Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1884, Bd. 3, H. 1/12)

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Beilage zu Prof. Dr. G. Jägers Monatsblatt. 
Stuttgart. MB 9. September 1884. 
Die Chokfera. 
Hierüber bringe ih zunächst einen Artikel zum Abdruck, der 
aus der „Tägl. Rundschau“ in eine Menge von Tagesblättern seinen 
Weg fand: 
Die jeßt alle Blätter anfüllenden Mittheilungen über den vom Geheimen 
Regierungsrath Dr. Koch entdekten und jetzt wieder in Toulon aufgefundenen 
Cholera-Bacillus, und die ausdrücliche Erklärung dieses Gelehrten, daß die 
Cholera durch die Luft nicht übertragbar sei, sondern nur durch Berüh- 
rung mit dem Auswurfe im feuchten Zustande, sowie seine Bezeichnung des 
Wassers als alleinigen Trägers der Cholerakeime rufen mir Beobachtungen ins 
Gedächtniß, welche ich zu zwei verschiedenen Zeiten während meines Aufenthaltes 
an zwei verschiedenen von dieser Seuche heimgesuchten Orten gleichförmig zu 
machen Gelegenheit hatte. Angesichts der Thatsache, daß sie mit den Erklärungen 
des Dr. Koh sc<werli< ganz in Einklang zu bringen find, bin ich weit davon 
entfernt, ihnen einen wisjenschaftlichen Werth beizulegen, immerhin aber halte ich 
meine Beobachtungen für interessant genug, um durch sie an dieser Stelle zu 
einem Austausch ähnlicher Erfahrungen anzuregen, 
Wer das zwischen seinen vom schönsten Buchenwalde umkränzten Landseen 
reizend liegende Städtchen Ratzeburg im Herzogthum Lauenburg besucht hat, dem 
werden, wenn er überhaupt ein Auge für das Treiben der Vogelwelt hat, die 
Scaaren der Dohlen und Krähen nicht entgangen sein, welche Morgen3 und 
Abends das Dach des alten Domes umkreisen und bede>en, und in den Wipfeln 
der ihn umgebenden ehrwürdigen Bäume mit großem Geschrei ihr Wesen treiben. 
Während meines Aufenthalts in Ratzeburg im Sommer 1853 pflegte ich auf 
den schöngehaltenen Fußpfaden, welche sich an den Ufern der Seen durch das 
Gehölz hinziehen und herrliche Blie auf den zwischen breiten Baumkronen mas 
lerisch gelegenen Dom bieten, allabendlich mit meiner Schwester einen Spazier- 
gang zu machen. Auf einem solchen Gange gewahrten wir eine8 Abends zu 
unserer Verwunderung, daß die Krähen und Dohlen, welche sich bereit3 bei dem 
Dome zur Nachtruhe eingefunden zu haben schienen, plößlich , nachdem sie unge» 
wöhnlich lauten Lärm gemacht, als wenn sie über einen besonders schwierigen 
Fall berathen hätten, troß der späten Stunde sich wieder in die Luft erhoben, 
und in einem breiten dichten Schwarme über den See und den Wald, in welchem 
wir standen, weg in der Richtung nach MeKlenburg davon flogen, =- War dieser 
späte Ausflug mir schon wunderbar erschienen, so war ih noc< mehr erstaunt, 
auch an dem folgenden Morgen keinen Laut von einer Krähe oder Dohle vom 
Dome her zu vernehmen. An diesem Tage wurde der erste Cholera- 
fall mit tödtlihem Verlaufe in Raßeburg festgestellt, und die Epidemie offen- 
barte in rasch aufeinander folgenden Fällen, wenn auch Gott sei Dank nicht auf 
lange Dauer, einen recht bösartigen Charakter. 
! Wir setzten während dieser Zeit unsere gewohnten Spaziergänge an dem 
Ufer des Sees fort, und in diesen trüben Tagen machte es einen fast unheim- 
lichen Eindru>, daß der jedem Rateburger so gewohnte Krähenlärm gänzlich 
verstummt war; -- sie waren und blieben vers<wunden. 
Lange spähten wir vergeblich nach ihnen aus. Da, eines Vormittags, be- 
obachtete ich von meinem Fenster aus zwei einzelne Krähen, welche über den 
See geflogen kamen. Sie kreisten längere Zeit über dem Dome und ließen fich
	        

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