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Eine Berliner Dame habe ihn besucht, damit er =- rieche, ob ihr Hut
mit Anilin gefärbt sei. Nichts ist leichter als das. Der Professor nahm seinen
Psyc<ometer, prüfte seine Stimmung durch ein paar Drücker auf den Knopf
und roch dann auf den Hut. Bei dem folgenden Druck sprang der Zeiger auf
320 -- das war Unlust, der Hut war also mit Anilin resp. mit einem schäd-
lichen Stoff gefärbt. (Wozu also noch <emische Analysen ? Wozu polizeiliche Unter-
suchung der Nahrungsmittel ? Man genießt oder riecht vielmehr bloß an den zu
untersuchenden Gegenständen, und die Curve des Psychometers gibt uns Auf-
schluß auf die überraschendste Weise.)
Natürlich, der Mann, dessen Gehirn, wie es scheint, nichts ent-
hält als Buchstaben, begreift nicht, daß die Thiere in Feld und Wald
auch ohne <emische Analysen, ohne polizeiliche Untersuchung der Nah-
rungsmittel lediglich durc< Beschnüffeln mit nie fehlender Sicherheit die
ihnen zuträgliche Nahrung von den ihnen schädlichen Gisten unterschei-
den, ja sog". wenn sie krank sind, ohne Doktor und Apotheker lediglich
mit der Nase "€ zutreffende Arznei finden. Freilich, sagt man so etwas
einem f9"hon T.chulstubenprodukt, dann heißt e8: „Ja das Thier kanns
freilich, abor der Mensch !“ Begreifen diese Herrn =- und es sind ja an der
Germania gewiß Geistlihe mit thätig =- begreifen sie nicht, daß sie
damit der von ihnen stet8 hochgehaltenen Ueberlegenheit des Menschen
über das Thier und der Güte und Weisheit unseres Weltschöpfers
ein schlechtes Zeugniß ausstellen ? Und dann: beweisen denn nicht Tag
für Tag die wilden Menschen, unsere Zigeuner, Schäfer, Wurzengraber,
Kräuterweiber u. s. f., die do< wahrhaftig auch keine Vorlesungen
und Uebungskurse in der Chemie gehabt haben, daß der Mensch, so-
bald er nur alle seine fünf Sinne gebraucht, statt immer blos mit
dreien in der Welt herumzulaufen, es so gut kann wie das Thier ?
Wer hat denn die Arzneimittel unserer Apotheken entdeckt? Vielleicht
Professoren und Chemiker? O nein! Wilde, Hirten, Jäger, alte Weiber,
Zigeuner und ähnliches Volk.
Eine kleine Genugthuung für obiges verständnißlose Referat
brachte die darauf folgende Nummer der Germania allerdings in
Gestalt folgender Notiz:
Man schreibt uns: „Mit Bezug auf Ihr Referat über den letzten Vor-
trag des Prof. Jäger glaube ich no<h einen <arakteristischen Vorgang hervor-
heben zu sollen, welcher in dem Referat nicht erwähnt ist. Bei der dem Vor-
trage folgenden Fragebeantwortung nahm Prof. Jäger Veranlassung, wiederholt
zu erklären, daß er durc) den Zweifel hindurch zu der wissenschaftlichen Ueber-
zeugung von der Unsterblichkeit des Geistes und von dem Dasein eines
persönlichen Gottes gelangt seil. Das Auditorium nahm diese mit Wärme
gesprochenen Worte beifällig auf, und es dürfte aus denselben hervorgehen, daß
Prof. Jäger weit davon entfernt ist, einer materialistischen Weltanschauung zu
huldigen. Seine „Entdekuug der Seele“ läßt allerdings diese Vermuthung
auffommen, aber da er einen sehr scharfen Unterschied macht zwischen Seele und
Geist, und die Abhängigkeit ersterer von vem letzteren annimmt, so ist klar, daß
er überhaupt mit dem Worte „Seele“ einen ganz anderen Begriff verbindet, als
den gewöhnlichen.
- Berücksichtigt man diese Eigenheit, so dürften vielleicht die Anschauungen
des Prof. Jäger und insbesondere die daraus abgeleiteten praktischen Lebens8-
regelu einer näheren Prüfung werth erscheinen.