplativen Cha-
rakter des Licht-Ton-Phäno-
mens zu erdrücken droht
Zum Problem visueller Instru-
mentierung
Der Weg vom Kunstwerk zum
Kunstobjekt begründet sich in
Goepferts Oevre mit der Abló-
sung subjektiver Malweisen
durch die Konstruktion kineti-
scher Apparaturen, die als eine
Art Instrumentation des Lichts
verstanden werden können.
Denn wie in der Musik unter-
schieden wird zwischen der Nota-
tion und ihrer Aufführung ver-
mittels Instrumente, wollte
Goepfert auch für die bildende
Kunst eine Unterscheidung
durchsetzen zwischen dem Licht-
konzept und seiner Realisierung
in Gestalt kinetischer Objekte.
Eine solche Übertragung mu-
sikalischer Arbeitsteilung auf die
visuellen Künste bezieht ihre Lo-
gik aus der Vergleichbarkeit des
.wellenfórmigen" Ton- bzw.
Lichtmaterials. Beide Male be-
darf es eines Instrumentariums,
mit welchem sich das Erklingen
der Tóne und Erscheinen bc-
stimmter Licht-Schatten-Reflek-
tionen bewerkstelligen läßt.
Während nun aber Musikinstru-
mente in ihrem Erklingen völlig
aufgehen, ohne daß etwa der vi-
suelle Reiz, der ihnen durchaus
anhaften mag, ernsthaft miteiner
Komposition in ästhetische Kon-
kurrenz treten würde, befindet
sich dagegen das kinetische, In-
strumentarium in einem nicht un-
oroblematischen Wettstreit mit
Das Projekt „Integration
Daß die Instrumentierung des
Lichts nicht auf den Kunstbe-
reich beschränkt bleiben muß,
sondern auch im öffentlichen
Raum vorgenommen werden
kann, ja vorgenommen werden
sollte in einer Zeit, in der reine
Zweckbestimmung und pure
Wirtschaftlichkeit des Bauens
sich zu | umweltzerstórenden
Maßnahmen auszuwachsen be-
gannen, diese Erkenntnis wurde
zur Grundlage der interdiszipli-
nären Zusammenarbeit des
Künstlers Goepfert und des Ar-
chitekten Hölzinger. In Erinne-
rung an die historischen Avant-
gardebewegungen, die ein span-
nungsreiches Zusammenspiel
von Kunst und Architektur auf
der Basis technischen Fort-
schritts vorgeführt hatten, wollte
die Planungsgemeinschaft Goep-
fert-Hölzinger ihr Integrations-
projekt sowohl unter ästheti-
schen, wissenschaftlichen und
kulturpolitischen Fragestellun-
gen angehen.
Im Unterschied freilich zu den
gewaltigen gesellschaftlichen
Umwälzprozessen, die zwischen
den Weltkriegen der Nährboden
waren für sàmtliche avantgardi-
stischen Experimente und Visio-
nen, war in der bundesrepublika-
nischen Wirklichkeit kein Platz
mehr für die revolutionäre Idee
der Versöhnung von Kunst,
Technik und Alltag. Goepfert
und Hölzinger sahen sich darum
gezwungen, den utopischen Ver-
söhnungsgedanken der 20er Jah-
re mit ihrem „realistischen“ Inte-
grationskonzept fortzusetzen.
Die Blochsche Utopieversion
münzten sie um in eine gleichsam
reformpolitische: „Ausgangs-
punkt für utopisches Denken ist
heute Kritik am Bestand, Erken-
nen des zukünftigen Bedarfs und
Wissen um die mutmaßliche Ent-
wicklung der Möglichkeiten“.
Wie sehr Goepfert und Hölzin-
ger eine primär ästhetische Ant-
wort auf die von ihnen erarbeite-
ten Problemstellungen geben
wollten, deutet schon die Be-
zeichnung „Planungsgemein-
schaft für neue Formen der Um-
welt“ an, unter der sie ihre ge-
meinsame Arbeit um 1963 auf-
nahmen. Diese kreiste nicht um
die Konzipierung neuer Lebens-
formen, vielmehr zielte sie auf
ein praktizierbares künstleri-
sches Verständnis von Umwelt.
Ganz im Gegensatz hierzu stand
das, was zur gleichen Zeit wider
den Ungeist eines verwahrlosten
Funktionalismus auf der Hoch-
schule für Gestaltung in Ulm ge-
lehrt wurde. Dort wurde das
Wort Kunst geradezu tabuisiert
und durch die modernen Mög-
lichkeiten einer soziologischen,
psychologischen und kyberneti-
schen Definition gestalterischer
Arbeit ersetzt.
Statt einer totalen Verwissen-
schaftlichung der Umweltpla-
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