Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1884, Bd. 3, H. 1/12)

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mit dem Feuer eines Fanatikers für seine Sache, für eine von der 
gesammten civilisirten Welt verlachte Sache unerschro>en und unnach- 
giebig so lange eintrat, bis ein kleiner Theil der gesammten civilisirten 
Welt sich bequemte, ihm in vielen Stücken Recht zu geben. Nun, da 
wir ihn vor uns hatten, den berühmten Entdecker der Riechseele, wurde 
uns lar, wie J32or e8 zuwege gebracht hat, daß heute shon Tausende 
Anhängor seiner Theorien auf der Er“ » herumlaufen. Professor Jäger 
ist ein hochzuschäßender Gelehrter, ein sc<harfsinniger Forscher, vor Allem 
aber ein ausgezeichneter, sieghafter Redner. Als wir heute Abends 
nac) dem Vortrage den Bösendorfer-Saal verließen, überdachten wir 
die Eventualität der Anschaffung eines Wollkostümes und viele Andere 
mochten ein Gleiches gethan haben. Professor Jäger versteht es eben, 
zu Überzeugen ; er versteht es, uns beizubringen, daß Weiß besser ist, 
als Schwarz, daß Kniehosen heilsamer sind , als Pantalons, daß 
Tricots gegenüber Leinenwäsche ven Vorzug verdienen. Aber er selbst 
muß es sciv, der uns diesen Beweis liefern soll; die Jäger'sche Lehre, 
geschri 2. von einem Andern gepredigt, wird viel von ihrer 
Unwid> ""ichkeit verlieren.“ 
„ %* Säger einen großen Sieg errungen. Der Saal war 
voll und 4.4 ""ablifkum, das nur zum geringen Theile schon früher 
zur wollenen Fahne Jäger's schwor, erwartete mit Neugier den 
Vortrag. Merkwürd:gerweise sah man unter den Zuhörern viele 
Wagnerianer, Anti-Semiten und Vegetarianer, lauter Leute, die der 
Woll-Theorie eine instinctive Sympathie entgegenzubringen scheinen. 
Die wenigen vorlauten Exemplare von bereits ausgebildeten Woll- 
menschen erregten das allgemeinste Interesse. Sie trugen hoc<geschlossene, 
auf d '* Brust doppelt übereinandergelegte Tricotrö>e, sahen ungefähr 
wie sglechtgenährte Theologen aus und auf ihren Lippen lag der 
W.“ 'syruch: „Des Menschen Wolle ist sein Himmelreich.“ Auf den 
vorder;ten Bänken sahen wir einige Herren, deren Scneiderseelen 
man auf zwanzig Schritte riechen konnte; sie waren von Jäger's Aus- 
führu«.,-a wen "3 erbaut und schlichen sich shon während des Vortrages 
davon, um Li Zeiten en anderes Geschäft zu beginnen. Denn 
Jäger's Losung heißt vor Allem: „Krieg den Schneidern der Neuzeit.“ 
„Brofessor Zäger erschien in einem bis an den Hals geschlossenen 
enganli« ;onden s<warz-blauen Wollfra>, der mit einer roth-goldenen, 
frei herabhängenden Halsbinde geziert ist. Am Ende seines Vortrages 
aber legte er dieses, wie er selbst sagte, unzwe>mäßige Kleid ab und 
erschien in einem Tricot-Costume, mit dem er getrost in einer Circus- 
Arena hätte auftreten können. Diese extravagante Kleidung erklärte 
er für die einzig gesunde; er sprach auch seine zuversichtlihe Ueber- 
zeugung aus, daß man noh in diesem Jahrhundert zu dieser Kleidung, 
wie sie im Mittelalter getragen wurde, zurückkehren werde. Was 
Professor Jäger für seine Lehre vorbringt, ist lange nicht so über- 
wältigend als die Art, wie er es vorbringt. Er besitzt eine ausgiebige
	        
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