Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 57, 1901)

— CXIX — 
sagt schon die heilige Schrift. Horaz berichtet Unglaubliches von 
ihnen, PyrmAGoraAs bringt sie mit der Seelenwanderung in Zusammen- 
hang. Für jedermann bieten die Ameisen wegen ihrer eigentümlichen 
socialen Eigenschaften, die Ähnlichkeit mit Vorgängen im Menschen- 
leben haben, Interessantes dar. Namentlich Prof. Foren hat sich viel 
mit dem Ameisenleben beschäftigt und ihnen hohe psychische Eigen- 
schaften beigelegt. In den letzten Jahren sind aber auch andere An- 
sichten durch Bern aufgestellt worden, wonach diesen Insekten ein 
psychisches Empfinden gar nicht zukomme, sondern bei ihnen alles‘ als 
Reflexthätigkeit aufzufassen sei; er nennt sie deshalb Reflexauto- 
maten. Sein Hauptgegner erstand ihm in dem gelehrten Jesuiten- 
pater WAsmAnx-Luxemburg, der seit mehr als 20 Jahren das Leben 
der Ameisen beobachtet und hierüber gegen 70 Schriften und Aufsätze 
herausgegeben hat. WAsmMmAnn bestreitet durchaus, dass die Vorgänge 
im Leben der Ameisen nur mechanischer Natur seien, sondern schreibt 
ihnen Instinkt im weitesten Sinne zu. Auf eine Erörterung dieser 
feinen Unterschiede in der Tierpsychologie und -Physiologie geht je- 
doch der Vortragende nicht ein. — Ameisen sind Staatenbildner ; wie 
verständigen sich die vielen 100000 Bürger eines solchen Staates? 
Dass dies geschieht ist vorauszusetzen nach‘ ihrem gemeinsamen Vor- 
gehen und den dabei beobachteten Regeln. Bei den Bienen z. B. ist 
zweifellos eine lautliche Aussprache vorhanden, bei den Ameisen eine 
Tastsprache, sie klopfen und fühlen einander an. — Wie erkennen sich 
die einzelnen Tiere eines Haufens? BzrTaE hat hierüber Experimente 
angestellt, indem er Ameisen eines Haufens im Extrakte von: solchen 
eines feindlichen Volkes badete und sie dann gegenseitig zusammen- 
brachte. Die feindlichen Ameisen, die sich vorher zerrissen, nahmen 
sich nach dem Baden und der Verwechselung gegenseitig gut auf, aber 
nach 2—3 Stunden zerrissen sie sich auch wieder. Ähnliche Experi- 
mente wurden mit Eau de Cologne gemacht, das den specifischen 
Ameisengeruch zeitweise verdrängt. Auch der Engländer Lusz0ocK hat 
durch Betrunkenmachen von Ameisen ähnliche Resultate erzielt, es ist 
somit ein specifischer Nestgeruch vorhanden. — Bei den Ameisen 
sind zu unterscheiden: die gut entwickelten weiblichen und männlichen 
Individuen und die unentwickelten Arbeiter. Die Waldameise hat eine 
Grösse von 8-—14 mm, die kleineren sind zur Arbeit, die grösseren 
zum Kampfe bestimmt. Bei den tropischen kommt noch die weitere 
Kaste der Soldaten dazu mit sehr kräftigen Kinnladen; bei einem ge- 
fundenen Tiere zerschneiden die ersten das Tier, die zweiten tragen 
die Beute ins Nest, und die dritten gehen als Wächter nebenher. — 
Die Nestbauten der Ameisen sind ausserordentlich verschieden und von 
verschiedenem Material. Bei uns bauen alle Ameisen Nester, in den 
Tropen die Wanderameisen keine, weil sie Räuber sind. Nach ForEu 
sind die Nester ober- oder unterirdisch. Die gewöhnliche Ameise 
(Formica fusca) baut ihre Wohnung unter der Erde, das Material wird 
gleichmässig oberhalb ausgestreut. KFormica delatius niger baut unter 
der Erde und oberhalb Türme. In den Tropen nehmen die Nester bis 
zu 15 am Fläche ‚unterirdisch ein, die einzelnen Zellen sind oft 30 bis
	        

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