Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1883, Bd. 2, H. 1/15)

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Vom Geruchssinn. 
(Aus: „Blätter für gerichtliche Anthropologie“.) 
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Daß es Individuen gibt, die sich durch eine besondere Schärfe ihres 
Geruchssinnes auszeichnen, ist bekannt, daß aber dieses zu einer forensischen 
Frage geworden sei, darüber liegt , meines Wissens nac<, noch kein Fall 
vor, außer folgendem vom Med.-Rathe Ebers mitgetheilten Falle. 
Der des Betrugs angeklagte Sh. war durch eine auffallende Schärfe 
seines Geruchösinnes ausgezeichnet. Daß er von einer Hündin war ge- 
jäugt worden, wurde von mehreren gleichzeitig lebenden Personen bestätigt. 
C5 wurde ferner allgemein bestätigt, daß er in der tiefsten Dunkelheit, in 
geschlossenen Räumen und in freier Luft alle Personen, Männer von 
Weibern unterscheiden konnte; ebenso Thiere und nicht allein aus den 
Heerden, Schafe, Rindvieh, sondern auch die einzelnen in den Ställen, die 
er kannte, selbst Nachts durch seinen Geruch zu bezeichnen vermochte. Meh- 
rere auffallende Beispiele sind von ihm bekannt, daß er Diebe durch seinen 
Geruch entde>te. Dem Schäfer N. war Geld gestohlen worden; der her- 
beigerufene Sch. bero< alle Personen - im Hause und alle Räume, ohne 
etwas zu entde>en; dann begab er sich in die Ställe und in den Hof, und 
es dauerte gar nicht lange, bis er das gestohlene Geld an der Dünger- 
gimbe fand und sogleich dem Eigenthümer seine eigene Tochter als Diebin 
ezeichnete, was sich auch bestätigte. In einem andern Falle waren einem 
Manne eine Anzahl Sohlenleder gestohlen worden; Sc<. beroch viele Per- 
sonen und auch die no<z zurücgebliebenen Sohlleder; plößlich bezeichnete 
er einen Mann als den Dieb, und di gestohlenen Sohlleder wurden ent- 
de>t. Ein dritter Fall ist folgender? Es brachen Diebe in einem Hause 
ein, und zwar in das Gemach, in dem zwei Mägde schliefen; in der Dunkel- 
heit wurden sie nicht erkannt und die Mägde hielten sich aus Furcht ruhig, 
als ob sie schliefen, aber sobald die Diebe sich entfernt hatten, machten sie 
Lärm; erst am nächsten Tage wurde Sch. geholt: er beroc<h alle Zimmer, 
Utensilien und Personen, zuleßt die Fußstapfen auf den Wegen und ver- 
folgte die Thäter bis zu einem Fluß, wo er die Fährte verlor, wie ein 
Hund , der sie durch irgend ein Hemmniß einbüßt; ex fand sie aber am 
jenseitigen Ufer wieder und entdeckte einen Theil des verborgenen Geraubten, 
nicht aber die Diebe, deren Spur er verloren. Auch ist in den Akten 
eines Falles erwähnt, wo man Mützen und Kleider unter einander warf; 
Sch. beroch jeden Einzelnen und dann die Müßen und Kleider und hän- 
digte jedem jein Eigenthum ein. Da nun Sch. durch seinen Geruchssinn 
mehrmals Diebe entdeckte, so zog er sich, sowie Beifall auch Haß und Ver- 
folgung zu, es erhoben sich gegen ihn Klagen wegen Betruges; die Sache 
fam vor Gericht, und wurde von dem Medizinalkollezium von Schlesien 
eine Beantwortung der Frage verlangt: „ob Sch. wirklich einen so scharfen 
Geruchssinn besißen könne, um durch denselben Dinge zu entde>en, welche 
sonst nicht wahrnehmbar, oder ob seine Behauptung, mittelst dieses Sinnes 
auch gestohlenes Gut zu ermitteln, möglich oder wahrscheinlich sei?" Mex- 
dizinalrath Ebers erstattete hierüber folgendes Gutachten: „C5 steht durch 
vielfache Erfahrungen fest, daß der wilde Mensch, dessen somatische Eigen- 
schaften und Kräfte durch den Einfluß der Kultur nicht gelitten haben, eine 
solche Schärfe der Sinne besitzt, wie sie bei kultivirten Menschen gar nicht, 
oder nur selten vorkommt. Dies gilt von allen Sinnen, namentlich auch
	        

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