Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 53, 1897)

bebens in der Pendelschrift verzeichnet finden, so erhebt sich die 
Frage, wiefern sind es vertikale, wiefern horizontale Bodenbewegungen, 
wiefern sind es bei den letzteren deren wirkliche Beträge oder deren 
Beschleunigungen, welche die Pendelausschläge verschuldet haben? 
Wie verschieden hierbei die nähere Deutung der Pendelschrift aus- 
fallen kann, möge ein Beispiel zeigen: 
Bei einem am 21. März 1894 im nördlichen Japan aufgetretenen 
Erdbeben, das ın Italien an der Bewegung einer astronomischen 
Libelle beobachtet worden war, hatte REBEUR-Paschwıitz aus Schwin- 
gungsgrösse, Schwingungszeit und Fortpflanzungsgeschwindigkeit eine 
Höhe der Erdbebenwelle von 19,4 cm berechnet unter Annahme 
vertikaler Bodenbewegung. Mit der Annahme nur horizontaler Wellen- 
bewegung aber erklärt sich dieselbe Beobachtung als Folge einer 
Hinundherbewegung des Bodens um nur 0,65 mm. In Wirklichkeit 
werden alle Einflüsse, vertikale, horizontale Bewegung und die hori- 
zontale Beschleunigung in der Pendelschrift ihren gemeinsamen Aus- 
druck erhalten, wobei es sich treffen kann, dass bei passendem Ver- 
hältnis der vertikalen zur horizontalen Komponente der Wellen- 
bewegung des Bodens beide sich gegenseitig in ihrer Wirkung auf 
das Pendel aufheben. Etwas ganz Ähnliches findet ja statt bei den 
Wasserwellen: der Schiffer im Kahn macht die Wellenbewegung des 
Wassers mit. Jede Welle erteilt dem Kahn eine doppelte Bewegung, 
eine hin und her gehende und eine mit Schiefstellung verbundene auf 
und ab gehende. Jede für sich allein würde vielleicht den Schiffer 
im Kahn umwerfen, beide zusammen subtrahieren ihre Wirkungen 
und gestatten ihm zu stehen und mit zum Boden des Kahns senk- 
rechtem Stande seiner Beine gefahrlos die Schwankungen des Kahns 
auf seinen Körper sich übertragen zu lassen. Diese Wirkung der 
Gleichzeitigkeit vertikaler und horizontaler Bodenbewegungen ist ge- 
eignet, die an verschiedenen der empfindlichsten Seismometer beob- 
achtete paradoxe Merkwürdigkeit zu erklären, dass sie Erdbeben mit 
nahem Herd nicht oder schlecht anzuzeigen pflegen, während sie für 
solche mit fernem Herd ausserordentlich feinfühlig sind. Es ist sehr 
wahrscheinlich, dass beim Fortschreiten einer Erdbebenwelle eine 
Formänderung, eine Änderung des Verhältnisses der vertikalen zur 
horizontalen Komponente stattfindet, eine Änderung, die schon durch 
die ın der Ferne sich bedeutend vergrössernde Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit bedingt ist. Ein Apparat, der für Vertikalbewegungen 
so empfindlich wäre, wie das Horizontalpendel für horizontale, würde 
wohl auf nahe Erdbeben besser reagieren. 
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