ÄRCH”-ZEITUNG®
Weitgehend unbeeindruckt von
dem bis zum Überdruß hochge-
putschten Nostalgierummel der
750-Jahrfeier-Ekstase schreitet
in West-Berlin die postsozialde-
mokratische Neuformulierung
eines „metropolitanen“ Städte-
baus voran: Der Stadtraum wird
auf Stadtgestalt reduziert, die
Asthetik der Stadt verkümmert
zur formalen Attitüde, die Be-
gierde der Stadtgestalter richtet
sich auf die zentralen Lagen der
Stadt, auf die City und Subzent-
ren. Lediglich die obskuren Pro-
duktionsverhältnisse werden
nicht grundsätzlich in Frage ge-
stellt. Der Keep-smiling-Heiter-
keit der Formen entspricht oft ei-
ne bunte Beliebigkeit der. Nut-
zungen, die sich augenscheinlich
nur einem Diktat zu unterwerfen
hat: dem exzessiven und expres-
siven Konsumbedarf der neuen
Einkommenseliten. Der Re-
spekt und die Auseinanderset-
zung mit dem überkommenen
Ort, seiner Geschichte und sei-
ner Nutzung wie die Beteiligung
der Bürger bleiben auf der Strek-
ke. Dagegen wird ein Ungetüm
der Verschwendungsarchitektur
von gestern im Zeichen des
Kampfes gegen .Provinzialis-
mus" und für ,weltstádtische Of-
fenheit“ rehabilitiert: das Hoch-
haus als städtebauliche Skulptur-
dominante. Stadtráume, so die
Verkündigung von Markus Peter
auf der „Sommerakademie Ber-
lin“, würden heute „nicht mehr
durch zentralperspektivisch aus-
gerichtete Häuserfluchten, son-
dern durch (Hochhaus-)Flächen
gebildet“.
Ein hervorragendes Beispiel
für die gar nicht mehr klamm-
heimliche Abkehr von den Prin-
zipien der „kritischen Rekon-
struktion Stadt“ wie der „behut-
samen Stadterneuerung“ ist das
Ergebnis des Planungsverfah-
rens „B 1“ für das Subzentrum
Hermann-Ehlers-Platz in Berlin-
Steglitz. Südlicher Abschluß ei-
ner umsatzträchtigen, mono-
funktionalen Meile des Massen-
konsums („zweite City“ Schloß-
straße), im Osten von der Stadt-
autobahn und im Süden von der
berühmt-berüchtigten Spekula-
tionsruine „Steglitzer Kreisel“
(Arch. Kressmann-Zschach —
später „höchstes Rathaus Euro-
pas“) begrenzt — der zerfranste
Hermann-Ehlers-Platz präsen-
tiert sich zweifellos hinsichtlich
Entstehungsprozeß, Funktions-
wie Gestaltungszusammenhang
als Musterexemplar eines auto-
gerechten Subzentrums der
Wachstumsära. Das muß jetzt
anders werden. Im Rahmen der
Bemühungen. die inzwischen an-
i
Ein Hochhauszwilling
für den
Steglitzer Kreisel in Berlin?
erkannten „städtebaulichen De-
fizite an der alten Reichsstraße 1
zu korrigieren, wo es möglich ist“
(Stadtentwicklungssenator Star-
nick), sollte durch ein kooperati-
ves Wettbewerbsverfahren das
Kleid für einen „neuen Her-
mann-Ehlers-Platz“ gefunden
werden. Ein Problem? Nicht für
den 1. Preisträger, Christoph
Langhof (auch verantwortlich für
den Entwurf des Freizeitbades
am Spreewaldplatz in Kreuz-
berg): Sein Vorschlag umfaßt
einige „schlanke“ Neubauschei-
ben entlang der Stadtautobahn
und ein „gigantisches Hochhaus-
projekt im Manhattan-Stil", ,,ei-
ne Kathedrale futuristischer Ar-
chitektur^ (so der Steglitzer Lo-
kalanzeiger).
Interessant sind die drei ,,Be-
gründungen" Langhofs für den
224 Meter hohen Kreiselzwilling:
(1.) „Das zweite, neue Hochhaus
könnte gerade im Dialog zum Be-
stehenden die Wucht des einen
entschärfen“ („stadträumliche“
Begründung). (2.) „Im Rahmen
einer behutsamen Flächenwirt-
schaft ist gerade in Großstädten
nicht nur eine Minimierung, son-
dern auch eine möglichst effekti-
ve Ausnutzung von versiegelten
Flächen anzustreben“ („stadt-
ökologische“ Begründung). (3.)
„Eine Großstadt muß Hochhäu-
ser bauen, wenn sie dem An-
spruch einer Großstadt gerecht
werden will“ (Metropolenlyrik).
Legitimationssprüche hin oder
her — auf jeden Fall soll sich das
neue Hochhaus auf Kosten des
alten profilieren: „Beide Gebäu-
de“. so Langhof, „bilden ein Ge-
gensatzpaar. Das eine breit und
dick, das andere hoch und
schlank. Das eine ausufernd, un-
definiert, das andere streng geo-
metrisch und klar." Primat der
Raumbildung. Vorrang der As-
thetik, der Stadtgestalt—- so lautet
der ,.Leitgedanke" Langhofs für
seine insgesamt schematische
Großfigur. Die Frage der Funk-
tionen der neuen Bauten bleibt
zweitrangig. Langhof denkt bei
seinen Autobahnflanken an
Yuppie-Nutzungen („Squash-,
Tanz- und Fitness-Studios“), bei
seiner Hochhausnadel - mangels
berlintypischer fehlender priva-
ter Nachfrage — an die Freie Uni-
versität — (,.Biotechnologiezen-
trum"). Bezüglich der Durchfüh-
rung empfiehlt Laneghof die übli
chen berlin- (und skandal-)be-
währten Sonderinstrumente:
„baurechtliche Befreiungen und
finanzielle Anreize“. Das Preis-
gericht ist vor allem von der
,Raumbildung* begeistert: Der
Entwurf bietet ein schlüssiges
Konzept von hervorragender
stadträumlicher Qualität und
großer architektonischer Prä-
gnanz.“ Doch auch die relative
Beliebigkeit der angedachten
Nutzungen findet Wohlwollen:
„Das Preisgericht hält das Kon-
zept aufgrund seiner Offenheit
für eine Anpassung auch an an-
dere als die vorgeschlagenen
funktionalen Anforderungen für
geeignet.“ Allerdings muß klar-
gestellt werden, daß das Hoch-
haus knapp außerhalb des Wett-
bewerbsgebietes erstellt werden
soll und auch daher nicht mit be-
wertet worden ist.
Das schlechte Gewissen muß
das Preisgericht allerdings noch
etwas gequält haben: Neben dem
1. Preis für Langhof (10.000 DM)
wurde noch ein „Sonderpreis“
(ebenfalls 10.000 DM) an die Ar-
chitekten Jahn/Suhr vergeben,
die auf große, spektakuläre Ge-
sten verzichtet und die Frage der
Nutzungen ernstgenommen ha-
ben. „Das Image Berlins“, so
Heinrich Suhr, „braucht keine
Hochhäuser.“ Auslagerung des
Busbahnhofes aus dem Kreisel-
Erdgeschoß ins Freie, Einrich-
tung neuer Geschäfte im Erdge-
schoß, Anlage einer Passage zwi-
schen Platz und Schloßstraße so-
wie die Verlegung des Marktes
auf den Platz sind Elemente die-
ses relativ wohltuenden, diskus-
sionswerten und detailreichen
Vorschlags. Allerdings sehen
auch Jahn/Suhr den Abrif de:
…Behelfsbauten“ des sog. ,Düp-
peldreiecks* vor, ohne die Frage
des adáquaten Ersatzes der ein-
Christoph Langhofs Vorschlag für die
Umgestaltung des Subzentrums Berlin-
steglitz: Schmale Neubauten sumen die
Stadtautobahn, der skandalumwitterte,
130 Meter hohe Steglitzer Kreisel erhält
einen 224 Meter hohen Begleiter (aus:
Steglitzer Lokalanzeiger 14./15.8.1987)
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