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Es wurde dann die Anwendung dieser Hypothese auf die Umwandlungs-
reihen von Planorbis multiformis Kritisch besprochen, in Anlehnung an
die Feststellungen von F. Gottschick über den Einfluß von Thermal-
quellen auf die im tertiären Steinheimer See lebenden Schnecken. Wahr-
scheinlich habe ‘man es mit einer durch Wärmeeinflüsse angeregten
mutativen Rassenbildung, nicht Artumbildung zu tun, weshalb die
Multiformis-Reihen als Belegstück der Deszendenztheorie schwerlich in
dem bisherigen Sinne gelten könnten. (Ausführliche Wiedergabe des
Vortrags s. in Naturwiss, Wochenschr. 36. Bd., 1921, S. 145 ff.)
Einem von verschiedenen Seiten an ihn gerichteten Wunsche ent-
sprechend gab sodann der zweite Vortragende, Prof, Kohler-Biberach,
einen auf elementarer Grundlage beruhenden Bericht über das Wesen
der Einsteinschen Relativitätstheorie.
Aus verschiedenen der Mechanik entnommenen Bewegungsbeispielen
erläuterte er die Begriffe „Raum“ und „Zeit“ und. versuchte nachzu-
weisen, daß nicht bloß der Raum, sondern auch die Zeit, welche bisher
stillschweigend als absolut, d.h. vom Bewegungszustand des Bezugs-
körpers unabhängig angenommen wurde, relativ ist. Nach dem Ein-
steinschen Gesetz von der Relativität der Gleichzeitigkeit hat eine
Zeitangabe nur dann einen Sinn, wenn der Bezugskörper angegeben ist,
auf den sich die Zeitbestimmung bezieht. Mit Hilfe der Lorentzschen
Transformationsformeln, die sich bei Einstein als eine sehr einfache
mathematische Folgerung aus seiner speziellen Relativitätstheorie ergeben,
wurde das merkwürdige Verhalten bewegter Stäbe und Uhren beschrieben.
Bewegte starre Stäbe sind hiernach kürzer als derselbe Stab, wenn er
in Ruhe ist, und zwar um so kürzer, je rascher er bewegt ist. Aus
demselben Grunde infolge ihrer Bewegung langsamer als im Zustand der
Ruhe. An diese rein theoretischen mathematischen Erörterungen wurde
aus der Himmelsmechanik noch die Betrachtung von Erscheinungen an-
gefügt, welche eine Bestätigung der vielfach angefochtenen Theorie
bilden: nämlich die früher unaufgeklärte Abweichung in der Perihel-
bewegung des Merkur mit dem beobachteten Betrage von 42 Bogen-
sekunden, wodurch die Einsteinsche Theorie zum ersten Male ihre prak-
tische Überlegenheit über die alte Newtonsche Himmelsmechanik bekundete;
ferner: die Ablenkung eines am Sonnenrand vorbeistreichenden Licht-
strahles von 1,76 Bogensekunden; endlich die Rotverschiebung
in den Spektrallinien von Fixsternen. Hierdurch werden sich für die
Astronomie noch ungeahnte Möglichkeiten ergeben, z. B. die, unmittelbar
aus den Spektren der Sterne etwas über die Masse derselben aussagen
zu können. Es wird sich eine Astronomie des Unsichtbaren entwickeln,
die in Verbindung mit dem Einsteinschen Relativitätsprinzip uns noch
wichtige Aufschlüsse über die Beschaffenheit fernster Sonnensysteme
verachaffen wird. Kohler.