Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 62, 1906)

GV 
kleinen Rodungsflächen durchbrochenem Urwald bedeckt gewesen sei, 
hat sich bei genauerer Prüfung als unhaltbar erwiesen, Die siedelungs- 
veschichtlichen und pflanzengeographischen Untersuchungen des Vor- 
tragenden haben vielmehr zu der Erkenntnis geführt, daß neben fast 
anbewohnten, großen, geschlossenen Waldgebieten in diluvialer Zeit auch 
schon reichlich besiedelte, offene Landschaften von ebenso bedeutendem 
Umfange bestanden haben, die zum großen Teil zusammenfallen mit den 
Gebieten, die durch das Vorkommen von äolischem Löß, fossilen Steppen- 
tieren und mehr oder weniger zahlreichen, an trockenen Hügeln, sonnigen 
Felsen. und Steilhängen in meist südlicher Freilage wachsenden Steppen- 
pfianzen ausgezeichnet und demgemäß als ehemalige Steppenlandschaften 
anzusehen sind. In den letzten Jahren hat AnDr. M. HAnsen unab- 
hängig von den Untersuchungen des Redners auf Grund anthropologischer 
and geologischer Forschungen ganz übereinstimmende Beziehungen zwischen 
pflanzengeographischen und siedlungsgeschichtlichen Erscheinungen für 
Norwegen nachgewiesen; er fand, daß in Norwegen die durch Namen 
mit der Endung —vin und —heim charakterisierten ältesten Siedlungen 
in auffallender Weise der Verbreitung einer bestimmten, von ihm 
Origanum-Formation genannten Pflanzengenossenschaft folgen. Die letztere, 
aine Gruppe von wärmeliebenden, xerophilen Pflanzen von vorwiegend 
südlicher Verbreitung, zu der u. a. Origanum vulgare, Libanotis montana, 
Fragaria viridis, Calamintha acinos, Polygonatum officinale, Lathyrus niger, 
L. vernus, Avena pratensis gehören, steht mit den Steppengenossenschaften 
Mitteleuropas in innigster Verwandtschaft, 
Prüft man die Ursachen, durch welche die Verbreitung der Steppen- 
pflanzen in Mitteleuropa bedingt ist, so ergibt sich, daß die Eigen- 
schaften, durch welche sich die mitteleuropäischen Verbreitungsbezirke 
der Steppenpfianzen gegenüber den Lückengebieten auszeichnen, nämlich 
relativ kontinentales, niederschlagsarmes Klima und feinkörnige Böden, 
insbesondere Kalkböden, dieselben sind, die in den Steppenländern des 
Ostens als waldfeindliche und direkt oder indirekt steppenbegünstigende 
Eigenschaften bekannt sind. Es kann daraus geschlossen werden, daß 
zur Zeit der Einwanderung und Ausbreitung der Steppenflora ein 
trockeneres und auch wärmeres Klima geherrscht hat, als in der Gegen- 
wart, doch gewinnt man daraus keinen Affhalt zur Beantwortung der 
Frage nach dem inneren Zusammenhang, der zwischen der vorgeschicht- 
lichen Besiedelung Mitteleuropas und Skandinaviens und dem der Steppen- 
pflanzenformationen offenbar besteht. Als Antwort auf diese Frage bleibt 
zunächst — da die Zurückführung des Zusammenhangs auf die in vielen 
Fällen hervortretende natürliche Bodenfruchtbarkeit des Steppenlandes 
sich als nicht stichhaltig erweist — nur die Annahme übrig, daß die 
ältesten Ansiedler ebenso wie die Steppenpflanzen offene, waldfreie oder 
wenigstens nicht mit geshhlossenem Urwald bestandene Stellen auf- 
gesucht haben, wo ohne allzu mühsame Rodung ein Pflanzenbau mög- 
lich war und die Herdentiere in der natürlichen Bodenvegetation von 
Gräsern und Kräutern ihr Futter finden konnten. Dies offene Siede- 
Jungsgebiet muß aber damals eine größere Ausdehnung besessen haben, 
als das heutige Verbreitungsgebiet der Steppenpflanzen einschließlich
	        
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