Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

ARCH'-ZEITUNG 
nung und Architektur strebten 
Goepfert und Hölzinger eher ei- 
ne zeitgemäße Bestätigung des- 
sen an, was einst Gegenstand des 
Bauhauses gewesen war: ganz- 
heitliches Gestalten. Zusammen 
formulierten sie: ,, Wir sehen in 
unserer Arbeit nicht das Produkt 
des Architekten, in welches der 
Kiinstler seine Arbeit mehr oder 
weniger gut integriert, sondern 
verstehen Integration so, daß aus 
einer gemeinsamen künstleri- 
schen Verhaltensweise und in 
Reflektion auf alle Umweltfakto- 
ren, die optischen wie die geisti- 
gen, ein gemeinsames Ganzes 
entsteht“. 
Die Ästhetik kinetischer Archi- 
tektur 
Im Gegensatz zu den konstruktiv 
bedingten Strukturen und modu- 
laren Ordnungen, die das indu- 
strialisierte Bauen erforderlich 
macht, entwickelten Goepfert 
und Hölzinger ein autonomes 
Formvokabular. Die Elemente 
„Winkel, Welle, Halbschale und 
Spirale“, die sich vielfältig kom- 
binieren und reihen lassen, nie- 
mals aber einen Hinweis darstel- 
len auf Wirtschaftlichkeit und 
Funktion, beziehen ihre Legiti- 
mation aus.der Überlegung, es 
handle sich hierbei um „stilistisch 
unbelastete Grundformen, in 
welchen die Erscheinungen der 
Natur ebenso enthalten sind wie 
die Formfindungen und Aus- 
druckswerte der Kultur- und 
Kunstgeschichte“. 
Natürlich kann ein „Aus- 
druckswert der Kunstgeschich- 
te“ nicht als stilistisch unbelastet 
angesehen werden. Das Zitat ist 
auch eher als ein Beispiel dafür 
anzusehen, daß Goepfert und 
Hölzinger darum wußten, daß ihr 
Vokabular letztlich eine Vernei- 
gung vor der rationalen geome- 
trischen Form bedeutet. Ob sich 
nun hieraus ein Formalismusver- 
dacht ableiten läßt oder nicht: 
Tatsache ist, daß Goepfert und 
Hölzinger ihre Strukturen in ein 
zwingendes Verhältnis mit Licht- 
und  Schattenreflektionen zu 
bringen vermochten. 
Beispielhaft steht hierfür das 
im SchloBpark Karlsruhe für die 
Bundesgartenschau 1967 reali- 
sierte Seerestaurant, das ein voll- 
endeter Versuch für die Uberset- 
zung der Zero-Kunst in Archi- 
tektur gewesen ist. Die Bauge- 
stalt läßt sich noch heute auf Ab- 
bildungen unmittelbar als Aus- 
druck und Ergebnis einer Raum- 
gitterkonstruktion mit einge- 
nängten „winkelförmigen“ 
Lichtröhren erkennen, in denen 
bewegliche Reflektoren ein kom- 
plexes Spiel von farbigen Licht- 
erscheinungen | auslósten. Die 
SGesamtgestalt der miteinander 
kombinierten Winkelelemente 
steht für ein Experiment ein, des- 
sen Gelingen sich in der ruhigen 
chen Gemeine 
-opntrup 
Tu 
l'eilansicht 
Wasserfläche des Schloßgarten- 
sees spiegelte. 
Wie das Seerestaurant als eine 
kinetische Architektur anzuse- 
henist, so láBt sich die Gestaltung 
des Karlsruher Schlofparks als 
eine Übertragung der Idee des 
.Optophoniums* auf einen 
Landschaftsraum verstehen. 
Hier wurden Bodenmodulierun- 
gen, „blicksperrende Pflanzrie- 
gel“, aber auch einzelne Zero- 
Objekte nicht nur in eine dyna- 
mische Raumfolge eingebunden, 
sondern zugleich als eine Art 
_Reflektoren“ behandelt, die auf 
der riesigen Projektionsfläche 
des Schloßgartens einem Licht- 
konzert unterworfen wurden, 
das nach dem Steuerungsprinzip 
des „Optophoniums“ die Grün- 
fläche ausleuchtete. Interessant 
ist hierbei die Bemerkung, daß 
die einzelnen — Gestaltungs- 
schwerpunkte, mit denen der 
Park strukturiert wurde, als Ak- 
tionspunkte gedacht waren, „die 
das passive Verhalten des An- 
schauens in einen aktiven Mit- 
vollzug umwandeln“. 
Mit der Aufforderung zum ak- 
tiven Mitvollzug wird eine 
Grundbedingung kinetischer Ar- 
chitektur und Umweltplanung 
berührt. Vom Bodenrelief bis 
zum Mehrfamilienhaus appellie- 
ren die Entwürfe von Goepfert 
und Hölzinger an den Betrach- 
ter, sich in Bewegung zu setzen 
und um die Objekte zu kreisen, 
so daß diese selbst sich scheinbar 
zu drehen beginnen und damit je- 
ne Veränderungen der Licht- 
und Schattenreflektionen zum 
Ausdruck bringen, mit denen der 
Planer gerechnet hat. Für die Ar- 
chitektur Hölzingers, die nicht 
nur als Lichtphänomen, sondern 
auch unter dem ästhetischen Ge- 
sichtspunkt einer „Verdichtung 
im Raum“ zu beurteilen ist, ist al- 
so nicht mehr im traditionellen 
Sinn der Bewohner und Benutzer 
Subjekt der Planungsarbeit, als 
vielmehr der Betrachter. Dessen 
Aktivierung steht vor dem Hin- 
tergrund einer „Demokratisie- 
rung“ der Kunstrezeption. Hier- 
bei soll nicht länger der Grad der 
Informiertheit und Bildung den 
Zugang zum Verständnis ästheti- 
scher Phänomene regeln, son- 
dern ein Mitvollziehen, dem im 
Prinzip jeder vorurteilslose 
Mensch gewachsen ist. 
Stellt sich manchem die Frage, 
ob solcher Demokratisierungs- 
tendenz nicht die Vornehmheit 
der kinetischen Architektur, ihr 
weißer „entmaterialisierter“ 
Charakter entgegensteht, so ist 
doch zu bemerken, daß die ab- 
strakten Formen, die Hölzinger 
wählt, einen breiten Interpreta- 
tionsspielraum und dadurch einen 
leichteren Zugang gewähren, als 
der erste Eindruck für möglich 
hält. Ragt nicht das Wohnhaus 
des Architekten dem Betrachter 
wie eine Trutzburg entgegen? 
Fragt man jedoch nach der Funk- 
tion solcher autonomen Archi- 
tekturformen, so springt sogleich 
die enorme Transparenz der Pri- 
vatsphüre ins Auge. Dem eher 
abweisenden Äußeren der Ge- 
bäude entspricht im Innern ein 
geradezu befreiendes Raumge- 
fühl. Bewußt oder unbewußt: für 
ein solches Konzept wird Adolf 
Loos als Pate zu nennen sein, des- 
sen bekannte Vision von den 
„weißen Mauern Zions“ sich im 
übrigen wie eine Antizipation 
der Zero-Asthetik lesen läBt. 
Gerd de Bruyn 
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