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Was die Persönlichkeit L.’s anbetrifft, so war er im gesell-
schaftlichen wie im amtlichen Verkehr von gewinnender Liebens-
würdigkeit. Seine weithin bekannte Bereitwilligkeit Freunden und
nicht selten selbst ihm fernstehenden Personen mit seinen Fähig-
keiten oder mit seinen weitausgedehnten freundschaftlichen Ver-
bindungen behilflich zu sein, wurde oft in Anspruch genommen und
warb ihm viele Freunde. Diese Inanspruchnahme geschah gar
nicht selten auf Kosten seiner ohnedies schon reichlich ausgefüllten
Arbeitszeit, sodaß der unermüdlich Tätige für gewöhnlich noch
die Nacht zum Tage machen mußte und sich nur selten. die zur
Erholung nötige Ruhe gönnen konnte. Bei allem Entgegenkommen
war L. aber keineswegs ein Leisetreter, sondern ein allezeit und
unentwegt für seine Überzeugung eintretender streitbarer Mann,
dem es gelegentlich nicht an beißender Schärfe und Sarkasmus
fehlte. Seinen Mitarbeitern und Untergebenen war er ein nichts-
weniger als bürokratisch denkender, wohlwollender Kollege und
Vorgesetzter. Er war ein Freund edler Geselligkeit und sein
Wissen, seine Belesenheit und seine Gewandtheit in der Unter-
haltung machten ihn zum vielgesuchten angenehmen Gesellschafter.
Seinen Freunden war er treu ergeben und schmerzlich vermißt
man in ihren Kreisen, unter denen der auch von ihm hoch und
wert gehaltene „Schneckenkranz“ in erster Linie steht, seine an-
regende Unterhaltung, Wie man an seinen und seiner Familie
Freuden herzlichen Anteil nahm, erregte es auch innigste Teilnahme
weitester Kreise, als ihm, nachdem sein erster Sohn schon im
Kindesalter gestorben war, im Herbst 1914 sein hochbegabter,
hoffnungsvoller zweiter Sohn durch den Heldentod auf dem Schlacht-
feld in Flandern entrissen wurde. "Trotz der Schwere, mit der
dieser Verlust ihn und seine Familie traf, arbeitete L. mutigen
Herzens weiter, und noch nach der Rückkehr von einer im Jahre
1916 unternommenen mehrwöchigen Reise in den Urwald von
Bialowies sprach er sich erfreut darüber aus, wie leicht und gut
er die mannigfachen dort an ihn herangetretenen körperlichen und
gesellschaftlichen Anforderungen ertragen habe. Da meldete sich
bei ihm, der in seiner langen Dienstzeit niemals ernstlich. krank
gewesen ist und der sich auch nie besondere Schonung gegönnt hat,
um Pfingsten 1917 zum erstenmal der schlimme Gast, dessen Um-
klammerung er nur unter Widerstreben nachgab, Bis in die letzte
Zeit hinein war er noch geistig rege und tätig. Noch kurze Zeit
vor seinem Scheiden brachte der Schwäbische Merkur einen Aufsatz