jene Aufhebung, deren Prozeß uns Hegel erklärt und die sich immer wieder ein
solches Jetzt wiederaneignen kann: Der Punkt negiert den Raum und erzeugt
in dieser räumlichen Negation seiner selbst eine Linie, auf der er sich als sich
aufhebend aufrechterhält. Die Linie wäre also die Wahrheit des Punktes, die
Oberfläche die Wahrheit der Linie, die Zeit die Wahrheit des Raumes und
schließlich das Jetzt die Wahrheit des Punktes (Enzyklopädie). [...]
Neunte Bariatic
Wenn der Mops in der Luft den Spucnapf fchlingt
Und der Storch mit der Wurft über'n Frofd wegfpringt. Denn man mußte von Versprechen und Unterpfand
Aus: Fliegende Blätter, Bruno Nase sprechen, vom Versprechen, das das privilegierte Bei-
_ spiel für eine performative Schrift abgibt. Mehr als ein
Vergangenheit sich Abgrenzendes liegt Beispiel, die Bedingung selbst für eine solche Schrift.
nicht in Sicht, also steigt man alles übergip- Ohne zu übernehmen, was die Theorien der performati-
felnd gleich ganz aus jeder Einordnung in ei- ven Sprache und der speech acts — hier angeschlossen an
ne zeitliche Abfolge aus und hat doch mit - eine zur Architektur gehörende Pragmatik — an Voraus-
dem neuen Namen auch den Eintritt eines setzungen zugrunde legten (zum Beispiel den Wert der Präsenz, des Jetzt als
ee ES ORTE ale Gegenwart), ohne hier darüber diskutieren zu können, schließen wir uns allein
einer bestimmten Epoche zu sein, sondern an folgenden Zug an: die Provokation des Ereignisses, von dem ich spreche
gleich mit der gesamten abendländischen („ich verspreche“, zum Beispiel), das ich beschreibe oder entwerfe, des Ereig-
Tradition abzurechnen. Die dekonstruktive nisses, das ich kommen mache oder das ich kommen lasse, indem ich es markie-
Architektur nun also in den Fußstapfen des re. Man muß auf der Markierung oder auf dem Zug insistieren, um diese Perfor-
EDEN Heidegger — als NED mativität der Vorherrschaft der Rede und der menschlich genannten Rede zu
ri park Er elaten Pacn die entziehen. Die performative Markierung verräumlicht, dies ist das Ereignis der
zwar bekennt, nicht aus der Geschichte her- Verräumlichung. Die roten Punkte verräumlichen, sie halten die Architektur
austreten zu können, sie aber dennoch auf in der Dissoziation der Verräumlichung aufrecht. Aber dieses Jetzt hält nicht
ein Unvordenkliches zu öffnen. allein eine Vergangenheit oder Tradition aufrecht, es sichert keine Synthese zu,
es hält die Unterbrechung, anders gesprochen den Bezug zum anderen als sol-
D er Gedanke Derridas ist einfach: Wenn chem aufrecht. Zum anderen im magnetischen Feld der Attraktion, des „ge-
— die Architektur sich immer im Rahmen meinsamen Nenners“ oder der „Heimstatt“, auch zu den anderen Bruchpunk-
einer sinnhaften Ordnung, die sie präsen- ten, zunächst aber zum Anderen: zu dem, durch den das versprochene Ereignis
tiert und bedeutet, entfaltet und einschließt, EN : ea x . .
dann geht es nicht darum, ihr eine Alternati- eintritt oder nicht eintritt. Denn er findet sich gerufen, allein gerufen, das Un-
ve entgegenzusetzen, sondern sie zu defor- terpfand [gage], das Engagement oder das Wagnis [gageure] gegenzuzeichnen.
mieren, also jene Widersprüche darzustel- Dieser Andere präsentiert sich niemals, er ist nicht präsent, jetzt. Er kann durch
len, die sich in ihrer Logik nicht schließen das repräsentiert werden, was man zu schnell die Macht, die politisch-ökonomi-
lassen. Das Aussetzen von Sinn, das Leer- schen Entscheidungsträger, die Verbraucher, die Repräsentanten der Herr-
laufenlassen der Mechanik sind als Strate- schaftsbereiche oder der kulturellen Beherrschung, hier besonders einer Philo-
gien des Einhaltens sicher notwendig, um e . N Ban N .
überhaupt Reflexion entstehen zu lassen, sophie der Architektur nennt. Dieser Andere, das wird irgend jemand sein,
doch Derrida will nicht mehr eine kritische noch gar kein Subjekt, Ich oder Bewußtsein, gar kein Mensch —- irgend jemand
und so auch kritisierbare Position einneh- antwortet auf das Versprechen, verantwortet zunächst das Versprechen: die
men, sondern als Maulwurf die Gänge Zukunft eines Ereignisses, das die Verräumlichung aufrechterhält, das jetzt in
durchqueren, um etwas ankommen zu las- der Dissoziation, der Bezug zum anderen als solchem. Nicht die Aufrechterhal-
sen, was in keiner Weise vorgezeichnet ist tung [maintenue], sondern die über den Abgrund gereichte Hand [main ten-
und wesentlich unbestimmt bleiben soll. d ;
Verwunderlich ist nicht, daß der Dekon- ue].
strukteur der abendländischen Episteme
a N NEE SEE En + Verborgen durch die ganze Geschichte der Architektur,
wesen und die konstruktive Vernunft hat offen für die nicht antizipierbare Chance einer Zukunft,
sich immer als architektonisch verstanden: ist diese andere Architektur, diese Architektur des ande-
sie baut, ausgehend von einem Fundament ren nichts, was wäre. Es ist keine Gegenwart, das Ge-
und von einfachen Teilen, die sich seriell zu dächtnis einer vergangenen Gegenwart, das Erfassen
EEE En EEE SC men L oder das Vor-Verständnis einer zukünftigen Gegenwart.
bäude, einen Kosmos, der die „Wohnun- Me Sie vergegenwärtigt weder eine (konstative) Theorie
gen“ und Verbindungen der verschiedenen noch eine Politik, noch eine Ethik der Architektur. [...]
Seins- und Rationalitätsaspekte um- Aber wenn er weder eine Theorie noch eine Ethik, noch eine Politik, noch
schließt. Zwar nahm die Architektur für die eine Erzählung („Nein, keine Erzählung, niemals mehr“, Der Wahnsinn des Ta-
idealistische Tradition in ihrer ästhetischen ges) vergegenwärtigt, gibt er zu all dem Anlaß. Er schreibt und signiert im vor-
NE EN HE TE CE VEN CR aus, hält einen geteilten Zug am Rande des Sinns aufrecht, vor aller Vergegen-
die dunkle Massivität der Materie nicht er- wärtigung, jenseits von ihr, dies selbst, das andere, das die Architektur, ihren
laubte und zudem von Funktionalität — der Diskurs, ihre politische Szenographie, ihre Ökonomie und ihre Moral enga-
„Angemessenheit des Produktes zu einem giert. Unterpfand [gage], aber auch Wagnis [gageure], symbolische Ordnung
gewissen Gebrauche“ (Kant) — nicht ganz zu und Wette: Diese roten Würfel werden geworfen wie die Würfel der Architek-
trennen war. Doch hat die Idee eines sich tur. Der Wurf gibt nicht allein das Programm einer Strategie des Ereignisses,
BEE REES Me wie ich es weiter oben suggeriert habe, er geht der Architektur, die kommt, ent-
gegen. Er geht ihr Risiko ein und gibt uns dadurch die Chance.
Se . Aus dem Französischen von Michael Wetzel
Gestern trat ein Fräulein an mein Bette
EN Ra NT En hätte Der Text von Jacques Derrida wurde leicht gekürzt entnommen aus: „Wege aus der Mo-
Ünd.ich sagte, um Sie reinzulegen: nein! > derne — Schlüsseltexte der Postmoderne- Diskussion. Herausgegeben von Wolfgang
Welsch.“ © Acta humaniora VCH Verlagsgesellschaft Weinheim 1988, 314 Seiten 38
Werner Finck Mark
52