Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 71, 1915)

Höhere Pflanzen haben sie uns geliefert. Aber es gibt eine 
ganze Reihe nieder entwickelter Pflanzen, die kein Chlorophyll be- 
sitzen und demnach wie die Tiere darauf angewiesen sind, sich die 
zu ihrem Leben nötige Kohlenstoffenergie in Form von Kohlen- 
hydraten zu verschaffen. Es sind die Pilze. Am meisten interessieren 
uns unter diesen in Beziehung auf den Abbau von Kohlenhydraten 
die Hefearten, denn ihre Tätigkeit machen wir uns ja zunutze, und 
so ist die durch die Hefe hervorgerufene Gärung von großer prak- 
tischer und auch von größter wissenschaftlicher Bedeutung. Lassen 
doch viele Beobachtungen bereits den Schluß zu, daß die Tätigkeit 
der Hefezelle eine ganz unerwartet große Ähnlichkeit mit der Tätig- 
keit der Zellen höherer Tiere aufweist. Um nur eines anzuführen: 
es sind nur wenige natürliche Zucker, die von der Hefe wie vom 
Menschen verwertet werden, und die Kunstprodukte, welche den 
natürlichen Zuckern in allen Eigenschaften gleichen und sich nur 
durch entgegengesetzte Drehung des polarisierten Lichtes unter- 
scheiden, die sogen. Spiegelbilder unserer Zucker, sie werden weder 
von der Hefe noch vom Menschen verwertet. 
Die Erkenntnis des Gärungsvorganges hat sich ebenso langsam 
entwickelt wie die des Assimilationsprozesses und ihre Geschichte 
ist nicht minder reich an allgemein interessierenden Entdeckungen 
von bleibendem Wert und großer Bedeutung. 
Zunächst wurde die Hefe als etwas Nebensächliches angesehen, 
so von LAvorszir, der den Nachweis erbrachte, daß es der Zucker 
ist, der bei der Gärung in Alkohol und Kohlensäure zerfällt, und 
von Gay-Lussac, der den Prozeß quantitativ verfolgte und zeigte, 
daß das Zuckergewicht ziemlich genau in der Summe der Gewichte 
von Alkohol und Kohlensäure wieder erscheint. 
Erst THEoDor Schwan dachte an Ernährungsvorgänge, nach- 
dem er 1837 die Natur der Hefe als Pflanze dargetan hatte. Und 
nun entbrannte der berühmte Streit zwischen Physiologen und LiEBIG 
und unabhängig hiervon der sehr lebhafte Austausch der Meinungen 
zwischen Lıesi1e und BErzeLws, der die Hefe einen Katalysator nannte 
und als solchen wirken ließ. Lızsıe verfocht bekanntlich eine che- 
mische Unterlage des Gärungsvorganges, wonach das zerfallende Ei- 
weiß der Hefe eine Bewegung in das Zuckermolekül hinein über- 
trage, die zur Bildung von Alkohol und Kohlensäure führen solle. 
Demgegenüber ersann PAstEuR seine berühmten Versuche, aus denen 
er 1858 lückenlos den Schluß ziehen konnte, daß nur lebende Hefe 
die fragliche Umsetzung bewirken kann. Die vermittelnde Annahme
	        
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