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in dem er lebt; dasselbe gilt vom Wildschwein. Für diese Tiere könnte
höchstens die unbewaldete Ebene eine Grenze sein, obwohl mir darüber
nichts bekannt ist. Noch anders ist die Verbreitung des Rehes. Das
Reh lebt überall in den Vogesen, es lebt aber auch auf dem Felde,
weit vom Walde entfernt, wenn es nur einige Büsche zu seinem Schutze
findet. Dafür gelten wieder besondere Verbreitungsgesetze. Danach
wird es klar, daß etwa in einer Gegend, wo die Wasserscheiden be-
waldet, die Ebenen aber Steppen sind, jene für Steppentiere Grenzen
bilden können.
Auf jeden Fall könnte unsere Forschung auch in dieser Frage
mit zur Entscheidung beitragen, da wir ja in Württemberg in Rhein
und Donau zwei Flußsysteme haben und nach der Wasserscheiden-
theorie die Grenze zwischen diesen beiden Flußsystemen auch eine
tiergeographische Grenze sein müßte. Die Erfahrungen in Amerika
sprechen jedenfalls nicht zugunsten dieser Theorie.
Ich glaube hiermit gezeigt zu haben, daß der tiergeographischen
Kleinforschung noch praktische Bedeutung für die Zukunft zukommt.
Doch hiermit sind die zoogeographischen Aufgaben noch nicht erschöpft.
Die Zoogeographie muß auch alle Veränderungen im Auge haben, die in
der Tierwelt vorgehen, und die zum Teil, wenigstens soweit es sich
um Säugetiere handelt, auch unsere Landwirtschaft aufs engste be-
rühren. Ich meine das Vordringen gewisser Tiere. Am bekanntesten
ist ja davon in weiten Kreisen das Vordringen der Wanderratte, die
im 18, Jahrhundert von Osten kommend Europa unaufhaltsam über-
schwemmte. Sie verdrängte dabei ihre schwächere Verwandte, die
AMausratte, die gleichfalls, allerdings einige Jahrhunderte früher, erst in
Europa eingewandert war, Nur noch an wenigen abgelegenen Stellen
konnte sich die Hausratte halten, und in Württemberg glaubte man
sie wohl schon erloschen, bis in diesem Jahr, das überhaupt den
Nagern, wie es scheint, sehr günstig war, das Kgl. Naturalienkabinett
wieder einige Exemplare der Hausratte aus Württemberg erhielt.
Nun ist wohl die Mehrzahl von Ihnen der Ansicht, diesem Kampfe
zwischen Haus- und Wanderratte komme lediglich ein zoologisches
Interesse zu. Dem ist aber nicht so. Nach einem Artikel in der
Münchener Medizinischen Wochenschrift! wird der Erreger der Pest
durch einen Floh, Loemopsylla cheopis, übertragen. Dieser schmarotzt
aber hauptsächlich auf der Hausratte. Nun wissen wir zwar nicht
genau, wann die Hausratte nach Europa kam, aber sicher ist dies im
1. Jahrtausend n. Chr. geschehen. Und im Jahre 542 n. Chr. tritt
die erste Pestepidemie auf. Andererseits wird der Einfall der Wander-
ratte in den Anfang des 18, Jahrhunderts verlegt und seit dieser Zeit
ist auch die Pest in Europa verschwunden. Möglicherweise besteht
also zwischen beiden ein ursächlicher Zusammenhang.
Der Zug der Wanderratte ist heute wohl in seiner letzten Phase
angelangt, aber ein anderer steht noch im Beginne. Ich meine den
des Ziesels. Über seinen Schaden für den Feldbau brauche ich vor
* Reiner Müller, Athropoden als Krankheitsüberträger. In: Münch,
Med, Wochenschrift 1910, Jahrg. 57, No, 46. 8. 2398 ff,