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Die Anordnung der Blüten ist eine sehr mannigfache; vom
biologischen Standpunkte aus ordnen sich die Blütenstände in zwei
durch Übergänge miteinander verbundene Gruppen, von denen die
erste die rispigen, traubigen und ährigen Inflorescenzen umfasst, die
von reicher Verzweigung und Vielblütigkeit bis zur Armblütigkeit,
ja Einblütigkeit herabsinken; die zweite Gruppe enthält die klein-
blütigen Arten mit kopfigen Blütenständen, welche biologisch als
Blumengesellschaften aufzufassen sind.
Die Blüten der ersten Gruppe sind an Grösse sehr verschieden,
häufig jedoch höchst ansehnlich, wie z. B. bei Campanula Medium L.
und C. latifoli@a _L., ferner bei der chinesischen U. nobilis LınD_.,
deren Kronen die Länge von 8 cm erreichen, und bei Ostrowskia
magnifica REGEL aus Buchara, deren Blüten die grössten und prächtig-
sten der ganzen Familie sein sollen; anderseits fand ich die kleinsten
mir bekannt gewordenen chasmogamen Blüten bei Wahlenbergia
Schimperi Hocast., wo die Kronen nur eine Länge von ca. 2 mm
erreichen.
Die einfachste Form des Blütentypus innerhalb dieser Gruppe
der Campanulaceen scheint mit in der Gattung Specularia Hzeıst.
vertreten zu sein, insofern als die Form der Krone hier noch nicht
vertieft, sondern radförmig oder weittrichterförmig ist und die Staub-
fäden an ihrem Grunde noch nicht die sonst sehr häufig vorkommende
Verbreiterung zeigen, welche zum Schutze des Nektars gegen Regen
und unwillkommene Besucher dient. Die Blüteneinrichtung von
S. Speculum DC. ist u. a. von KERNER* beschrieben worden. Die
violette, im Grunde mit einem blassgelben oder weisslichen Saftmal
versehene Krone breitet sich bei Tage beckenförmig und mit der
Mündung nach oben gerichtet aus, indem sie sich morgens zwischen
7 und 8 Uhr öffnet; nachmittags schliesst sie sich wieder und bleibt
auch bei Regenwetter und nasskalter Witterung geschlossen. Sobald
die Blüte sich zum ersten Mal geöffnet hat, springen die Antheren,
welche seitlich dicht aneinander anschliessen, nach innen auf und
setzen ihre Pollen auf die zarten Haare ab, mit denen die Aussen-
seite des säulenartig mitten in der Blüte emporstehenden Griffels
besetzt ist. Die entleerten Antheren schrumpfen zusammen, trennen
sich von einander und die verwelkten Staubblätter sinken in den
Blütengrund, die mit Pollen bedeckte Griffelsäule dient Insekten als
Anflugplatz, welche den auf dem Discus im Blütengrunde abgeson-
1 A. Kerner, Pflanzenleben. Bd. II. S. 212 f., 365 f.
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