Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1988, Jg. 20, H. [93], Jg. 21, H. 94-97)

Peter Eisenman, ner neuen Folge rhetorischer Strategien, 
;{“ hl um den Verlust der Mitte darzustellen: L- 
der positive Nihilist Formen oder „Ells“, die Unvollständig- 
Kein Architekt hat sich stärker auf dieses keit und Instabilität bedeuten, „excava- 
Glaubensbekenntnis festgelegt als Peter tion“, im Sinne von Graben im Vergange- 
Eisenman. Seit 1978 ist er ein Anhänger nen und Unbewußten, „scaling‘“, was dar- 
des Dekonstruktionismus; zur gleichen auf hinausläuft, einem Element durch 
Zeit unterzog er sich einer Psychoanalyse, Verkleinern oder Vergrößern mit Erfolg 
und beide Ereignisse haben zweifellossich nichtmenschliche Dimensionen zu verlei- 
wechselseitig sowie seinen dogmatischen hen, sowie „topological geometry“, die ei- 
Skeptizismus verstärkt. [...] Seine Ent- ne Alternative zur anthropomorpheren 
wicklung zeigt, wie stark er von zeitgenös- euklidischen Geometrie darstellt. [...] 
sischen Philosophien und momentanen Diese Kunstgriffe, die Eisenman später 
Theorien fasziniert ist und wie er sie für als „scaling“ und „self-similarity“ bezeich- 
seine eigenen Zwecke vorsätzlich „miß- net, vermindern die Macht des Benutzers, 
versteht“, um seinem Werk zuder vonihm wie sie die des Architekten vergrößern, 
zu Recht so bezeichneten „didaktischen und es überrascht nicht, daß Eisenman 
Energie“ zu verhelfen.?® [...] später noch stärker ichbezogene Arbeiten 
Das 1978 entstande Haus X ist die „letz- schuf, wie das „House El Even Odd“ (ein 
te formalistische Arbeit“ und zugleich Wortspielaufdie Sonderstellung von Haus 
„der erste Gebrauch der Dekomposition, l1la) und „Fin d’Ou T Hou S“ (eine dekon- 
die das Gegenteil eines rationalen trans- struktionierte Folge von Wortspielen, an- 
formationellen Prozesses“ bedeutet. Der gefangen bei „find out house“ [finde das 
Bau entstand durch die Wegnahme von Haus heraus], über „fine doubt house“ 
Elementen und durch eine Folge mechani- [schönes Zweifelhaus] bis zu „fin d’aoüt“, 
scher Prozesse, die das Zentrum des Hau- d.h. „Ende August“ 1983, als er das Haus 
ses (decentering), den anthropomorphen entwarf). Sein Psychoanalytiker muß ihm . 
Maßstab (scaling) sowie die herkömmli- versichert haben, gebrochene Wortspiele . K 
che Nutzung (eine Glaswand wird als Fuß- und verwirrter Sinn stellten unseren psy- 
boden genutzt und schwebt frei über dem chischen Normalzustand dar. [...] ; 
Raum) zerstören. Haus X wurde nicht ge- Eisenmans Skeptizismus und seine Ab- a 
baut, sondern nur eine Variation davon, neigung gegen den Klassizismus fand ih- malpeschoß 
ein gequetschter axonometrischer Ent- ren Niederschlag in zahlreichen Artikeln 
wurf, der — abgesehen von einem Blick- und Stadtplanungsprojekten der jüngsten Denon 
punkt - von allen Seiten so aussieht, als ha- Zeit.?) Von den letzteren verdient sein 
be ihn ein präzis arbeitender Tornado um- preisgekrönter Entwurf für den Bau von 
geblasen. Dieser heftige anamorphische _Sozialwohnungen in Berlin besondere Be- 
Akt [...] stellt durch seine bloße Überflüs- achtung; es handelt sich um ein Projekt im 
sigkeit unter vielen anderen ein weiteres Rahmen der IBA in der Nähe der Berliner 
Mittel der Distanzierung dar, die Eisen- Mauer und von Checkpoint Charlie. Die 
man anwendet, um die zufälligen, unna- traumatische Geschichte der Stadt bot Ei- 
türlichen Entwurfsmechanismen und de- senman, wie auch Hejduk und Libeskind, . tn Ye 
ren mögliche antihumanistische, antiklas- eine gute Gelegenheit, Katastrophen und . 
sische Neigungen zu entlarven. Die relati- Diskontinuität der Vergangenheit und ‚Wenn man die Zersetzung formaler Ka- 
ve Schönheit und Sinnlichkeit der abstrak- Gegenwart darzustellen: „Deutsche töten tegorien betrachtet, läßt [meine] Arbeit 
ten Ergebnisse wurde zugestanden, aber Deutsche, die versuchen aus Deutschland darauf schließen, daß es so etwas wie das 
diese unselige menschliche Spur sollte nach Deutschland zu fliehen“, wie eseine Gute oder das Schöne nicht gibt.“ 
bald vernichtet werden — daftir würde ein griffige, sarkastische Formel zusammen- 
Computer sorgen. Die Welt muß schließ- faßt.“”) Eisenmans 1982 entstandener er- 
lich doch entfremdet werden.*!) ster Entwurf fordert die Sanierung eines 
Für Eisenmans Begriff der Entfrem- ganzen Blocks mit Zusätzen (ein Museum 
dung ist sein Verständnis der Epistemolo- und Fußwege) und Abzügen (eine „künst- 
gie der Moderne, wie sie in einem 1976 liche Grabungsstätte“ bis auf Fundamente 
entstandenen Aufsatz mit dem Titel des achtzehnten Jahrhunderts), aberletzt- 
„Postfunktionalismus“ dargestellt ist, von lich wurden nur siebendunddreißig 
grundlegender Bedeutung. Indem er Fou- Wohneinheiten auf der Südwestecke er- 
caults Vorstellung eines jeder Epoche zu- richtet. Seine Absicht bestand hier darin, 
grunde liegenden Denkmusters oder Iko- eine Alternative zum postmodernen Hi- 
nologie einsetzt, bringter die Moderne auf storismus mit seiner Betonung von Konti- 
die allgemeine Formel einer antihumani- nuität, Ganzheit-und Flicken der bruch- 
stischen Epoche, die stilistisch zu einer stückhaften modernen Stadt zu bieten. 
Folge von „Nichts“ führt [...] sowie philo- Dieser letztgenannte Ansatz wird als Ver- 
sophisch zu einer Folge von „Ver“ führt such, die „Zeit einzubalsamieren“ oder sie 
(„eine Verdrängung des Menschen vom „umzukehren oder neu zu beleben“ — als 
Zentrum seiner Welt“).22) Der „[Mensch] „Form von Nostalgie“, abgelehnt.) Statt 
wird so nicht länger als schöpferisch Han- dessen schlägt Eisenman einen objektiven 
delnder verstanden. Die Objekte werden Weg vor, eine neutralisierende „Anti- 
als vom Menschen unabhängige Vorstel- Erinnerung“, ähnlich Tschumis Repro- 
lungen aufgefaßt“, die daher im Maßstab duktion des Status quo. 
verschoben und vollkommen abstrakt sein „Anti-Erinnerung sucht oder postuliert 
können. Diese Ideen passen sehrschönzu Fortschritt nicht, erhebt keinen Anspruch 
Roland Barthes’ „death of the author“ auf eine bessere Zukunft oder eine neue 
und führen Eisenman anschließend zu ei- Ordnung, prophezeit nichts. Sie hat weder 
in
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.