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fach von diesen seinen Grundsätzen ab, er beobachtet und prüft nicht
immer genau, verfällt manchmal in Deduktion; auch fehlen ihm die
wichtigsten Prüfungsmittel, wie Mikroskop, Thermometer und physika-
lische und chemische Kenntnisse. So fällt er in mancherlei Irrtümer.
Merkwürdig sind seine physiologischen Anschauungen
über den Menschen: das Centrum der Seelenthätigkeit ist für
ARISTOTELES nicht das Hirn, das er, weil blut- und empfindungslos, nur
für eine Art Wärmeregulator hält, sondern das Herz, das in der
Körpermitte liegt. Dieses ist das Centrum der Empfindung und Be-
wegung, der Blutbildung und Blutbewegung. Die Bewegung geschieht
in der Weise der Stränge eines mechanischen Automaten durch die
Sehnen, welche sich an die Knochen ansetzen, aber schon im Herzen
beginnen (Chordae tendineae) und durch sehnige Adern weiter ziehen.
Die Nahrung wird im Magen und Darm gelöst, gelangt als Saft (Ichor,
jetzt Lymphe genannt) durch die feinen Gekrösgefässe zum Herzen,
wird dort gekocht und zu (rotem) Blut. Von da wird‘ es in den
grossen Gefässen nach der Peripherie getrieben, wo es zum Teil als
Schweiss an die Oberfläche kommt, sonst aber zu Fleisch wird; dies ist
zugleich das peripherische Empfindungs-, nicht aber Bewegungsorgan.
Muskeln kennt er nicht. Eine rückläufige Bewegung des Bluts zum
Herzen lehrte erst HArRvaey, der Entdecker des Blutkreislaufs. Das
dreikammerige Herz, zugleich Sitz der Wärme, wird durch das kochende
Blut ausgedehnt und durch Einströmen kalter Luft von der Lunge her,
deren Luftröhrenäste mit den Lungengefässen in Zusammenhang sind,
wieder zur Zusammenziehung gebracht. ArısrorELES spricht wiederholt
von der Schwierigkeit solcher Ermittelungen.
Sein wissenschaftliches Meisterstück ist seine Lehre von der
Zeugung und Ent wickelung, reich an Beobachtungen und Problemen,
z. B. über Vererbung. Die meisten, besonders die höheren Tiere, ent-
stehen durch Paarung, viele, selbst gewisse Fische, wie der Aal, durch
Selbstzeugung , namentlich aber alle Eingeweidewürmer und das Unge-
ziefer aus dem Insektenreich. Ausgezeichnet hat er die Entwicke-
lung des Hühnchens im Ei beobachtet. Dabei spricht er sich
schon bestimmt für die Bildung der Teile nacheinander aus (Epigenesis),
im Gegensatz zu der ‚auseinander (Praeformatio oder Einschachtelung),
welche erstere Lehre erst im 19. Jahrhundert nach hartem Kampf
gegen die letztere wieder erkämpft werden musste. Merkwürdig sind
die sogen. antizipierten Entdeckungen des ARISTOTELES: in
unserer Zeit erst als neue aufgestellt, aber schon von ARISTOTELES an-
geführt oder beobachtet: so die von dem eigentümlichen Arm der
männlichen Tintenfische (Hectocotylus), von der Dottersackplacenta
einns Haifisches, von dem kopfständigen Nahrungsdotter der Cephalo-
poden, der Brutpflege gewisser Fische (Seenadel, Nester der Stich-
linge), der künstlichen Befruchtung der Feigen (Caprifikation) mit Hilfe
eines Insekts. Gut beschreibt er die Kiefer der Seeigel, allgemein be-
kannt unter dem Namen der „Laterne des Aristoteles‘. Als Ent-
decker der Parthenogenesis bei Bienen kann er nur insofern angeführt
werden, als er die Beobachtung von Bienenzüchtern wiedergiebt, dass