Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

AARCH" -ZETTUNG 
Die Kuhe der Unruhe 
Als Vertreter eines „neuen Idea- 
lismus“ betrachteten sich in den 
späten 50er Jahren die Künstler 
der Zero-Gruppe, die von Heinz 
Mack und Otto Piene gegründet 
worden war. Die Bezeichnung 
.Idealismus" zielte unter ande- 
rem auf die transzendente Be- 
deutung, die einem zentralen 
Thema der Zero-Kunst zuge- 
schrieben wurde: dem Licht. In 
der Lichtmetaphysik konzen- 
trierte sich der Platonismus einer 
Zeit, die sich in erster Linie über 
die neu eröffneten Móglichkei- 
ten von Technik und Wissen- 
schaft definierte. Auch die Zgro- 
Bewegung schätzte im Lichtphä- 
nomen zugleich die physikalische 
Definition und den Hinweis auf 
„Ubernatürliches“. 
Den Künstler Hermann Goep- 
fert interessierte das Licht insbe- 
sondere als „energetisches Mate- 
rial", das inseiner Bewegtheit er- 
fahren und ästhetisch verarbeitet 
werden will. Der unsichtbaren 
Wellenbewegung des Lichts kor- 
respondiert in den kinetischen 
Objekten Goepferts das Phäno- 
men der Vibration. Vibration 
war auch für Heinz Mack ein we- 
sentliches Formelement seiner 
»Lichtreliefs^. und er beschrieb 
ihr Erlebnis als „die Ruhe der 
Unruhe“, Rückblickend möchte 
man meinen, daß sich das politi- 
sche Klima der 50er Jahre mit 
keiner anderen Formel treffen- 
der umschreiben läßt. 
Uberhaupt scheint es so man- 
che Übereinstimmung gegeben 
zu haben zwischen den Forde- 
rungen der Zero-Kunst und dem 
verordneten Optimismus einer 
die Vergangenheit verdrängen- 
den Republik. Unter dem pro- 
grammatischen Titel „Jetzt“ ver- 
kündete Otto Piene 1963 das En- 
de der Nachkriegskunst: „Das 
Handgemenge der Formen und 
Farben, die dramatische Enge, 
die Pergamonschlacht der 
Flucht- und Verfolgungsbilder, 
die Alpträume, die Ballungen 
der Angst und Verzweiflung — al- 
les das weckte die Sehnsucht 
nach Stille, Freiheit, Ruhe, ge- 
lassener Einfühlung in den 
Rhythmus der Schöpfung, nach 
dem Immerwährenden“. 
Wie sehr indes die Forderung 
nach Stille, Freiheit und Ruhe in 
der Hektik des Wirtschaftswun- 
ders Anstoß erregte, zeigt die 
Tatsache, daß die Zero-Werke 
zu ihrer Entstehungszeit vom Pu- 
blikum nicht angenommen wur- 
den. Sie schienen viel zu redu- 
ziert in ihren Ausdrucksmitteln, 
außerdem wird man die unge- 
wohnten Anforderungen, wel- 
che die Lichtobjekte an den Be- 
trachter stellten, als Zumutung 
empfunden haben. Hinzu kam, 
daß Zero das Korsett der tradi- 
tionellen Kunstgattungen spreng- 
te: die konkrete Verräumlichung 
des Bildes, seine Verwandlung in 
ein „Objekt“ und damit verbun- 
H. Goepfert, Optophonium, 1977, Installation im Frankfurter Kunstverein 198 
Asthetische Verfahren in der 
Architektur (5) 
Hermann Goepfert und Johannes Peter Hölzinger: 
„Die Geburt der kinetischen Architektur 
aus dem Geist der Zero- Kunst“ 
den der Anspruch einiger Künst- 
ler, öffentlichen Raum zu gestal- 
ten, sind deutliche Anzeichen da- 
für, daß Zero als Kunst und als 
ein kulturpolitischer Faktor 
ernstgenommen werden wollte. 
den von ihm hervorgebrachten 
Lichterscheinungen. 
Der Grund hierfür liegt nicht 
nur in der trivialen Tatsache, daß 
kinetisches Objekt und Lichtwir- 
kung in gleicher Weise an das Au- 
ge appellieren, sondern daß dies 
gleichermaßen mit Individuali- 
tätsanspruch geschieht. Im Un- 
terschied zur generellen Aus 
tauschbarkeit der Musikinstru- 
mente sind in der Zero-Kunst 
Objekt und Licht aufeinander: 
»geeicht^, mithin individuelle 
Erscheinungsformen, die jedoch 
nicht identisch sind. Das kommt 
daher, weil das kinetische Objekt 
von ,substantieller^, die Lichter- 
Scheinung hingegen von ,.essen- 
tieller* Bedeutung ist. Um so 
mehr daher das Kunstobjekt kór- 
perhaft und selbstverliebt in sei- 
ne modernen Materialien. auf 
sich aufmerksam macht, desto 
eher muB die ,,cophemere" Licht- 
erscheinung Gefahr laufen zu 
verblassen. 
Beispielhaft steht hierfür 
Goepferts interessante Idee des 
„Optophoniums“, einer klang- 
lich-räumlichen Installation, bei 
der unterschiedliche Töne, die 
auf einem Magnetband aufge- 
zeichnet und über Lautsprecher 
zu hören sind, in verschieden 
starke Lichtstrahlungen umge- 
wandelt und von vielgestaltigen 
Reflektoren auf eine große Pro- 
jektionswand geworfen werden. 
Statt daß nun aber die Klänge 
und Lichtreflektionen als we- 
sentliche Gegenstände ästheti- 
scher Erfahrung über die visuelle 
Präsenz der Apparatur trium- 
phieren, entsteht in dieser ein 
Gestaltungsschwerpunkt, — de: 
den zarten kontemplativen Cha- 
rakter des Licht-Ton-Phäno- 
mens zu erdrücken droht 
Zum Problem visueller Instru- 
mentierung 
Der Weg vom Kunstwerk zum 
Kunstobjekt begründet sich in 
Goepferts Oevre mit der Abló- 
sung  subjektiver  Malweisen 
durch die Konstruktion kineti- 
scher Apparaturen, die als eine 
Art Instrumentation des Lichts 
verstanden werden können. 
Denn wie in der Musik unter- 
schieden wird zwischen der Nota- 
tion und ihrer Aufführung ver- 
mittels Instrumente, wollte 
Goepfert auch für die bildende 
Kunst eine Unterscheidung 
durchsetzen zwischen dem Licht- 
konzept und seiner Realisierung 
in Gestalt kinetischer Objekte. 
Eine solche Übertragung mu- 
sikalischer Arbeitsteilung auf die 
visuellen Künste bezieht ihre Lo- 
gik aus der Vergleichbarkeit des 
.wellenfórmigen" Ton- bzw. 
Lichtmaterials. Beide Male be- 
darf es eines Instrumentariums, 
mit welchem sich das Erklingen 
der Tóne und Erscheinen bc- 
stimmter Licht-Schatten-Reflek- 
tionen bewerkstelligen läßt. 
Während nun aber Musikinstru- 
mente in ihrem Erklingen völlig 
aufgehen, ohne daß etwa der vi- 
suelle Reiz, der ihnen durchaus 
anhaften mag, ernsthaft miteiner 
Komposition in ästhetische Kon- 
kurrenz treten würde, befindet 
sich dagegen das kinetische, In- 
strumentarium in einem nicht un- 
oroblematischen Wettstreit mit 
Das Projekt „Integration 
Daß die Instrumentierung des 
Lichts nicht auf den Kunstbe- 
reich beschränkt bleiben muß, 
sondern auch im öffentlichen 
Raum vorgenommen werden 
kann, ja vorgenommen werden 
sollte in einer Zeit, in der reine 
Zweckbestimmung und pure 
Wirtschaftlichkeit des Bauens 
sich zu | umweltzerstórenden 
Maßnahmen auszuwachsen be- 
gannen, diese Erkenntnis wurde 
zur Grundlage der interdiszipli- 
nären Zusammenarbeit des 
Künstlers Goepfert und des Ar- 
chitekten Hölzinger. In Erinne- 
rung an die historischen Avant- 
gardebewegungen, die ein span- 
nungsreiches Zusammenspiel 
von Kunst und Architektur auf 
der Basis technischen Fort- 
schritts vorgeführt hatten, wollte 
die Planungsgemeinschaft Goep- 
fert-Hölzinger ihr Integrations- 
projekt sowohl unter ästheti- 
schen, wissenschaftlichen und 
kulturpolitischen Fragestellun- 
gen angehen. 
Im Unterschied freilich zu den 
gewaltigen gesellschaftlichen 
Umwälzprozessen, die zwischen 
den Weltkriegen der Nährboden 
waren für sàmtliche avantgardi- 
stischen Experimente und Visio- 
nen, war in der bundesrepublika- 
nischen Wirklichkeit kein Platz 
mehr für die revolutionäre Idee 
der Versöhnung von Kunst, 
Technik und Alltag. Goepfert 
und Hölzinger sahen sich darum 
gezwungen, den utopischen Ver- 
söhnungsgedanken der 20er Jah- 
re mit ihrem „realistischen“ Inte- 
grationskonzept fortzusetzen. 
Die Blochsche Utopieversion 
münzten sie um in eine gleichsam 
reformpolitische: „Ausgangs- 
punkt für utopisches Denken ist 
heute Kritik am Bestand, Erken- 
nen des zukünftigen Bedarfs und 
Wissen um die mutmaßliche Ent- 
wicklung der Möglichkeiten“. 
Wie sehr Goepfert und Hölzin- 
ger eine primär ästhetische Ant- 
wort auf die von ihnen erarbeite- 
ten Problemstellungen geben 
wollten, deutet schon die Be- 
zeichnung „Planungsgemein- 
schaft für neue Formen der Um- 
welt“ an, unter der sie ihre ge- 
meinsame Arbeit um 1963 auf- 
nahmen. Diese kreiste nicht um 
die Konzipierung neuer Lebens- 
formen, vielmehr zielte sie auf 
ein praktizierbares künstleri- 
sches Verständnis von Umwelt. 
Ganz im Gegensatz hierzu stand 
das, was zur gleichen Zeit wider 
den Ungeist eines verwahrlosten 
Funktionalismus auf der Hoch- 
schule für Gestaltung in Ulm ge- 
lehrt wurde. Dort wurde das 
Wort Kunst geradezu tabuisiert 
und durch die modernen Mög- 
lichkeiten einer soziologischen, 
psychologischen und kyberneti- 
schen Definition gestalterischer 
Arbeit ersetzt. 
Statt einer totalen Verwissen- 
schaftlichung der Umweltpla- 
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