Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 57, 1901)

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Der nächste Vortrag, von Prof. Dr. E. Fraas gehalten, führte 
die’Hörer in die „Entstehungszeit des Lias & in Schwaben“. 
Redner entwarf ein klares, lebenswahres Bild von dem Meer der Jura- 
zeit und seiner Bewohner, dessen Boden uns heute als Posidonien- 
schiefer erhalten ist und die wunderbarsten, in der ganzen Welt be- 
kannten Versteinerungen birgt. Das Charakteristische dieser For- 
mation ist der hohe Gehalt an Bitumen, d. h. eingeschlossenen organi- 
schen Substanzen, welche noch als Kohlenwasserstoffverbindungen bis 
zum Betrag von 12 °/o erhalten sind und vor der Entdeckung des Petroleums 
die technische Verwertung dieser Schiefer ins Auge fassen liessen. Für 
die Versteinerungen ist charakteristisch, dass dieselben alle flach ge- 
drückt sind, dass sie aber trotzdem in einer Schönheit und Voll- 
ständigkeit erhalten sind, die ans erstaunliche grenzt. Nicht nur das 
Skelett ist konserviert, sondern sogar noch häufig das Fleisch, so dass 
in einzelnen günstigen Fällen unter dem Mikroskop die Querstreifung 
der Muskulatur noch zu erkennen war. In der Schilderung der Or- 
ganismen des Lias &-Meeres erörterte Redner besonders die Lebens- 
weise derselben. Während die Tange gut entwickelt waren und uns 
heute als Fucoidenbänke erhalten sind, ist bemerkenswert der auf- 
fallende Mangel an Grundtieren, dem sog. Benthos, z. B. Brachiopoden, 
Muscheln und Schnecken; um so grösser ist die Menge der im freien 
Wasser schwimmenden oder treibendem Lebewesen. Zu ihnen zählen 
nach des Redners Auffassung auch die Seelilien, deren heutige Ver- 
wandte wir als festsitzend kennen. Redner erwähnte zunächst Quzexn- 
STEDT’S bekanntes ‚,Medusenhaupt‘‘, jene mächtigen Crinoiden, bei denen 
auf 17 m hohem Stiel eine Krone von 1m Durchmesser sass. Sie ge- 
hörten dem sog. Pseudo-Plankton an, indem sie, wie mehrere Fundorte 
beweisen, an Treibholz wurzelten. Das gleiche nimmt Fraas von 
einer neuen Pentacrinus-Form an, die das Naturalienkabinet in einem 
einzigartigen Schaustück jüngst erwarb. An der Hand einer von der 
Hofkunstanstalt für Lichtdruck von RommerL & Co. hergestellten vor- 
züglichen Photographie schilderte Redner das von BERNHARD HaAurr in 
Holzmaden meisterhaft präparierte Prachtstück, welches nicht weniger 
als 153 Exemplare einer kleinen Seelinie enthält. Dem echten Plankton 
zählten die in grosser Zahl vorhandenen Ammoniten und Belemniten, 
die schwimmenden Vertreter der Tintenfische, zu. Nicht minder reich 
waren die aktiv schwimmenden Tiere, das Nekton, durch die Wirbel- 
tiere vertreten. Im Lias e&-Meer lebten zahlreiche Haifische, z. B. der 
erst jüngst vollständig bekannt gewordene Hybodus Hauffianus und als 
Krone der damaligen Meerestierwelt die Schar der Saurier. Von ihnen 
greift der Redner eine Art heraus, die sich durch ein merkwürdiges 
verlängertes Intermaxillare auszeichnet . und von welcher Art das 
Naturalienkabinet kürzlich einen sehr schönen Schädel von Herrn HAurr 
in Holzmaden zum Geschenk erhalten hat. — Besonders interessant 
ist für die Beurteilung der Versteinerungen des Posidonienschiefers die 
Frage, wie sich der Erhaltungszustand erklärt und wie die einzelnen 
Abteilungen in ganzen Schichten zusammenliegen, was auf ein plötz- 
liches Absterben hindeutet. Dass bei der Erhaltung soviel organische
	        

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