Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1988, Jg. 20, H. [93], Jg. 21, H. 94-97)

Ecksituation 
am alten Museum 
K.F. Schinkel, Schauspielhaus Konstruktion 
K.F. Schinkel, Altes Museum Altes Museum, Konstruktion 
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An der Wende zum 19, Jahrhun- en Bauaufgaben - Monument, Pilasterordnungen eingestellt lern lesen, hinter denen etwas zu- 
dert hatten die industrielle und Museum, Wohnung, Theater, Die Flächen zwischen den Pila rückversetzt eine dünne Außen- 
die soziale Revolution sowie die Ausstellungshalle, Fabrik, Büro- stern sind meist in Fenstern auf haut zwischen Gesims und Sok: 
geistige Erneuerung in der Auf- und Kaufhäuser — angemessen gelöst, so daß der Eindruck eines kel gespannt ist. Beim Durch- 
klärung den „ewigen Wahrheii erschien. In dem tektonischen skeletthaften Gebildes entsteht: schreiten des Baus bewegt sich 
ten“ des Ancien Regime ein jä- Gebilde des Skeletts glaubte man dieses ist wiederholt als Vorweg- der Betrachter durch Bereiche 
hes Ende bereitet. Der Verlust dasselbe „Vernunftgesetz“ zu nahme der Rasterfassaden des immer größerer Masseverdich- 
von existentiellem Halt und die entdecken, das in der Natur aus- 20. Jahrhunderts bewertet wor- tung und Geschlossenheit, bis eı 
wachsende Verwirrung in einer gemacht worden war. Darauslei- den.” Nähert man sich dem _imZentrum des Bausindie Ideal- 
Welt, die sich im Umbruch be- tete sich ein neuer Schönheitsbe- Schauspielhaus auf der an seiner form des Massekörpers, den Ku- 
fand, spiegelten sich in der will- griff ab, der die Schönheit der Rückfront vorbeiführenden bus, eintritt. Der in den Kubus 
kürlichen Verwendung von _Formals „die innere, sichtbar ge- Straße, so bietet sich ein dazu eingestellte Säulenkranz bringt 
Formelementen vergangener wordene Vernunft der Natur“ ' entgegengesetztes Erschei- das Verhältnis von Masse und 
Architekturstile wieder, aus- definierte. Und in der „Fortfüh- nungsbild, das Schinkel in einer Skelett anschaulich auf den 
sichtslosen Versuchen, durch rung der Natur in ihrer konstruk- zweiten Perspektive festgehalten Punkt: das Skelett ist das der 
Reproduzieren von sinnentleer- tiven Tätigkeit“ ” übertrug sich hat. Masse innewohnende Gesetz. 
tem Formenvokabular der Ver- dieser Schönheitsbegriff auf die Die parallel zur Bewegungs- „Das, was früher nur mühsam 
gangenheit Sicherheit im Jetztzu Architektur. Die Analogie zwi- richtung des Betrachters stehen- durch die Masse, welche einen 
erheischen. Statt der erhofften schen Natur und Architektur er- den Pilaster werden aufgrund des großen Aufwand materieller 
eigenen Identitätsbestimmungin klärte sich in der Konstruktion. flachen Blickwinkels addiert und Krafterforderte, erreicht werden 
historischen Kostümen verstärk- Der Blick auf die Konstruktion als geschlossene Wand wahrge- konnte, entstand jetzt freier 
te sich die Orientierungslosig- war bei Karl Friedrich Schinkel nommen. Erst beim Näherkom- durch die Kraft des Geistes als 
keit. In dieser Situation richtete (1781-1841) bereits früh durch men löst sich diese „Wand“ suk- Herrscher über die Materie.“ ® 
sich der Blick einzelner Archi- seinen Lehrer Friedrich Gillyge- zessiveinein Gerüstlinearer Ele- Mit der — vorerst nur als Absicht 
tekten auf die Konstruktion, in schärft worden und schlug sichin mente auf, zwischen denen sich formulierbaren — Ablösung deı 
der sie den Ausdrucksträger des neuartigen baulichen Aus- tiefer Raum und mit ihm das In- massiven Außenwände als tra- 
heraufziehenden Zeitalters der drucksformen und Lösungennie- nere des Baus öffnet. Hierin ist gende Elemente durch ein offe- 
Technik und der Vernunfterahn- der. Schinkels Schauspielhaus die „Handlung des Gestaltens nes System aus Balken und Stüt- 
ten. Die Konstruktion versprach (1819-1821) stellt sich als ein of. der Idee“ vergegenwärtigt. Sie zen bedurfte es einer neuen De: 
eine Ordnung von großer Klar- fenes Gerüst aus Balken und Pi- wird in der Wahrnehmung des finition von Körper und Raum. 
heit und Einfachheit, die denkla- lastern dar. In eine Kolossalord- Passanten „Schritt für Schritt“ Die noch nicht realisierbaren 
ren Aufgabenstellungen derneu- nung sind geschoßweise kleine immer wieder (nach-)vollzogen konstruktiven Prinzipien, die es 
Beim alten Museum (1824-28) ist ermöglichen würden, Lasten ei- 
diese Ambiguität in der Wahr- nes Gebäudes über nur wenige 
nehmung zwischen körperhaft Punkte in den Boden abzutra- 
geschlossenem Wohnblock und gen, machten die grundsätzliche 
offenem konstruktivem Gerüsı qualitative Unterscheidung und 
durch die Einfachheit des Bau- strikte Trennung von Innen- und 
körpers stärker ausgeprägt. Dem Außenraum obsolet. Sie wurde 
von „Unter den Linden“ kom- ersetzt durch die Vorstellung 
menden Betrachter bietet sich vom „offenen Raum“, in der In- 
das Museum alsschwerlagerndeı nen und Außen nur graduelle 
Quader, der sich beim Näher- Unterschiede in einem durchgän- 
kommen zum Lustgarten ineine! gigen Ganzen darstellten. 
ijonischen Säulenreihe öffnet Der Konflikt zwischen plasti: 
Die übrigen Baukörperseiten, schem Körper und der Vorstel 
. deren Wände zunächst massiv lung vom offenen Raum fand sei: 
Sn DL und tragend erscheinen, lassen ne Lösung in dem tektonischen 
S sich anhand präzise gesetzter Fu- Gebilde des Skeletts. Geschlos- 
gen als ein Skelett aus 4 Eckpfei- sener Körper und offenes Skelett 
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