Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1884, Bd. 3, H. 1/12)

Wien über die von ihm konstruirte Normalkleidung. Professor Jäger ! 
Ah, der Seelenriecher! Jawohl, der Seelenrieher. Paul Niemeyer 
hat noch einen Spott-Titel für ihn geschaffen: der Sc<nueiderkönig.*) 
Die „medicinischen Kreise“ verhalten sich überhaupt ziemlich skeptisch 
Jäger gegenüber, wie sie e3 ja auch bei den ihnen gar nicht geläufigen 
Erscheinungen 598 HypnotiSmus thun, Mit vornehmer Ablehnung 
läßt sich aber Jäger nicht abfertigen, er hat Eines für sich : den Erfolg. 
Gustay Jäger ging nicht leichtsinnig ans Werk, er hat vor nun vollen 
fünfzehn Jahren seine Studien über Gesundheitspflege begonnen und 
tradirt die Wolle seit zwölf Jahren mit unläugbar immer mehr zu- 
nehmendem praktischen Erfolge. So kann er denn Angriffe jeder Art, 
darunter ; *-orster Linie die Verhöhnung, mit Seelenruhe aufnehmen. 
2158 5" x doutscher Professor mußte er seine Theorie von der gesündesten 
Klo:dv > för den Menschen, nämlich der aus Schafwollstoffen, in ein 
wissenschaftliches „System“ bringen, und er that dies in einem „Die 
Entdec>ung der Seele“ betitelten Werke. Damit war dem leichtfüßigen 
und leichtlebigen Wie Thür und Thor geöffnet. Zwei Schriftsteller 
der Gegenwart brachten die Nase, dieses beim Menschen ohnehin genug 
verfümmerte Organ, zu Ehren, Emile Zola und Gustav Jäger. Mit 
der beneiden5werthen Schnüffelkraft des Hundes haben beide „alle 
Gerüche dieser holden Erdenfüche“ ausgewittert ; der Eine benüßt seine 
Erfahrungen für die Kunst seiner Darstellung, der Andere für die 
Begründung seiner Wissenschaft. Das Sclagwort „Seelenriecher“ 
bildete sich von selbst, und, wie das schon im Leben einmal ist, der 
Spaß flatterte durch die ganze Welt, indeß sich der Ernst der Sache 
nur mühsam seine Stellung eroberte. Wie eingeschworene Mitglieder 
einer Kaste gingen die ersten Wollmenschen herum, erkenntlich durch 
den von der Gewöhnlichkeit auffallend abweichenden Schnitt ihrer Habits. 
Jett gibt es nicht tausende, sondern hunderttausende von Wollmenschen 
in Deutsyland, und die mit Anfertigung der Normalkleidung beschäf- 
tigten Fabriken können nicht genug arbeiten, um den Bestellungen nach- 
zukommen. Auch in Wien sind Normalmenschen keine Seltenheit mehr, 
jeder, der es ist, lobt sich's über die Maßen und kümmert sich um 
Seelenriecherei und physiologisch-philosophis<e Begründung nicht im 
geringsten. Jhm ist wohl, auch ohne System.“ 
„Gustav Jäger hat vollständig Recht, wenn er in einem seiner 
praktischen Handbücher über die Normalkleidung sagt =- lauter em- 
pfehlen3- und lesenswerthe Schriften =- das Wollregime sei über die 
Maßen revolutionär und rüttle nach allen erdenklichen Richtungen an 
den gewohnten, also herrshenden Verhältnissen. Und mit Stolz kann 
er beifügen: „Das Wollregime hat sich gewissermaßen heimlich und 
von unten her in das bestehende Gebäude der sozialen Ordnung ein- 
geschlichen, unbeachtet, oder verlacht und bespöttelt von den Machthabern 
*) So weit reicht Niemeyers Wik nicht, den Titel gab ich mir selbst. (Jäger.) 
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