Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 72, 1916)

Il. Sitzungsberichte, 
Wissenschaftliche Abende des Vereins in Stuttgart. 
Ausflug zur Vogelschutzstation bei Kleinhohenheim 
am 11. Juni 1914, 
Wie alljährlich fanden auch heuer die wissenschaftlichen Veran- 
staltungen der Stuttgarter Ortsgruppe ihren Abschluß mit einem Nach- 
mittagsausflug am Fronleichnamstag. Das Ziel bildete diesmal der Wald 
bei Kleinhohenheim, wohin Forstmeister Dr. Schinzinger die Vereins- 
mitglieder mit ihren Damen zu einer Besichtigung der von ihm dort 
angelegten Musterstation für Vogelschutz eingeladen hatte. Im luftigen 
grünen „Hörsaal“ bei der Hütte rechts vom Königssträßle versammelte 
man sich, um zunächst vom Schöpfer der Station in ausführlichem 
Vortrag über Grund, Zweck und Methode des praktischen Vogelschutzes 
belehrt zu werden. — Es ist ja eine jedem Naturbeobachter wohlbekannte 
leidige Tatsache, daß seit etwa 50 Jahren unsere Vogelwelt mehr und 
mehr abnimmt Die Gründe dieses bei einzelnen Vogelarten bedenklich 
raschen Niedergangs sind teils in der lebhaften Entwicklung und Aus- 
dehnung der Kultur zu suchen, insofern einerseits durch den intensiven 
Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, des Obst- und Weinbaues, 
ebenso wie durch die moderne Bauart der Häuser den Vögeln viele 
der früheren Nistgelegenheiten entzogen werden, anderseits durch ge- 
wisse Kulturerrungenschaften wie Kraftwägen, Riesenlokomotiven, Dresch- 
maschinen, Ueberlandzentralen, Leuchttürme das Leben der Vögel‘ in 
ungeahnter Weise bedroht wird. Teils aber ist der Rückgang zurück- 
zuführen auf eine vielfach leider noch erschreckend große Unkultur der 
Menschen, die den harmlosen gefiederten Luftbewohnern nicht nur als 
Leckerbissen nachstellen, sondern sie auch zur Befriedigung einer nicht 
genug zu verdammenden Putzsucht oder auch direkt aus Rohheit und 
Gedankenlosigkeit massenhaft und oft in schmählicher Weise — man 
denke nur an das Abschießen der Reiher an dem mit Jungen besetzten 
Horst oder an das unsinnige Wegknallen der Möwen und Seeschwalben 
in den Seebädern! — vernichten. Dazu kommt noch die Bekämpfung 
der Vogelwelt aus angeblichen, oft recht kurzsichtigen und mißver- 
standenen wirtschaftlichen Interessen, aus denen sich jeder Beruf, der 
eine wenn auch noch so kleine Beeinträchtigung durch das Nahrungs- 
bedürfnis der Vögel erfährt, also Landwirt, Forstwirt, Obstbauer, Wein- 
gärtner, Jäger, Fischer, Bienenzüchter usw. das Recht herleitet, den 
„Missetätern“ den Krieg zu erklären ohne. Rücksicht darauf, ob da- 
durch auf anderen Gebieten ein oft weit größerer Schaden verursacht
	        

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