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und eigentlih Unnötigste für das Leben, denn wie viele hundert-
tausende von Lebewesen giebt es, die gar keine Knochen besißen!
Besehen wir uns jeht nur einmal die Folgen. Wenn jemand
an eine neue Sache kommt, so sind die ersten Eindrücde die
wichtigsten und die bleibendsten, je weiter man vordringt,
um so blasierter wird man, um so schwieriger findet das Folgende
neben dem vorangehenden Plaß im Gedächtnis und die Folge ist die
gleiche wie mit der Stube und dem Buch: der Heilkünstler wird
den Knochen gar nicht mehr los, mit Knochen garniert er sein
Zimmer, Knochen läßt sich der Student auf seine Pfeife malen, Knochen,
Totenköpfe hängt er an seine Uhrkette, und wenn er später in seinem
Beruf noh sogenannte „wissenschaftlihe Neigungen“ hat, so wird er
Mitglied der „anthropologischen Gesellschaft“, die sich hauptsächlich mit
der Auspuddlung alter Knochen besaßt und de8halb zum Woppenschild
den Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen hat. Von jekt an ist sein
oberste Autorität in wissens<hastlihen Dingen der Knochenheilige
Vir<ow, der Vorsikende eben dieser anthropologis<hen Gesellschaft.
Dafür, daß ich hiebei auc< aus eigener Erfahrung rede, will ich
nur folgendes anführen. Troßdem ich mich shon vom se<hsten Leben8-
jahre bis zum 19ten hartnädig troß Schule mit dem lebenden Tiece,
erst mit Insekten , Amphibien und Reptilien , später mit praktischer
Ornithologie beschäftigte, fuhr mir auf der Hochs<hule der Knochen doch
jo sehr in den Leib, daß ich anfieng , eine Knohenfammlung anzu-
legen, die allmählich auf etwa 800 Schädel und 200 Ekelette -- meist
von Lögeln = anwuc<h3, daß ich mir ein Mensc<enskelett mit künst-
lien Bändern, Muskeln und Nerven anfertigte, meine Doktorschrift über
den Scultersehnenknohen der Vögel schrieb , eine zweite Abhandlung
über das Wirbelkörpergelenk der Vögel und eine dritte über das
Längenwac<hs8tum der Knochen. Erst im 35sien Lebensjahr gelang es
mir endgiltig, den Knochen l08 zu werden und wieder voll an Natur
und Leben heranzugelangen.
Und noh. eins : Der Umstand, daß der Kno hen das erste ist,
was man dem Schüler bietet, hat weiter die verhängni8volle Folge,
daß dieser eine vollständig falsche grundlegende Vorstellung vom Leben
giebt. Die materielle Grundlage des Leben3 st niht 5er Knochen,
sondern die lebendige Zelle und die unterscheidet sih vom toten
Knochen, mit dem der Student anfängt, nicht bloß a ua litativ, nament-
li< dadur<, daß sie lebt, sondern auch quantitativ, sie ist eine
Finesse, der Knochen eine Nohheit oder Pluwpheit. Also die erste
Vorstellung, die der angehende Schüler vom Leben gewinnt, ist eine
rohe, plumpe, Dieser Eindrucd bleibt unverwis<bar,
die rohe Vorstellung vom Leben und seinem Getriebe bleibt und das
Ende vom Lied ist eine rohe, plumpe Behandlung8weise der Krankheiten,
Vorliebe für plumpe <irurgis<he Eingriffe, überhaupt für die mit
groben Mitteln arbeitende Chirurgie und in der inneren Heilkunst für