Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

ÄRCH”-ZEITUNG® 
Weitgehend unbeeindruckt von 
dem bis zum Überdruß hochge- 
putschten Nostalgierummel der 
750-Jahrfeier-Ekstase schreitet 
in West-Berlin die postsozialde- 
mokratische Neuformulierung 
eines „metropolitanen“ Städte- 
baus voran: Der Stadtraum wird 
auf Stadtgestalt reduziert, die 
Asthetik der Stadt verkümmert 
zur formalen Attitüde, die Be- 
gierde der Stadtgestalter richtet 
sich auf die zentralen Lagen der 
Stadt, auf die City und Subzent- 
ren. Lediglich die obskuren Pro- 
duktionsverhältnisse werden 
nicht grundsätzlich in Frage ge- 
stellt. Der Keep-smiling-Heiter- 
keit der Formen entspricht oft ei- 
ne bunte Beliebigkeit der. Nut- 
zungen, die sich augenscheinlich 
nur einem Diktat zu unterwerfen 
hat: dem exzessiven und expres- 
siven Konsumbedarf der neuen 
Einkommenseliten. Der  Re- 
spekt und die Auseinanderset- 
zung mit dem überkommenen 
Ort, seiner Geschichte und sei- 
ner Nutzung wie die Beteiligung 
der Bürger bleiben auf der Strek- 
ke. Dagegen wird ein Ungetüm 
der Verschwendungsarchitektur 
von gestern im Zeichen des 
Kampfes gegen .Provinzialis- 
mus" und für ,weltstádtische Of- 
fenheit“ rehabilitiert: das Hoch- 
haus als städtebauliche Skulptur- 
dominante. Stadtráume, so die 
Verkündigung von Markus Peter 
auf der „Sommerakademie Ber- 
lin“, würden heute „nicht mehr 
durch zentralperspektivisch aus- 
gerichtete Häuserfluchten, son- 
dern durch (Hochhaus-)Flächen 
gebildet“. 
Ein hervorragendes Beispiel 
für die gar nicht mehr klamm- 
heimliche Abkehr von den Prin- 
zipien der „kritischen Rekon- 
struktion Stadt“ wie der „behut- 
samen Stadterneuerung“ ist das 
Ergebnis des Planungsverfah- 
rens „B 1“ für das Subzentrum 
Hermann-Ehlers-Platz in Berlin- 
Steglitz. Südlicher Abschluß ei- 
ner umsatzträchtigen, mono- 
funktionalen Meile des Massen- 
konsums („zweite City“ Schloß- 
straße), im Osten von der Stadt- 
autobahn und im Süden von der 
berühmt-berüchtigten Spekula- 
tionsruine „Steglitzer Kreisel“ 
(Arch. Kressmann-Zschach — 
später „höchstes Rathaus Euro- 
pas“) begrenzt — der zerfranste 
Hermann-Ehlers-Platz präsen- 
tiert sich zweifellos hinsichtlich 
Entstehungsprozeß, Funktions- 
wie Gestaltungszusammenhang 
als Musterexemplar eines auto- 
gerechten Subzentrums der 
Wachstumsära. Das muß jetzt 
anders werden. Im Rahmen der 
Bemühungen. die inzwischen an- 
i 
Ein Hochhauszwilling 
für den 
Steglitzer Kreisel in Berlin? 
erkannten „städtebaulichen De- 
fizite an der alten Reichsstraße 1 
zu korrigieren, wo es möglich ist“ 
(Stadtentwicklungssenator Star- 
nick), sollte durch ein kooperati- 
ves Wettbewerbsverfahren das 
Kleid für einen „neuen Her- 
mann-Ehlers-Platz“ gefunden 
werden. Ein Problem? Nicht für 
den 1. Preisträger, Christoph 
Langhof (auch verantwortlich für 
den Entwurf des Freizeitbades 
am Spreewaldplatz in Kreuz- 
berg): Sein Vorschlag umfaßt 
einige „schlanke“ Neubauschei- 
ben entlang der Stadtautobahn 
und ein „gigantisches Hochhaus- 
projekt im Manhattan-Stil", ,,ei- 
ne Kathedrale futuristischer Ar- 
chitektur^ (so der Steglitzer Lo- 
kalanzeiger). 
Interessant sind die drei ,,Be- 
gründungen" Langhofs für den 
224 Meter hohen Kreiselzwilling: 
(1.) „Das zweite, neue Hochhaus 
könnte gerade im Dialog zum Be- 
stehenden die Wucht des einen 
entschärfen“ („stadträumliche“ 
Begründung). (2.) „Im Rahmen 
einer behutsamen Flächenwirt- 
schaft ist gerade in Großstädten 
nicht nur eine Minimierung, son- 
dern auch eine möglichst effekti- 
ve Ausnutzung von versiegelten 
Flächen anzustreben“ („stadt- 
ökologische“ Begründung). (3.) 
„Eine Großstadt muß Hochhäu- 
ser bauen, wenn sie dem An- 
spruch einer Großstadt gerecht 
werden will“ (Metropolenlyrik). 
Legitimationssprüche hin oder 
her — auf jeden Fall soll sich das 
neue Hochhaus auf Kosten des 
alten profilieren: „Beide Gebäu- 
de“. so Langhof, „bilden ein Ge- 
gensatzpaar. Das eine breit und 
dick, das andere hoch und 
schlank. Das eine ausufernd, un- 
definiert, das andere streng geo- 
metrisch und klar." Primat der 
Raumbildung. Vorrang der As- 
thetik, der Stadtgestalt—- so lautet 
der ,.Leitgedanke" Langhofs für 
seine insgesamt schematische 
Großfigur. Die Frage der Funk- 
tionen der neuen Bauten bleibt 
zweitrangig. Langhof denkt bei 
seinen Autobahnflanken an 
Yuppie-Nutzungen („Squash-, 
Tanz- und Fitness-Studios“), bei 
seiner Hochhausnadel - mangels 
berlintypischer fehlender priva- 
ter Nachfrage — an die Freie Uni- 
versität — (,.Biotechnologiezen- 
trum"). Bezüglich der Durchfüh- 
rung empfiehlt Laneghof die übli 
chen berlin- (und skandal-)be- 
währten Sonderinstrumente: 
„baurechtliche Befreiungen und 
finanzielle Anreize“. Das Preis- 
gericht ist vor allem von der 
,Raumbildung* begeistert: Der 
Entwurf bietet ein schlüssiges 
Konzept von hervorragender 
stadträumlicher Qualität und 
großer architektonischer Prä- 
gnanz.“ Doch auch die relative 
Beliebigkeit der angedachten 
Nutzungen findet Wohlwollen: 
„Das Preisgericht hält das Kon- 
zept aufgrund seiner Offenheit 
für eine Anpassung auch an an- 
dere als die vorgeschlagenen 
funktionalen Anforderungen für 
geeignet.“ Allerdings muß klar- 
gestellt werden, daß das Hoch- 
haus knapp außerhalb des Wett- 
bewerbsgebietes erstellt werden 
soll und auch daher nicht mit be- 
wertet worden ist. 
Das schlechte Gewissen muß 
das Preisgericht allerdings noch 
etwas gequält haben: Neben dem 
1. Preis für Langhof (10.000 DM) 
wurde noch ein „Sonderpreis“ 
(ebenfalls 10.000 DM) an die Ar- 
chitekten Jahn/Suhr vergeben, 
die auf große, spektakuläre Ge- 
sten verzichtet und die Frage der 
Nutzungen ernstgenommen ha- 
ben. „Das Image Berlins“, so 
Heinrich Suhr, „braucht keine 
Hochhäuser.“ Auslagerung des 
Busbahnhofes aus dem Kreisel- 
Erdgeschoß ins Freie, Einrich- 
tung neuer Geschäfte im Erdge- 
schoß, Anlage einer Passage zwi- 
schen Platz und Schloßstraße so- 
wie die Verlegung des Marktes 
auf den Platz sind Elemente die- 
ses relativ wohltuenden, diskus- 
sionswerten und detailreichen 
Vorschlags. Allerdings sehen 
auch Jahn/Suhr den Abrif de: 
…Behelfsbauten“ des sog. ,Düp- 
peldreiecks* vor, ohne die Frage 
des adáquaten Ersatzes der ein- 
Christoph Langhofs Vorschlag für die 
Umgestaltung des Subzentrums Berlin- 
steglitz: Schmale Neubauten sumen die 
Stadtautobahn, der skandalumwitterte, 
130 Meter hohe Steglitzer Kreisel erhält 
einen 224 Meter hohen Begleiter (aus: 
Steglitzer Lokalanzeiger 14./15.8.1987) 
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