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„So mancher Patient entgegnet auf die Empfehlung des Jägersc<hen
Wollregimes: „Das kann ich nicht, ich kann die Wolle nicht vertragen ;
sie jut mich so, daß im Tag und Nacht keine Nuhe habe.“ Daß der
Trost, dies werde sich mit der Zeit verlieren, nicht verfängt, känn solchen
niemand verübeln, der es schon selbst mitgemacht hat, wie z. B. meine
Wenigkeit.
„Gs war im Herbst 1879, als ich, 18 Jähr alt, mit einer vernachlässigten,
schweren, rrechtsseitigen Nippfellentzün dung nach Hause kam und unser
damaliger Hau2arzt, Dr. Schlegel, jekt in Tübingen, mich in die Wolle
jprach. I<h sträubte mich dagegen, so viel ich konnte, da ich wegen des
starken Juckens, das mir alles Wollene auf der Haut vgrursahte (z. B.
wollene Soen, selbst im Winter), wohl wußte, wel<e Qual mir bevorstand.
Doch alles half nicht3 =- ich mußte. Vierzehn Tage lang war ich fast
außer mir von dem. andauernden Juken am ganzen Körper ; kein Kraßen
half, die einzige Linderung brachten die feuchten Pa>ungen. Nach diesen
14 Tagen war ich aber so weit, daß ich selbst in deu rauhen wollenen Bett-
deFen (jol<e aus Angoraziegenhaar gab e8 damals noch nicht) kein Gefühl
von unangenehmer Reizung der Haut empfand -- die Uebergangszeit war
überstanden. I< erholte mich sehr rasch, die Nippfellentzündung schwand
so vollständig, daß nichts mehr davon nachgewiesen werden konnte, und ich
konute mich 3 Wochen später den gewagtesten Erkältungsexperimenten aus-
seen, ohne auch. nur ein leises Schaudern zu empfinden. Was mich nicht
weniger freute, war das Ausbleiben höchst lästiger Kopfschmerzen, troß
zeitweiliger agestrengter geistiger Thätigkeit, an welchen ich seit meinem
6. Jahre- litt, sowie ich nicht viel Bewegung in der freien Luft hatte. Keine
Kurmethode hatte mir dauernde Besserung dieses Uebels gebracht als nur
die strikte Durchführung des Wollregimes -- eine Wohlthat, für welche
ich Herrn Prof. Jägers stets in Dankbarkeit gedenke.
„Das Reagieren der Haut gegen die Wolle dur< unerträgliches Jucken
hat sein Cogenstü> in. dem von Vielen ja lästig empfundenen Gefühl von,
Ueberhißtsein der Haut, sowie in der oyt übermäßig gesteigerten Schweiß-
secretion bei oder bald nach dem Beginn. des Wolletragens.
„Alles dies sind kritische Erscheinungen, die durchgemacht sein müssen,
deren Ertragen aber auch herrliche Früchte bringt. Daß Linderungsmittel
angewendet werden, ist natürlich zwe>mäßig und erlaubt, aber nur nicht
in Form von kaltem Wasser, dagegen dürften warme Bäder, besonders mit,
nachfolgender Einfettung der Haut, das Beste sein. Ferner. können die
Krisen dur< Dampfbäder, im Sommer auch: durch körperliche Anstrengungen
im Freien, wie Fußtouren, wesentlich beschleunigt werden, was aber nur
kräftige Naturen unternehmen können.
- „Und damit, kommen wir auf die Frage: Sollman äuch solchen,
die an übermäßiger Empfindlichkeit der Haut gegen die Neizung ver. Wolle
leiden, das Tragen derselben empfehlen ? Ganz gewiß, aber mit Vorsicht,
wie überhaupt bei Einführung des Wollregimes mancherlei zu erwägen ist.
(Es ist vor allen Dingen, so weit es möglich ist, festzustellen, was an Krisen
zu erwarten ist und ob.der Betreffende jo viel Kräfte aufzuwenden hat, um
die „vershiedenen, Feisen dune Da. einer um somehr Krijen ent-
jegengeh , je mehr Krankheitsstoffe in ihm aufgesammelt sind, so sind seine
orkrankheiten und seine biSherige MEN R sehr zu berüsichtigen.