Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1988, Jg. 20, H. [93], Jg. 21, H. 94-97)

etwas mit historischen Bezügen noch mit anderen Worten, die „Erinnerung“ dieses der „postmodernen Nostalgie“ handelt, 
Werten oder Funktionen einer bestimm- Ortes, der traumatischsten Mauer der wird nicht erklärt; aber die Abwesenheit 
ten Form gemein; statt dessen geht esum westlichen Welt, wird betäubt undtriviali- von Gott stellt natürlich den letzten Be- 
die Schaffung eines Ortes, der seinen Zu- siert, was genau der Kritik entspricht, die zugspunkt all dieser mittelpunktlosen Ar- 
stand aus der Verschleierung seinereigenen Eisenman gegen den postmodernen Hi- beitdar. Sie bringt uns zu der Frage, ob das 
bewußt gewordenen Vergangenheit ablei- storismus erhebt. Gefühl des Verlustes — so übermächtig bei 
tet. Auf diese Weise arbeiten Erinnerung Indem Eisenman [...] seinem eigenen Tschumi, Hejduk, Libeskind und Eisen- 
und Anti-Erinnerung zwar gegeneinan- A rsenalneue rhetorische Wendungenein- Man- nicht eine Form im Sinne von Nietz- 
der, aber dennoch in geheimem Einver- verleibte — „Fiktion“, „Anti-Gedächtnis“, sches oder zumindest von existentialisti- 
ständnis, um ein zusammenhangloses Ob- „Repräsentation“, „Figuration“, näherte schem Erweckungseifer darstellt. Wie 
jekt zu schaffen,ein gefrorenes Fragment er sich den von ihm verachteten Postmo-Auch immer, in Eisenmans und Derridas 
ohne Vergangenheit und Zukunft, einen dernen immer mehr an. Um sich aber vor Garten für Tschumis „Park des einund- 
Ort. Nehmen wir an, er entspricht seiner djesem unsagbaren Schicksal zu bewah- zwanzigsten Jahrhunderts“ trifft all dieses 
Zeit.“ ; . ren, kehrte er ihre primären Lehrsätze um Fehlen aufeinander, wird rekursiv, be- 
Dem fertiggestellten Bau nach zu urtei- nd verwandelte sich auf wundersame zieht sich auf sich selbst in einer Art ge- 
len; nepräenle in „unseres Zei” ein Weise in einen „Nicht-Posimodernen“. in Pingpongspiel des Nichts. 
BEAT RaUS m Ne N Oel ande Teer Eisenman schlägt also anstelle der post- N Dertidas Programm) scheint von Er 
N C ; - modernen „Simulation“ von Ruinen de- EN ; 
benden Gebäude, während ein weiteres, ren „Dissimulation“ vor, das heißt unech- $CMMans rhetorischer 2 Maschine be- 
gegen das erste nur um 3,3° verschobenes + Ausgrabungen und falsche Fundamen- herrscht: „Ausgrabung : „Palimpsest” 
Raster die Fundamente aus dem acht- te, die entweder vorgeben, echt zu sein, „Steinbruch“, „Selbstähnlichkeit”, 
zehnten Jahrhundert sowie das Merkator- oder durch irgendein Scheinmaterial die „Überlagerung“, „Scaling ‚ „Textural Fi- 
raster, jenes abstrakte Ordnungsprinzip, Tatsache ihrer Falschheit darstellen. Ei-  uration“, „Dissimulation“, „Punktra- 
das Berlin „mit dem Rest der Welt verbin- ner seiner Entwürfe, das 1985 für die Bien-  StCT und „Geistdarstellung“ — dies sind 
det“, darstellt. Darüber hinaus verkörpert ale in Venedig geschaffene Romeo-und- die Begriffe seines Arsenals, die in der 
es jedoch vor allem auch die unmittelbar yu];a-Projekt, nimmt unter anderem die Gartenanlage zutage treten. [...] Im Jahre 
nördlich gelegene Berliner Mauer. Prak- Texte von Da Porto und Shakespeare als 1957 tührte Eisenman zahlreiche weitere 
tisch heißt das, wie bei Richard Meiers Ausgangspunkt, um die inhärenten Kon- Termini ein, die eine „nicht-postmoder- 
3,5°-Verschiebungen in Frankfurt, daß fikte zwischen den beiden berühmten Fa- "C“ Ornamentsprache entstehen ließen — 
sich hier ein Spätmoderner mit einer post- mjlien Veronas aufzuzeigen. Es nimmt „catachresis“, „fractals » „arabesques” 
modernen Thematik befaßt, und zwarder qj;es zum Vorwand für eine „Schichtung“ und „grotesques" —, und er bewegte sich 
Darstellung von Geländegegebenheiten. widersprüchlicher Maßstäbe und zahllo- auf die paradoxe Position zu, sich mit dem 
Das Problem liegt jedoch darin, daß man ser Fehlinterpretationen - daher lautet ein Gegner zu vereinen, den er hinter sich 
dies unmöglich ohne die mehrfache Lek- Tej] des Titels „Moving Arrows, Eros and ließ, indem er tatsächlich eine ornamenta- 
türe von Eisenmans Erläuterungen wissen Other Errors“ [Sich bewegende Pfeile, le und gegenständliche Architektur schuf. 
kann, weil so vieles absichtlich unver- Eros und andere Fehler].?”) „Scaling“, Ei- 3 . . . 
ständlich und abstrakt bleibt, ohne Be-Skenmans Methode zur Verkleinerung. Wenn man die Dekonstruktionen, wie 
rücksichtigung jeglicher visueller An- oder Vergrößerung eines Rasters oder ei- ich, aus einer Position der Skepsis heraus 
haltspunkte oder Schgewohnheiten. Die- ner Figur, so daß sie sich ausschließlich auf schätzt, dann wegen ihrer erfinderischen 
se „Schwierigkeit n des Lesensist ein wich- sich selbst bezieht („self-similarity“), ist Frische, wegen der Belebung des müden 
tiger Bestandteil seiner Theorie der Tota- | y;e hier angewendete rhetorische Formel, Spiels der Moderne ‚durch neue Regeln 
lität-Schreiben/Architektur/Welt/Text—, die zum Beispiel dazu führt, daß ein ver- und UÜbereinkünfte, ihrer Wandlung zum 
die keinerlei Zugeständnisse für den Fall kleinertes Modell der Stadt Verona in die Vahrhaftigen „Neo-Stil . Wenn Zweifel 
macht, daß die Bewohner das: Gebäude BE 7;radelle von Romeos Burg eingefügt aM der Allgemeingültigkeit des Ansatzes 
„mißverstehen““, wenn sie es nur betrach- A ird. Es werden hier derart viele Ver- bestehenbleiben, betreffen sie den „dog- 
ten oder darin leben. dd : schiebungen, „Überlagerungen“ und matischen Skeptizismus‘ > der sich der ne- 
Was aber ist mit dem tiefergehenden „Ausgrabungen“ eingesetzt, daß Eisen- gativen Ergebnisse stetssicher ist, und den 
Verständnis der Eingeweihten, demamnan schnell seiner privilegierten Rolle als antipolitischen und antiöffentlichen Cha- 
Am NE (en N NEE DE NO Autor dieses Textes verlustig geht [...].?®) NEE dt NEE EAU han- 
and“, dem leeren Menschen? Hier gi N . n elt sich es bei der Dekonstruktion, wie 
es Probleme mit Widersprüchen, die nicht ‚ Die Ausweitung früherer Ideen sollte anfredo Tafuri im Jahre 1974 über die 
wegdekonstruktioniert werden können. jedoch erwähnt werden, die Methode der New York Five und andere schrieb, um 
Das grünliche Raster, mittels dessen das Schichtung und das Zerbrechen von Glas-  g7,chitecture dans le boudoir“.?') Ähnlich 
Straßenniveau und die früheren Bauten flächen zur Einführung ‚nichtanthropo- einem Rokokoboudoir kann sie sinnlich 
dargestellt werden, wechselt an der West- morpher Begriffe — „Scaling » »SUPCFM- und einnehmend komplex sein, aber sie ist 
ecke unerklärlicherweise die Farbe zu Position“ und „self-similarity“. Laut Ei- grundsätzlich undemokratisch. Hier liegt 
Grau-Rot-Weiß. Da es hierfür keine se- Senman schaffen sie eine „Maßstabsspezi- der eigentliche Widerspruch der Dekon- 
mantische Erklärung gibt, scheint es sich fik dadurch, daß es sich um einen rekursi- — <+uktion: Trotz ihres Anspruchs auf Plu- 
um eine rein ästhetisch bedingte Entschei- CM Maßstab handelt: Er bezieht sich auf ralismus, differance, „Krieg gegen Totali- 
dung zu handeln, um die Farben und For- SEIN CIBENCES Vorhandensein. Sein Maß- +“ und die Verteidigung des „Anders- 
men dieser Fassade miteinander in Ein- Stab ist innerlich. Bei diesem Werk spre- ojns“ sind ihre schwerverständlichen 
klang zu bringen. Genau diese Gleich- Chen wir vom Verlust Gottes, von dem werke häufig monistisch, elitär, intole- 
klänge — laut Eisenman banale Integratio- Mangel an Glauben an die Menschwer- „ant und vermitteln ein Gefühl der 
nen — sind es, die er bei seinem Streben dung und dem Bedürfnis nach einem per- „Gleichartigkeit“. Vielleicht ist dies in der 
nach einem ehrlichen „Anti-Klassizis- SOnfizierten Mittler. Wir sprechen vom Architektur das Ergebnis eines zu ausge- 
mus“ zu dekonstruieren versucht. Ferner Verlust des Ich als einzig identifizierender qcpnpten Starrens in die Leere: Es führt zu 
— und das ist ein vielleicht noch wichtigerer Metapher [...]. Rekursive, selbstbezügli- einer privaten religiösen Sprache der 
Punkt — soll der 3,3 Meter hohe Sockelei- Che, zusammenhanglose Geometrie ist GSejhstverleugnung. Wegen solcher Vertu- 
nen Bezug zur Höhe der Berliner Mauer Möglicherweise ein für die menschliche schungen und Widersprüche könnte man 
herstellen, aber er bietet sich als eine aus Ceometrie unspezifischer Maßstab.“*) behaupten, daß eine von Vielfalt und Hu- 
fröhlichen Quadraten zusammengesetzte Weshalb es sich bei dem „Bedürfnis _mor getragene dekonstruktionistische Ar- 
Glaswand bzw. an der Südwestecke alsei- nach einem personifizierten Mittler“ nicht chitektur erst noch geschaffen werden 
ne Folge munterer Rücksprünge dar. Mit um ein weiteres rudimentäres Sentiment muß.
	        

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