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WILHELM KOCH
nach Europa gebracht. Die alte, solid in sich gefestigt erscheinende Theolo-
gie der Kirchenväter sieht sich ziemlich hilflos dem neuen imponierenden
Gedankengut des ARISTOTELES gegenübergestellt. 1500 Jahre sind diese
Ideen damals schon alt, aber das Christentum hatte sich seit Jahrhunderten
nicht mehr mit ihnen auseinanderzusetzen gehabt.
So ist in jenen Jahrzehnten nicht nur das politische, wirtschaftliche und
soziale Leben in Aufruhr und Umbruch; die Unruhe hat auch die geistigen
und kulturellen Gebiete ergriffen. Eine neue Zeit bahnt sich an.
In diese unruhige Zeit hineingeboren, hineingestellt ist ALBERT. Wahr-
scheinlich hatte er mit kaiserlichem oder kirchlichem Stipendium in Ober-
italien studieren können. 1222 finden wir den 29jährigen — noch ohne festen
Beruf — in Padua bei einem Onkel, einem staufischen Vogt.
ALBERTUS beherrscht bereits die naturwissenschaftlichen Kenntnisse seiner
Zeit. Er weiß scharf zu beobachten und richtig zu deuten. Hier eine Notiz
aus jener Zeit:
„Ich sah in Padua in der Lombardei, wie ein Brunnen, der seit langem
verschüttet gewesen, wieder aufgefunden wurde. Man öffnete ihn, und ein
Mann stieg hinab, ihn zu reinigen. Er wurde aber durch die Gase, die sich
dort unten gesammelt hatten, getötet. Ebenso erging es einem zweiten Ar-
beiter. Als nun ein dritter sehen wollte, wo denn die beiden blieben und
sich über den Brunnenrand beugte, da wurde er ohnmächtig und war zwei
Stunden bewußtlos. Als aber die Gase entfernt waren, war der Brunnen gut
und sein Wasser trinkbar.“
Diesen modernen, klaren Bericht schrieb ein Mann in einer Zeit, in der
nach Aller Auffassung allein der Teufel und böse Geister für einen solchen
Unfall verantwortlich sein konnten.
Aber erst als ALBERT, nach schweren inneren Kämpfen, dem neuen Pre-
digerorden der Dominikaner beigetreten war — mit 36 Jahren —, begann sein
Aufstieg, seine Tätigkeit als Wissenschaftler. Der Orden erkennt seine Be-
gabung, fördert ihn, verwendet ihn als wissenschaftlichen Leiter seiner
Hochschulen in Köln, Hildesheim und Straßburg, läßt ihn an der Sorbonne
den Doktor machen, gibt ihm eine der dortigen theologischen Lehrkanzeln.
Und erst jetzt tritt der bereits 52jährige hervor. In Paris beginnt sein Stern
zu glänzen.
Seit Jahrzehnten haben sich dort die Professoren bemüht, entweder die
Lehren des ARISTOTELES zu widerlegen oder sie ins Lehrgebäude der Kirche
einzufügen. Keiner hat Erfolg. ALBERT von Köln, wie er nach seiner Kloster-
heimat jetzt heißt, stand ohne Vorkenntnisse nun auch seinerseits vor dieser
Aufgabe. In dreijährigem hartem Studium erwirbt er sich neben seiner Lehr-
tätigkeit eine grundlegende Kenntnis der aristotelischen Philosophie, und er
allein vermag sie dem Christentum zu deuten und zu erschließen. Erlassen
Sie mir bitte, hier auf theologische Fragen einzugehen, die Zeit erlaubt es
nicht, und wir suchen heute bei unserer Veranstaltung ja mehr ALBERTUS den
Naturwissenschaftler, den Forscher.
Darf ich Ihnen dazu zunächst zwei Jahre aus dem Leben ALBERTS wenig-
stens in Stichworten aufzeichnen:
Nach nahezu 20jähriger Tätigkeit als Hochschullehrer wird ALBERT von