Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1883, Bd. 2, H. 1/15)

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Reform begleitet war. Es erhob sich aber dabei eine Schwierigkeit, 
nämlich die Frage der Prämiirung. JT sagte mir Folgendes: 
Die Preisrichter sind die Vertreter der herrschenden Industrie 
und Hygiene, und unsere Ausstellung bedeutet einen theilweisen Bruch 
mit beiden, ist also revolutionär. Schon das ist für ein Preisgericht 
eine große Verlegenheit, denn wenn es eine Prämiirung ausspricht, 
jo wäre das erstens ein fast unmöglicher Akt von Selbstverleugnung 
und zweitens ein Verdikt insSbesondere gegen die herrschende Beklei- 
dungsSindustrie von einer Schwere und Tragweite, daß wohl Niemand 
die Verantwortlichkeit auf fich nimmt, der nicht durch eingehendstes 
theoretisches und praktisches Studium der Sache die vollständigste 
Ueberzeugung von. ihrer Richtigkeit gewonnen hat. Man brauchte nun 
die Herren vom Stuttgarter Preisgericht nur anzusehen, um zu wissen, 
daß sie eine Prüfung, die ja ohne längeres eigenes Tragen der 
Wollkleidung nicht möglich ist, nicht vorgenommen hatten, und daß 
dieß nicht in der Geschwindigkeit nachgeholt werden konnte, war ja 
ebenso klar. Für das Preisgericht mußte somit meine Ausstellung 
ein Gegenstand der Verlegenheit sein. 
I< wollte demselben diese Verlegenheit durc< die Außerkonkur3- 
Erklärung meiner Ausstellung ersparen, stieß aber hiebei auf den 
Widerstand der ausstellenden Firmen und ließ de8halb der Sache 
ihren Lauf. Was ich voraussagte geschah: das referirende Mitglied 
des Preisgerichts, das einen Theil des Regimes an sich erprobt hatte, 
beantragte zwar die Prämiirung auf Grund der Thatsache, „daß viele 
Leute die Sache tragen und mit den Erfolgen zufrieden seien, und 
daß die Bekleidungsindustrie eine neue Anregung bekommen habe“, 
aber hierauf warf sih Geheimer Hofrath Dr. von Fehling zum 
Patronus der gefährdeten Industrie auf mit der Bemerkung, es gäbe 
auch Gewerbe, die darunter nothleiden werden, wie 3. B. die Wasch- 
weiber. Hierauf Gelächter und Tagesordnung. 
Als im vorigen Jahr das Projekt der Berliner Hygieneausstel- 
lung auftauchte, war ich gegen die Betheiligung, theils auf 
Grund obiger Erfahrung auf der Stuttgarter Ausstellung, theils weil 
ich in meinen Wandervorträgen ein viel wirksameres Mittel zur Pro- 
paganda sah, als in diesen todten und stummen Figuren und Gar- 
nituren. Dieser Vorsatz kam nicht zur Ausführung, weil Herr Corps8- 
Generalarzt Dr. v. Fichte privatim die wichtigsten meiner Geschäfts- 
leute dringend aufforderte, die Ausstellung zu beschifen, damit die maß- 
gebenden Persönlichkeiten. in Berlin Gelegenheit haben, die Sachen zu 
jehen; ein Schritt, der begreiflich ist, wenn man weiß, daß unter dem 
hiesigen Offiziercorps die Sache schon längst die ernsteste Beachtung 
findet. I< gab nun meine Einwilligung zu der Ausstellung meinen 
Geschäftsleuten, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß 
dieselbe für „außer Konkur3“ erklärt werde. | 
Meine Anmeldung bei dem Ausschuß der Hygieneausstellung 
erfolgte denn auch im Vorjahr mit dem Zusa, daß ich die Anmeldung
	        
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